Politik
Höhere Produktion und schärfere Überwachung sollen Engpässe bei Kinderarzneimitteln verhindern
Donnerstag, 14. September 2023
Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will mit verstärkter Produktion, sparsamem Umgang und kontinuierlicher Überwachung erneute Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln in diesem Herbst und Winter verhindern. Einen dahingehenden Plan stellte er heute in Berlin vor.
Er selbst erwarte im Herbst und Winter keine erheblichen Engpässe, erklärte Lauterbach. Komplett ausschließen könne er sie aber auch nicht, weil das auch davon abhänge, ob es erneut eine schwere Grippe- oder RSV-Welle gebe.
„Wir werden in diesem Herbst und Winter alles tun, um sicherzustellen, dass Kinder die benötigten Arzneimittel bekommen“, versprach er heute in Berlin. Gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Ärzte- und Apothekerschaft sowie der Pharmaindustrie hatte er sich an einen Tisch gesetzt, um nach Maßnahmen dafür zu suchen.
Die aktuelle Lage sei weitaus besser als im vergangenen Jahr. So habe die Industrie die Produktion kritischer Kinderarzneimittel und Antibiotika stark gesteigert, teilweise um 100 Prozent. „Das ist nur möglich, weil die Unternehmen 24/7 im Dreischichtsystem arbeiten“, betonte er. Allerdings: „Wir sind an der technischen Obergrenze.“
Auch Engpässe bei Hilfsstoffen, Arzneiglas und dergleichen hätten beseitigt werden können. Auswertungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Versorgungslage würden die Produktionssteigerungen bestätigen. Eine weitere Steigerung sei nicht realistisch. Komme es zu Engpässen, werde das BMG weitere Arzneimittelimporte ermöglichen.
Aus Sicht der anderen Teilnehmer reicht das jedoch nicht. „Wir sind immer noch nicht glücklich mit der momentanen Versorgungssituation und wissen nicht, wie es im Winter wird“, klagte Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ).
Um darüber stets einen aktuellen Überblick zu haben, habe der Bund mit den Pharmaunternehmen den Austausch regelmäßiger Situationsanalysen vereinbart, erklärte Lauterbach. Im BMG werde dazu eine High-Level-Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich wöchentlich unter Vorsitz von Lars Nickel, dem Leiter der Unterabteilung Arzneimittel, trifft.
Die Gruppe sei „quasi ein Gefechtsstand, aus dem die Vertreter der Ärzte, Apotheken und Hersteller direkt an mich berichten“. Wie bei der Gaskrise handele es sich es aber vor allem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Lauterbach appellierte an die Eltern, keine unnötigen Vorräte zu horten. Bei Fiebersäften beispielsweise sei in der Regel eine Flasche ausreichend, um bei einer Erkrankung die Zeit bis zu einem möglichen Arztbesuch zu überbrücken. „Wenn man Fiebersaft für den ganzen Winter bereithält, ist das sicher übertrieben“, unterstrich er. Damit sei niemandem geholfen. „Das schaffen wir nur, wenn Vernunft das Gebot der Stunde ist.“
Auch an die Ärztinnen und Ärzte appellierte er, keine Vorratsrezepte auszustellen und Antibiotika sparsam und evidenzbasiert zu verordnen. Zudem soll künftig für Kinderarzneimittel eine Beanstandung in Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausgeschlossen werden. Er habe vor, diese Regelung im Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) unterzubringen, das sich bereits im parlamentarischen Verfahren befinde.
Die stellvertretende Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth, beklagte, dass die Situation sich keineswegs so sehr gebessert habe, wie Lauterbach beschreibt. „Für den hausärztlichen Bereich wir uns weitere Maßnahmen wünschen, um die ärztliche Arbeit zu erleichtern“, betonte sie.
Die Hausärzte würden 40 Prozent der Kinder- und Jugendversorgung leisten, weswegen es nötig sei, „den hausärztlichen Bereich als Maschinenraum der Versorgung zu stärken“, sagte sie. Dazu müssten insbesondere die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Allein in Baden-Württemberg, dessen Hausärzteverband sie vorsteht, werde demnächst die Grenze von 1000 offenen Kassensitzen erreicht. Insbesondere ein Ende der Budgetierung sei deshalb notwendig. „Das hat das BMG uns versprochen, es kommt aber nicht“, erklärte sie.
Auch der Apothekerschaft versprach Lauterbach Erleichterungen: So soll der Austausch von Kinderarzneimitteln bei der Abgabe ausgeweitet und erleichtert werden, bei der Herstellung von Rezepturen und beim Austausch der Darreichungsform sollen Retaxationen der Krankenkassen ausgeschlossen werden.
Ebenso sollen die Festbeträge bei dringlichen Kinderarzneimitteln weiter ausgesetzt bleiben. Diese Maßnahme aus dem Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) habe den Unternehmen in den vergangenen Monaten lediglich geholfen, die Folgen der Inflation abzufedern, erklärte Teva-Deutschlandchef Andreas Burkhardt.
Neue Anbieter seien dadurch jedoch nicht in den Markt gestoßen. Da die Festbeträge bisher lediglich ausgesetzt worden seien, sei die Planungssicherheit schlicht nicht groß genug für den Aufbau neuer Produktionskapazitäten.
Die Pharmaverbände saßen nicht mit am Tisch – auch wenn Burkhardt in anderer Funktion Vorsitzender des Branchenverbandes Pro Generika ist. Lauterbach begründete das damit, dass er konkrete Zahlen zu Produktion und Kapazitäten erhalten wollte, die er leichter von den Unternehmen selbst bekomme.
Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) kritisierte die heute vorgestellten Maßnahmen als unzureichend. Die vorgesehenen Maßnahmen ließen grundlegende Probleme in der Arzneimittelversorgung unberücksichtigt.
„Wir alle wollen, dass unsere Kinder gut durch den Winter kommen“, erklärte Hauptgeschäftsführer Hubertus Cranz. „Statt im Krisenmodus zu verharren, brauchen wir allerdings einen auf Langfristigkeit ausgerichteten Dialog zur Verbesserung der Gesamtsituation.“
So müssten Lieferketten diversifiziert und Abhängigkeiten verringert werden. Auch ein angemessener Inflationsausgleich für preisregulierte Arzneimittel sowie regulatorische Erleichterungen und der Abbau bürokratischer Hürden seien dringend notwendig. Stattdessen sähen die Änderungen des ALBVVG vor, die Unternehmen durch erhöhte Anforderungen bei der Bevorratung finanziell und logistisch zusätzlich zu belasten. © lau/aerzteblatt.de

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