Medizin
Akupunktur: Wie ein Zytostatikum die Wirkung verstärkt
Montag, 31. Mai 2010
Rochester – Die schmerzlindernde Wirkung der Akupunktur beruht weder auf der Ausschüttung von Endorphinen im Gehirn, noch ist sie reine Einbildung.
Eine tierexperimentelle Studie in Nature Neuroscience (2010; doi: 10.1038/nn.2562) belegt indes, dass die Nadeln einen lokalen Anstieg von Adenosin auslösen. Die gleiche Wirkung wie mit der Akupunktur wurde mit einem Adenosin-Agonisten erzielt, der seit Jahren zur Behandlung der Haarzell-Leukämie zugelassen ist.
Die neuen Erkenntnisse sind das Resultat von Experimenten, welche die Forscherin Maiken Nedergaard von der Rochester Universität im US-Bundesstatt New York zusammen mit ihrer damals 16-jährigen Tochter in den Sommerferien durchgeführt hat. Die beiden akupunktierten Mäuse für 30 Minuten am sogenannten Zusanli-Punkt in der Nähe des Knies.
Die Nadeln wurden alle 5 Minuten gedreht, um die Wirkung zu verstärken. Sie bestand in einem Anstieg von Adenosin in der interstitiellen Flüssigkeit. Die Konzentration stieg bis um den Faktor 24 an und war auch nach der Nadelung noch eine gewisse Zeit erhöht. Da Adenosin in die lokale Schmerzvermittlung eingreift, könnte es das lange gesuchte morphologische Korrelat der Jahrtausende alten chinesischen Heilmethode sein.
zum Thema
aerzteblatt.de
Im nächsten Schritt wurde bei den Mäusen die Wirkung eines Adenosin-Antagonisten auf zwei Schmerzformen untersucht: Ein entzündlicher Schmerz wurde durch Injektion von Freudschem Adjuvans und ein neuropathischer Schmerz durch einen neurochirurgischen Eingriff induziert.
Beide Schmerzen wurden sowohl durch eine Akupunktur als auch durch die Injektion eines Adenosin-Antagonisten vermindert. Weitere Experimente zeigten, dass der Adenosin A1-Rezeptor die Wirkung vermittelt: Bei Knock-Out-Mäusen, denen dieser Rezeptor fehlt, blieben die Akupunktur und ihr pharmakologisches Korrelat unwirksam.
Ein solcher Adenosin-Agonist wird seit einiger Zeit in der Behandlung der Haarzell-Leukämie eingesetzt. Es handelt sich um den Wirkstoff Pentostatin (Deoxycoformycin). Bei den Mäusen verlängerten lokale Injektionen mit Pentostatin die Wirkung der Akupunktur von einer auf drei Stunden, berichten die Forscherinnen.
Als sogenannter Booster für die Akupunktur ist Nipent®, so der Name des zugelassenen Medikaments, aufgrund seiner hohen Toxizität indes kaum geeignet. Die schlechte Verträglichkeit mag in der Krebstherapie akzeptabel sein, in der Behandlung von Schmerzen dürften die Nachteile überwiegen.
Die neuen Forschungsergebnisse könnten aber die Suche nach besser verträglichen Schmerzmitteln stimulieren. Ein pharmakologisch belegter Wirkungsmechanismus der Akupunktur dürfte auch die Akzeptanz der alten chinesischen Heilmethode in der Schulmedizin erhöhen.
© rme/aerzteblatt.de

@Jaddy
Setze dich mal in eine Allgemeinpraxis und mache deine EBM. Da treffen 2 Welten aufeinander.
Die Akupunktur nimmt für sich keine Wissenschaftlichkeit in Anspruch. Es ist eine Erfahrungmedizin über tausende von Jahren. Nicht mehr und nicht weniger. Die Kritiker meinen jedoch immer Wissenschaftlichkeit fordern zu müssen. Warum?Sie funktioniert bestens beim richtigen Patienten und der richtigen Indikation.

Netter Effekt, aber keine chinesische Akupunktur
Es ist also keineswegs ein Beweis für das Theoriemodell der Akupunktur, sondern ein physiologischer Effekt, der zwar mit den selben Hilfsmitteln - Nadeln - erzeugt wird, aber weder die Lehre des Qi und seiner Energiepfade bestätigt, noch die diversen anderen angeblichen Anwendungsbereiche der Akupunktur, die ja vom Ohrensausen bis zur schwersten Infektion alles heilen will.
Insbesondere ist eine Schmerzlinderung durch eine Reduktion der Weiterleitung eine reine Symptombekämpfung, und damit das genaue Gegenteil einer "ganzheitlichen, ursachenorientierten Heilung", wie sie TCM und andere "alternativen Heilmethoden" versprechen.
Wie die GERAC-Studie gezeigt hat, ist der empfundene Effekt einer Akupunktur-Behandlung unabhängig von der genadelten Stelle und sogar unabhängig davon, ob tatsächlich eine Nadel gestochen wurde. Hier kann also nicht die Adenosin-Ausschüttung am Werk gewesen sein.
So nett, praktisch und vielversprechend der beobachtete Adenosin-Effekt ist; mit dem, was als Akupunktur angeboten wird, Lehre, Theorie, Praxis und Anspruch, hat es nichts zu tun.

@Pieper

Alternatives Fazit
"Die neuen Forschungsergebnisse könnten aber die Suche nach besser verträglichen Schmerzmitteln stimulieren."
Ich bevorzuge folgendes Fazit:
Die neuen Forschungsergebnisse könnten dazu anregen, medikamentöse Behandlungen verstärkt durch eine komplementärmedizinische Behandlung (hier: Akupunktur) zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen. Und zwar dort, wo eine Wirkung solide belegt ist.
Bereits die gerac-Studien
http://snipurl.com/wyzfj
zeigten ja, dass Akupunktur beispielsweise bei Rückenschmerz einen im Vergleich zu einer klassischen (auch pharmakologischen) Behandlung fast doppelt so starken Effekt zeigt.
Ich verstehe nicht, warum "Medizinforschung" bei Ihnen automatisch mit der Assoziation "neue pharmazeutische Präparate" versehen wird.

Nachrichten zum Thema

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.