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Ärzteschaft

Ärzteschaft will Proteste gegen Gesundheitspolitik weiter eskalieren

Freitag, 15. September 2023

Sitzung der KBV-Vertreterversammlung /Lopata, Axentis

Berlin – Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) wollen ihren Protest gegen die politischen Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung weiter eskalieren. Einen entsprechenden Antrag hat die KBV-Vertreterversammlung heute in Berlin einstimmig beschlossen.

Die Vertreterversammlung war geprägt von der Empörung über die Reaktion von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf den Forderungskatalog, den die KBV auf ihrer Krisensitzung im August verabschie­det hatte, sowie seine mangelnde Gesprächsbereitschaft. Die KBV hatte ihm eine Frist bis zum 13. September gesetzt, auf die Forderungen zu antworten.

„Ich bekomme fast jeden Tag Briefe aus der Selbstverwaltung und Industrie mit Forderungen“, hatte Lauter­bach auf die Frage des Deutschen Ärzteblattes nach dem KBV-Papier geantwortet. „Von daher bitte ich um Nachsicht, dass ich von der Gedächtnisleistung nicht in der Lage bin, dieses Schreiben zu rezitieren.“ Er werde „das Ultimatum gut überstehen“.

Die Reaktion sei „armselig, anders kann man es nicht nennen“, erklärte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen dazu heute in Berlin. Petra Reis-Berkowicz, Vorsitzende der Vertreterversammlung, zeigte sich entrüs­tet angesichts „der Missachtung, mit der er uns begegnet“. „Diese Geringschätzung macht mich sprachlos.“

Gemeinsam mit den Berufsverbänden wollen KBV und KVen deshalb nun weitere Maßnahmen ergreifen. Immerhin „wird Lauterbachs Reaktion es den Berufsverbänden leicht machen, Kolleginnen und Kollegen zu mobilisieren“, erklärte Gassen. Angedacht seien unter anderem Praxisschließungen am 2. Oktober – selbstver­ständlich unter Sicherstellung der Versorgung von Not- und Ernstfällen, wie er betonte.

Mitglieder der Vertreterversammlung forderten diesen Kurs ebenfalls ein. „Ich bin wirklich entsetzt, eine der­artige Ignoranz unseres Gesundheitsministers ist eine Respektlosigkeit gegenüber allen niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten“, erklärte Anke Pielsticker von der KV Bayerns. „Es ist aber auch eine eklatante Missachtung aller Patienten, die eine angemessene Versorgung benötigen.“

„Unser lauter Protest gehört auf die Straße und wird auch dort ankommen“, erklärte Thomas Schröter, zweiter Vorsitzender der KV Thüringen. Der sächsische KV-Vorsitzende Stefan Windau unterstrich das und mahnte, sich nicht zu sehr auf den Minister selbst zu konzentrieren.

„Es geht nicht um die Person Lauterbach, das ist eine Nebelkerze. Es geht um das System“, erklärte er. „Wir müssen überlegen, wie wir unsere Taktik und Strategie ändern können, damit wir die Patienten besser errei­chen.“

Nicht nur die Politik, sondern auch die Bevölkerung müssten gewarnt werden, „dass bei unveränderten Rah­menbedingungen die ambulante Versorgung in seiner jetzigen Form keinen Bestand mehr hat“, heißt es dazu im verabschiedeten Antrag.

Schon jetzt würden Praxisinhaber keine Nachfolger mehr finden und der Nachwuchs Bedenken haben, sich niederzulassen, weil Bürokratie, eine dysfunktionale Telematikinfrastruktur (TI), drohende Regresse und der­gleichen dies nicht attraktiv erscheinen ließen.

„Wir sind vielleicht als Wählergruppe klein, aber mit unseren Patienten sind wir groß. Und dann wollen wir mal sehen, wer mehr Vertrauen genießt. Bald ist Straßenkampf“, kündigte Sebastian Sohrab von der KV Nord­rhein an. Alle Umfragen würden eindeutig zeigen wie viel größer das Vertrauen der Bevölkerung in die Ärzte­schaft gegenüber dem in die Politik sei.

