Ärzteschaft
Ärztemangel: Keine Entwarnung in Sicht
Freitag, 3. September 2010
Berlin – Der Ärztemangel in Deutschland wird zunehmend zu einem Versorgungsproblem. In den nächsten zehn Jahren wird die Zahl der Hausärzte voraussichtlich um 7.000 sinken. Auch die Lücken in der stationären ärztlichen Versorgung werden immer größer.
Das geht aus der neuen Arztzahlstudie hervor, die die Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) heute präsentiert haben. Ihr zufolge müssen bis zum Jahr 2020 im ambulanten Bereich 51.774 Ärzte ersetzt werden. Im stationären Bereich scheiden knapp 20.000 Ober- und Chefärzte altersbedingt aus. Die Prognose ergibt sich aus dem Durchschnittsalter der Ärzte, das 2009 bei 51,9 Jahren lag.
„Kaum jemand bestreitet noch, dass wir uns auf dem Weg in eine Wartelistenmedizin befinden. Es gibt eine fortschreitende Ausdünnung der ambulanten Versorgung in der Fläche und wachsende Zugangsprobleme zu manchen hoch spezialisierten Versorgungsangeboten“, sagte der Vize-Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery.
Schon jetzt seien in den Kliniken 5.000 Stellen unbesetzt. „Die Studie belegt klar, dass Ärztemangel kein irgendwann zu erwartendes Phänomen ist, sondern akut droht“, betonte Andreas Köhler, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Nicht nur bei den Hausärzten, sondern bei den Augen-, Frauen-, Haut- und Nervenärzten drohten bereits Engpässe.
Als Hauptgründe für den Ärztemangel nannten die Organisationen die demografische Entwicklung der Gesamtbevölkerung sowie auch der Ärzteschaft, den medizinischen Fortschritt, den Strukturwandel in der Medizin, der mit einem wachsenden Frauenanteil bei und weniger Vollzeitstellen einhergeht, sowie die Abwanderung des medizinischen Nachwuchses.
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Allein im vergangenen Jahr wanderten 2.486 deutsche Ärztinnen und Ärzte aus. Insgesamt sind gegenwärtig rund 17 000 deutsche Mediziner im inner- und außereuropäischen Ausland tätig. „Sie fehlen uns hier. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Arbeitsbedingungen für Ärzte in Deutschland attraktiver werden“, erklärte Köhler.
Reagieren wollen die Organisationen auch auf die Tatsache, „dass die Medizin weiblich wird. Etwa 60 Prozent der Medizinstudierenden sind mittlerweile Frauen. „ Wir müssen uns darauf einstellen, dass Frauen oftmals andere Lebensperspektiven haben als Männer“, sagte Montgomery.
Sie stellten sich intensiver familiären Aufgaben. Das bedinge, dass sie weniger Arbeit pro Zeiteinheit zur Verfügung stellen könnten. Vor diesem Hintergrund bedeute der Anstieg des Frauenanteils in der Ärzteschaft von 33,6 Prozent im Jahr 1991 auf 42,2 Prozent im Jahr 2009 eine gewaltige Veränderung von zur Verfügung gestelltem Arbeitsvolumen.
Auch im ambulanten Bereich müssten die Rahmenbedingungen attraktiver werden, erklärte Köhler. Immer weniger junge Ärztinnen und Ärzte ließen sich in unterversorgten Gebieten nieder. Daher sollten mehr Flexibilität möglich und wirtschaftliche Risiken bei einer Niederlassung minimiert werden. Die Zukunft gehöre weniger der Einzelpraxis, sondern zunehmend Berufsgemeinschaften.
Um den Ärztemangel abzubauen, wollen BÄK und KBV intensiv mit dem Bundesgesundheitsministerium zusammen arbeiten. Erforderlich sei es zudem, den zu erwartenden Ärzte- und Behandlungsbedarf genauer zu ermitteln und sektorenübergreifend zu planen.
Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) teilt indes die Sorge um einen künftigen Ärztemangel nicht. „Wir haben mehr Fachärzte als genug und es gibt keinen seriösen Hinweis, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern würde“, erklärte Johann-Magnus v. Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes.
Probleme könnte es künftig bei Hausärzten geben, wenn nicht gegengesteuert werde, räumte er ein. „Deshalb fordern wir, dass sich alle Ärzte künftig nur noch in Regionen niederlassen dürfen, wo es einen echten Bedarf gibt.“ Der Ärzteschaft warf Stackelberg vor, mit den „Zahlentricksereien“ nur Honorarerhöhungen durchsetzen zu wollen.
© ER/aerzteblatt.de

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