Medizin
ASS spielt bei der Schlaganfallprävention künftig keine Rolle mehr
Freitag, 11. Februar 2011
Essen – Einen neuen Standard bei der Schlaganfallprävention von Patienten mit Vorhofflimmern sehen Neurologen in der neuen sogenannten AVERROES-Studie mit rund 5.600 Patienten. Darin erwies sich der neue Blutgerinnungshemmer Apixaban im Vergleich zur etablierten Acetylsalicylsäure (Aspirin®) als deutlich überlegen. Die Studie ist im New England Journal erschienen (doi 10.1056/NEJMoa1007432).
Mit Apixaban behandelte Patienten mit Vorhofflimmern haben laut der Studie ein um 55 Prozent vermindertes Risiko einen Schlaganfall zu erleiden. „Dieses Ergebnis ist ein Durchbruch in der modernen Schlaganfallprävention und wird die Weichen in der Behandlung völlig neu stellen“, sagte einer der Mitautoren,
Adjudizierung bedeutet, dass in einer verblindeten Studie, in der Ärzte und Patienten nicht wissen, welches der beiden Medikamente sie einnehmen, Ereignisse wie Schlaganfälle, Herzinfarkte oder Todesfälle von einem unabhängigen Komitee aus Experten begutachtet werden und endgültige Diagnosen gestellt werden.
Vorhofflimmern ist eine bei älteren Menschen häufig vorkommende Herzrhythmusstörung. Betroffen sind in Deutschland rund 300.000 Menschen. Durch den unregelmäßigen Herzschlag können sich Blutgerinnsel im Herz bilden, die ins Gehirn gelangen und dort Blutgefäße verstopfen können. Daraus resultiert ein fünffach höheres Schlaganfallrisiko als bei Menschen ohne Vorhofflimmern.
„Wir hoffen nun, dass Apixaban und weitere Vertreter dieser neuen Generation von Blutgerinnungshemmern schnell in Europa für Patienten mit Vorhofflimmern zugelassen werden“, betonte Martin Grond von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. © hil/aerzteblatt.de

Keine Irreführung!
Wir haben uns also ausschließlich auf Patienten mit Vorhofflimmern bezogen. Hierbei ist für Neurologen die Sekundärprophylaxe von herausragender Bedeutung. Es ist nach kardial-embolischem Schlaganfall nicht nur (insbesondere in Deutschland) üblich (Eur Neurol 2008;60:142), sondern auch leitliniengerecht, ASS einzusetzen (z.B. Leitlinien der AHA, Stroke 2011; 42:227): „For patients unable to take oral anticoagulation, aspirin alone (Class I, Level of evidence A) is recommended“. Insofern sind sowohl die Fragestellung als auch die Ergebnisse der AVEROES Studie von Bedeutung. Wir schließen uns selbstverständlich der Meinung an, daß eine effektive Antikoagulation der wünschenswerte Goldstandard bleibt. Ob Apixaban hier gleichwertig ist, wird zur Zeit noch in der ARISTOTLE-Studie untersucht.
Bezüglich der Risikoreduktion von relativ 55% entspricht dies einer absoluten Risikoreduktion von 3,7% Ereignisse pro Jahr auf 1,6%.

Irreführung und Fehlinformation im Deutschen Ärzteblatt Online
Bei der Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern ist die Gabe von ASS und ASS/Dipyridamol zur Schlaganfallprophylaxe durch thrombembolische Ereignisse in Deutschland Off-Label. Auch in den ESC-Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie vom Oktober 2010 findet sich nur die "orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten wie Phenprocoumon" ** (z. B. Marcumar) und n i c h t ASS. Die neuen ESC-Leitlinien zur kausalen Therapie von VHF stehen ja hier nicht zur Debatte.
Damit lösen sich die scheinbar 'revolutionären' Ergebnisse der Apixaban-Therapiestudie aus den USA in allenfalls profane Trendmeldungen auf: Patienten, für die die Vitamin-K-Antagonist-Therapie ungeeignet war ("was unsuitable" ***) bekamen doppelblind ("In a double-blind study" ***) und randomisiert entweder Apixaban 2X5 mg tgl. oder Aspirin 81-324 mg 1Xtgl.
Der untaugliche Versuch, Patienten mit VHF o h n e Vitamin-K-Antagonisten in der Kontrollgrupe mit dem nach ESC-Leitlinien n i c h t wirksamen ASS zu behandeln, führte in der VHF-Patientengruppe o h n e Vitamin-K- Antagonisten u n d mit der Apixaban-Therapie zu einer Risikominderung für Schlaganfall und systemischer Embolie ("reduced the risk of stroke or systemic embolism" ***). Das Risiko größerer Blutungen oder intrakranieller Hämorrhagien war nicht signifikant gesteigert.
Aber die wesentliche, klinisch hochrelevante Fragestellung: Das neue Abixaban vs. das wirksame und leitliniengerechte Phenprocoumon in der Schlaganfall- und Embolieprophylaxe bei unseren Patienten mit Vorhofflimmern wurde gar nicht geprüft. Und dreimal dürfen Sie raten, weshalb? Weil die Apixaban Studie bei Patienten mit VHF, veröffentlicht im NEJM ***, von den Firmen Bristol-Myers-Squibb und Pfizer mitfinanziert und gefördert wurde ("Funded by..." ***).
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM DO
Anmerkungen
* Gelbe Liste Pharmindex mmi 4/2010
** Ärzte Zeitung online, 13.10.2010
*** http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1007432?query=featured_home

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