Kritik am Honorarergebnis

Neben Lauterbachs ausbleibender Reaktion zeigten sich die Mitglieder der Vertreterversammlung vor allem über das Ergebnis der Verhandlungen über den Orientierungswert (OW) für die ärztlichen Honorare frustriert – und übten auch hier teils grundlegende Systemkritik.

Vorgestern hatten KBV und GKV-Spitzenverband einen Vorschlag des Schlichters des Erwei­terten Bewer­tungs­aus­schusses (EBA), Jürgen Wasem, akzeptiert. Der Orientierungswert (OW) steigt demnach um 3,85 Prozent.

„Man muss dazu sagen, das sind keine Verhandlungen, sondern das ist Erpressung“, erklärte Andreas Bartels, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Rheinland-Pfalz. Wasem bringe in Erfahrung, wie viel die GKV zu zahlen bereit sei, und gehe dann zur KBV mit der Drohung, das Angebot anzunehmen, da die Alternative eine weitere Senkung um 0,5 Prozent sei. „Und wir müssen das dann annehmen, sonst verlieren wir ein wei­teres halbes Prozent und das sind 200 Millionen Euro für unsere Praxen.“

Unter diesen Bedingungen sei die Honorarsteigerung ein respektables Ergebnis, erklärte der Vorsitzende der KV Bremen, Bernhard Rochell. Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, „dass das absolut nicht aus­reicht“. Die Honorarsteigerungen blieben weiterhin deutlich unterhalb der Inflationsrate. „Es wird auch der Bevölkerung immer klarer, dass das keine Bedingungen sind, unter denen wir hier Probleme lösen können. Das sind Bedingungen, unter denen wir auf Karls Resterampe landen.“

Auch bei der KV Berlin herrsche „ungläubiges Entsetzen darüber, was diese 3,85 Prozent an Wertschätzung ausdrücken oder eben nicht ausdrücken“, erklärte ihr Vorstandsvorsitzender Burkhard Ruppert. „Angesichts der Leistungen in der Coronakrise ist das ein Affront, ein Schlag in die Magengrube der ambulanten Kolle­ginnen und Kollegen.“

Die Politik verspreche uneingeschränkte Leistungen, verweigere aber eine entsprechende Gegenfinanzierung. „Es ist deshalb ganz entscheidend, dass wir auch mit der Bevölkerung darüber sprechen, dass nicht mehr alle Leistungen immer in Anspruch genommen werden können.“

KBV-Vorstandschef Gassen unterstützte diesen Ansatz. „Dass so eine Zahl enttäuschend sein muss, ist ganz klar“, sagte er. „Da muss man jetzt konsequent die Leistungsmenge an die Geldmenge anpassen. Das ist poli­tisch so gewollt, also wird es auch so kommen.“

Bisher hätten die meisten Ärztinnen und Ärzte aus Rücksichtnahme darauf verzichtet, die eigenen Patienten auf die unzureichenden finanziellen Rahmenbedingungen hinzuweisen, erklärte auch der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister. Das müsse sich künftig ändern. Er sei sich sicher, dass die Patienten das Verständnis dafür aufbringen würden, dass unter diesen Bedingungen keine uneingeschränkten Leistungen mehr erbracht werden könnten.

Sowohl Gassen als auch Hofmeister erklärten zwar, dass sie sich den Begriff Erpressung nicht zu eigen ma­chen würden. Sie kritisierten aber ihrerseits ebenfalls grundlegende Mängel bei der Festlegung der Honorar­höhe. „Die OW-Problematik ist schwierig, da muss etwas am System gemacht werden“, sagte Hofmeister.

So seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen unpassend und schwerpunktmäßig darauf ausgelegt, mögli­che Honorarerhöhungen zu drosseln. So würden falsche Parameter wie Wirtschaftlichkeitsreserven angelegt.

Die seien bei Wirtschaftsunternehmen wichtig, die mit größerer Produktion günstiger produzieren können – bei einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis frage er sich, wie sich solche Effekte erzielen lassen sollen. © lau/aerzteblatt.de

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