Politik
Ethikrat mehrheitlich gegen Babyklappen
Donnerstag, 26. November 2009
Berlin – Der Deutsche Ethikrat spricht sich dagegen aus, die Angebote der anonymen Kindsabgabe weiterzuführen oder zu legalisieren. Dies gab Christina Woppen, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, bei der Präsentation der ersten Stellungnahme zum „Problem anonymer Kindsabgabe“ am Donnerstag in Berlin bekannt. Woopen sagte, es sei unwahrscheinlich, dass Mütter und Väter, die ihre Kinder töten wollten, „von dem Angebot überhaupt erreicht werden“.
Der Rat schlägt vor, Schwangeren in einer Notlage die „vertrauliche Kindsabgabe mit vorübergehender anonymer Meldung“ zu ermöglichen. In diesem Fall bleibt die Mutter für ein Jahr anonym. Ihre Identität ist nur der Beratungsstelle, an die sie sich gewandt hatte, und gegebenenfalls der Adoptionsvermittlungsstelle bekannt. Erst ein Jahr nach der Geburt wird ihr Name an das Standesamt weitergegeben. Damit soll nach Woopens Worten ein „angemessener Zeitraum größtmöglicher Vertraulichkeit geschaffen werden“.
Das Gremium ruft in seiner Stellungnahme alle politisch Verantwortlichen auf, sowohl die Babyklappen als auch die Angebote zur anonymen Geburt aufzugeben. Zeitgleich müssten aber die öffentlichen Informationen über bestehende legale Hilfsangebote verstärkt werden.
Auch sei dafür zu sorgen, dass die legalen Hilfsangebote für Schwangere und Mütter in Not – wie etwa die vertrauliche Vermittlung einer Mutter-Kind-Einrichtung oder einer Pflegestelle fürs Kind – zu jeder Tag- und Nachtzeit zu erreichen seien.
In einem Sondervotum sprechen sich sechs der 26 Mitglieder für eine Fortsetzung der Angebote aus. Dazu zählen der Augsburger katholische Weihbischof Anton Losinger, der katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff und der evangelische Mediziner Eckhard Nagel, der auch Präsident des Ökumenischen Kirchentages 2010 ist.
Die Angebote seien trotz ethischer und rechtlicher Bedenken weiter vertretbar, argumentieren sie. „Es besteht immerhin die reale Möglichkeit der Rettung eines Kindes vor dem Tod durch die Angebote der anonymen Kindesabgabe, sodass diese im Hinblick auf den Lebensschutz bestehen bleiben müssen“, forderte Losinger.
Bundesweit gibt es nach Angaben des Ethikrats rund 80 Babyklappen; zudem böten etwa 130 Kliniken anonyme Geburten an. Mehr als 500 Kinder seien über diese Wege schon abgegeben worden. Aber: „Die Angebote sind rechtswidrig“, stellt Woppen klar. Sie verletzten das Recht des Kindes, die eigene Herkunft zu kennen und eine Beziehung zu seinen Eltern aufzubauen.
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Demgegenüber steht das Recht des Neugeborenen auf Leben und Unversehrtheit, das ohne die Möglichkeit einer anonymen Kindsabgabe gefährdet sein könnte. „Die Zahlen zeigen, dass es keinen Rückgang an Kindstötungen gegeben hat“, erläutert Woppen. „Babyklappen retten kein Leben.“
Ulrike Riedel, Mitglied des Deutschen Ethikrats, verwies darauf, dass in den Fällen, in denen die Mütter der abgegeben Kinder ermittelt werden konnten, keine ihrem Neugeborenen geschadet hätte. „Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass diese Frauen ihre Kinder ohne das Angebot der anonymen Kindsabgabe getötet hätten.“ Mütter, die ihren Kindern etwas antäten, erreichten die Angebote offensichtlich nicht, stellte Riedel fest. Hingegen müssten für die Hoffnung, dass vielleicht ein Leben durch eine Babyklappe gerettet werde, viele Kinder auf ihre Rechte verzichten.
Kritiker und Verfechter der anonymen Kindabgabe verweisen jeweils auf konkurrierende Grundrechte: einerseits auf das Recht auf Leben, andererseits das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.
Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) begrüßte das Mehrheitsvotum. „Wir teilen die Meinung des Ethikrates, dass der Weg der anonymen Kindesabgabe zumindest juristisch in eine Sackgasse führt und auch im Hinblick auf den konkreten Lebensschutz keine befriedigende Lösung darstellt,“ sagte die SkF-Bundesvorsitzende Maria Elisabeth Thoma. Die Betreiber von Babyklappen und Anbieter von anonymer Geburt müssten ihre Angebote nun weiterentwickeln.
Dagegen wandte sich die Hannoversche evangelische Landesbischöfin Margot Käßman gegen das Mehrheitsvotum des Ethikrats. Der Rat gehe von fragwürdigen und ungesicherten Annahmen aus, sagte die Bischöfin am Donnerstag auf der Landessynode in Hannover. Würden Babyklappen und die Möglichkeit der anonymen Geburt abgeschafft, bliebe ein Kreis nicht erreichbarer Hilfebedürftiger zurück. Frauen verstünden die Babyklappe nicht als Anreiz für eine „Entsorgung“ ihrer Kinder.
Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach sich die Beibehaltung der Babyklappen aus. ZdK-Präsident Alois Glück betonte, die Einrichtungen helfen, das Leben von Kindern zu retten, bieten Frauen einen sicheren Rahmen und einen geschützten Raum für die Entbindung und tragen in vielen Fällen dazu bei, dass die Mütter sich nach der Geburt für ein Leben mit ihrem Kind entscheiden", sagte Glück.
Auch die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) kritisierte den Ethikrat: Das Recht auf Leben wiege zweifellos höher als das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, sagte die Vorsitzende Claudia Kaminski.
Die knapp 70-seitige Stellungnahme ist das erste längere Votum des Expertenkreises, der Mitte 2008 seine Sacharbeit aufgenommen hatte. © mei/kna/afp/aerzteblatt.de

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