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Politik

Gesundheits­ministerium beanstandet G-BA-Richt­linie zur Ersteinschätzung im Notfall

Mittwoch, 13. September 2023

/dpa

Berlin – Zwei Tage vor Ablauf der Frist hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die intensiv disku­tierte Ersteinschätzungsrichtlinie für Notfälle des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als Aufsicht be­anstandet.

„Das Ergebnis der Abwägung des Interesses des G-BA an dem Wirksamwerden der rechtswidrigen Regelungen und des Interesses von Versicherten und Leistungserbringern, nachteilige Folgen zu vermeiden, die durch die rechtswidrigen Regelungen zu erwarten sind, spricht also für die Entscheidung zu einem rechtsaufsichtlichen Tätigwerden“, heißt es in dem Schreiben, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt und inzwischen auf der Web­seite des G-BA veröffentlicht ist.

Somit kann die Richtlinie für ein standardisiertes und qualifiziertes Ersteinschätzungsverfahren nicht wie vor­gesehen kommendes Jahr in Kraft treten. Der G-BA hatte den Auftrag zu diesem Verfahren für die Einschät­zung bei – subjektiven und objektiven – Notfällen noch aus Zeiten der Großen Koalition bekommen und seit­dem mehrfach unterschiedliche Signale bekommen, wie mit dem Verfahren umzugehen sei.

In der Debatte im G-BA-Plenum im Juli 2023 hatte der Unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, erklärt, dass der Beschluss „nicht verzichtbar sei“, obwohl eine große Krankenhausreform bevorstehe. Aus seiner Sicht werde es Jahre dauern, bis die in der Krankenhausreform angedachten Strukturveränderungen in der realen Versorgungspraxis angekommen sind. Bis dahin müsse es Übergangslösungen geben.

Dem hatten auch der GKV-Spitzenverband sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung zugestimmt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatte in der Sitzung ein Scheitern der Richtlinie prophezeit, da der G-BA gegen den gesetzlichen Auftrag verstoße. Am Rande der Sitzung war zu hören, dass alle Seiten erwartet hatten, dass das BMG die Richtlinie beanstanden wird – allerdings eher „sofort“ und nicht erst zwei Tage vor Fristablauf.

Sieben Kritikpunkte

In dem Schreiben nun listet Michael Weller, zuständiger Abteilungsleiter Gesundheitsversorgung und Kran­ken­versicherung im BMG, sieben Punkte auf, an denen sich das Ministerium als Rechtsaufsicht stört. Vor allem die Kategorisierung des G-BA von Notfällen in drei „Dringlichkeitsstufen“ sowie das dafür anzuwendende, aber noch nicht vorhandene System eines „qualifiziertes und standardisierten Verfahren“ zur Einschätzung kritisiert das BMG.

Dieses läge beim Start der Richtlinie zum 1. Juni 2024 noch nicht vor, Kliniken könnten sich bis dahin auf kei­ne Vorgaben verlassen. „Dies verstößt ausdrücklich gegen den gesetzlichen Auftrag, Vorgaben für eine qualifi­zierte und standardisierte Ersteinschätzung zu beschließen“, schreibt das BMG. Hierfür müssten Merkmale für die Qualität vorliegen, die der G-BA entwickeln sollte.

Der G-BA hatte in seinem Beschluss im Juli drei Dringlichkeitsstufen vorgesehen, in die Patientinnen und Pa­tienten im Notfall eingruppiert werden sollten und demnach in verschiedenen Versorgungsstufen versorgt werden. Dies bilde laut Auffassung des BMG aber „ein neues und in den Krankenhäusern nicht etabliertes Verfahren ab“.

Etabliert seien bisher die validierten Triagesysteme zur Behandlungspriorisierung, „nicht jedoch Verfahren, welche weiter in ‚Dringlichkeitsgruppen‘ differenzieren.“ Auch sei unklar, wie die Dringlichkeitsgruppen ver­gütet werden, dies schaffe Unsicherheiten.

Das BMG kritisiert auch die Einschätzung, dass Krankenhäuser bis zur Einführung eines Ersteinschätzungsins­tru­mentes einen Probebetrieb nutzen sollen sowie die vage Aus­sage, dass der G-BA zum 1. März 2025 ein solches Instrument erwartet.

„Dementsprechend sind die Krankenhäuser mangels existenter etablierter richtlinienkonformer Erstein­schät­zungsverfahren darauf angewiesen bis zum 1. März 2025 zur Ermittlung der ‚Dringlichkeitsgruppen‘ Instru­men­te oder Verfahren einzusetzen, die selbst nach Ansicht des G-BA nicht nach der Richtlinie qualifiziert und damit gesetzeskonform wären.“

Das BMG resümiert: „Die in der Richtlinie so vorgesehene Durchführung von Ersteinschätzungsverfahren zur Ermittlung von Dringlichkeitsgruppen ohne wissenschaftliche Validierung und der bloßen Möglichkeit der Hinzuziehung von Ersteinschätzungsinstrumenten ‚im Probebetrieb‘ stellen darüber hinaus eine erhebliche Gefährdung der Patientensicherheit und somit der körperlichen Unversehrtheit der Hilfesuchenden dar.“

Ebenso als rechtswidrig bewertet das BMG, dass die Ersteinschätzung auch für die Menschen gelten sollte, die mit dem Rettungsdienst in ein Krankenhaus gebracht werden und nicht nur die, die selbst das Krankenhaus aufsuchen.

„Gegen diese gesetzliche Vorgabe verstößt die Richtline, der den Anwendungsbereich des Ersteinschätzungs­ver­fahrens ausdrücklich auch auf die Hilfesuchenden erstreckt, die vorab den Rettungsdienst kontaktieren und so dann mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus eingeliefert werden."

Als ebenfalls rechtswidrig stuft das BMG die räumlichen Vorgaben des G-BA ein, eine Zentrale Notaufnahme zu erreichten. Es stehe laut Gesetz den Krankenhäusern frei, an der Notfallversorgung nach dem gestuften System von Notfallstrukturen des G-BA teilzunehmen. „Ein gesetzlicher Auftrag hinsichtlich Anforderungen an die bauliche Substanz eines Krankenhauses zur Vergütung ambulanter Notfälle besteht bereits nach dem Wortlaut der Norm nicht.“

Deutliche Kritik auch an der geplanten Vorgabe, dass Menschen, die mit ihrem Anliegen in die künftige Dringlichkeitsstufe 1 eingruppiert werden, „grundsätzlich auch an ein Medizinisches Versorgungszentrum in Trägerschaft des Krankenhauses weitergeleitet werden müssen.“ Über diesen Punkt hatte es bereits im Vorfeld der Beschlussfassung im G-BA im Rahmen der Gesetzgebung zum Pflegeunterstützungs- und -entlastungs­gesetz (PUEG), intensive Debatten gegeben.

Dabei wurde ein kurzfristiger Änderungsantrag eingebracht, der besagte, dass nicht mehr an Medizinische Versorgungssysteme weitergeleitet werden sollte. Allerdings war in der Diskussion und Interpretation um diesen Änderungsantrag umstritten, was dieser genau aussagen sollte und welche Wirkung er entfalten könnte. © bee/aerzteblatt.de

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