Medizin
Protein erklärt Ablagerungen bei amyotropher Lateralsklerose und frontotemporaler Demenz
Freitag, 6. Oktober 2006
Philadelphia - Neue Forschungsergebnisse weisen auf Gemeinsamkeit zwischen der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und der frontotemporalen Demenz (FTLD) hin. Bei den beiden klinisch sehr unterschiedlichen Krankheiten spielt ein bisher unbekanntes Protein eine Schlüsselrolle, berichtet ein internationales Forscherteam unter deutscher Beteiligung in Science (2006: 314: 130-133).
Zu den prominenten Patienten mit ALS gehören der britische Astrophysiker Stephen Hawking und der deutsche Maler Jörg Immendorff. Beide leiden unter einer zunehmenden Muskellähmung, die ihre motorischen Fähigkeiten immer weiter einschränkt, während ihre kognitiven Fähigkeiten bisher vollkommen erhalten blieben. Im starken Gegensatz dazu zeichnet sich die FTLD durch eine zunehmende Demenz aus, bei deren Fortschreiten die Patienten zunehmend auffällig werden. Das wichtigste Merkmal der Krankheit, die 1892 (und damit 16 Jahre vor dem Morbus Alzheimer) erstmals beschrieben wurde, sind schwerste Verhaltensstörungen. Die Patienten sind zunehmend enthemmt und neigen zu Fresssucht, Ladendiebstahl und zu ungezügelten Sexualimpulsen, gepaart mit einer Vernachlässigung der körperlichen Hygiene und abnehmender sprachlicher Kompetenz.
Die Verschiedenartigkeit der beiden Erkrankungen hängt mit der unterschiedlichen Lokalisierung der degenerativen Veränderungen im Zentralnervensystem zusammen. Bei der ALS kommt es zu einem Untergang der motorischen Vorderhornzellen im Rückenmark. Bei der FTLD stehen Läsionen im frontalen und temporalen Großhirn im Vordergrund. Geschädigt werden Regionen, die im weitesten Sinne für die Impulskontrolle zuständig sind.
Die FTLD galt lange als seltene Erkrankung. Heute halten Neurologen sie nach dem Morbus Alzheimer für die zweithäufigste Form der Demenz mit einem Anteil von immerhin 12 Prozent an allen Demenzen. Weiterer Unterschied zur Alzheimer-Demenz ist die ungewöhnlich breite Spanne im Erkrankungsalter: Es gibt Patienten, die mit 20 erkranken, andere sind schon über 80, wenn sich die Demenz manifestiert. Nach Ausbruch der Erkrankung beträgt die Lebenserwartung dann in der Regel weniger als zehn Jahre.
Auf den zweiten Blick gibt es durchaus klinische Gemeinsamkeiten. Neurologen beobachten immer wieder, dass Patienten mit ALS eine Demenz entwickeln, und bei der FTLD kommt es gelegentlich zu einer Erkrankung der Motoneurone. Ian Mackenzie von der Universität Vancouver, einer der Koautoren der Studie, vermutet sogar, dass ALS und FTLD unterschiedliche Varianten auf einem Erkrankungsspektrum sind. Dies mag übertrieben erscheinen, wird aber durch die Erkenntnisse verständlich, über welche die Gruppe um John Trojanowski vom Alzheimer's Disease Center in Philadelphia – zusammen mit Forscher der LMU München – berichtet.
Bei beiden Erkrankungen kommt es zu pathologischen Eiweißablagerungen in den Zellen und bei beiden Erkrankungen – bei der ALS und bei einer häufigen Varianten der TFD, die nach der Anfärbbarkeit der histologischen Präparate mit Ubiquitin als FTLD-U bezeichnet wird – enthalten diese Ablagerungen das Protein TDP-43.
TDP-43 ist offenbar im Gehirn weit verbreitet, was für eine wichtige Aufgabe spricht, über die aber fast nichts bekannt ist. Die Forscher konnten zeigen, dass das Protein TDP-43 bei FTLD-U und ALS stark verändert ist. Es ist in der Mitte gespalten, mehrfach chemisch modifiziert und liegt statt wie normal im Zellkern nun im Zellleib vor, wo es letztlich die pathologischen Einschlüsse ausbildet.
Im nächsten Schritt wollen die Forscher die normale Funktion von TDP-43 im gesunden Körper erkunden. Sie vermuten, dass es für die Verarbeitung von mRNA wichtig sein könnte. Wenn sie dann noch herausfinden, warum das Protein sich in den Zellen ablagert, könnte dies der Ausgangspunkt für neue Therapie sein. Bis es zur Entwicklung einer Therapie von ALS und FTD, möglicherweise mit dem gleichen Medikament kommt, dürfte es aber noch ein weiter Weg sei. © rme/aerzteblatt.de

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