Politik
Deutscher Ethikrat: Diskussion über den Hirntod
Donnerstag, 22. März 2012
Berlin – Als der Neurologe Alan Shewmon vom Medical Center der University of California in Los Angeles gestern in Berlin auf Einladung des Deutschen Ethikrates in Berlin über die „Medizinische Betrachtung des Hirntods“ referierte, war der Andrang groß. Shewmon vertritt die Ansicht, dass das Gehirn nicht der zentrale Integrator aller menschlichen Körperfunktionen sei.
Die Integration sei vielmehr eine Eigenschaft des Gesamtorganismus: „Hirntote sind trotz aller Abhängigkeit Organismen als Ganzes.“ Sind Menschen ohne intellektuelle Funktionen also immer noch lebende Menschen? Ja, meint Shewmon, sie seien bewusstlos, aber sie lebten. 170 Fälle hat Shewmon nach zusammengetragen, die seiner Ansicht nach belegen, dass der Körper eines hirntoten Patienten selbst nach Einstellung der Beatmung nicht sofort stirbt.
Das Gehirn sei zwar zweifellos das wichtigste Organ für die Aufrechterhaltung des menschlichen biologischen Lebens, aber auch das Gehirn sei nicht unverzichtbar. Shewmon listet unter anderem die Immunabwehr, die Wundheilung und die Fähigkeit zur Schwangerschaft auf, um dies zu untermauern. Leben sei aus biologischer Sicht eng an die Fähigkeit geknüpft, eine Vielzahl von teilweise ineinander verschachtelten Regelkreisen aufrecht zu erhalten.
Doch wenn man Transplantationen nicht auf „fragwürdigen Todeskonzeptionen“ aufbauen wolle, käme man schnell in ein Dilemma, meint Ralf Stoecker, Universität Potsdam. Denn Organspenden könnten vielen Menschen helfen und viele Leben retten. Zur Behebung dieses Dilemmas gibt es seiner Ansicht nach drei Auswege.
Eine Möglichkeit bestünde darin, Organe zu entnehmen, auch wenn die Spender noch nicht tot sind. Eine andere Möglichkeit sieht Stoecker in dem Vorschlag des Philosophen Dieter Birnbachers, die Hirntoddebatte als eine pragmatische Aufforderung anzusehen, eine Grenze zu ziehen, von der ab Explantationen erlaubt sind. Doch das hält Stoecker letztendlich für keine empfehlenswerte Alternative.
Seiner Ansicht nach kommt die Transplantationsmedizin vielmehr am besten gänzlich ohne Hirntodkonzept aus. Es komme vielmehr darauf an, wie man mit Hirntoten umgehen solle. Eine todesunabhängige Organentnahme würde allerdings zu Misstrauen der Bevölkerung in die Organentnahme führen, befürchtet nicht nur der Michael Quante, Westfälische Wilhelms-Universität Münster.
Auch Stefanie Förderreuther, Ludwig-Maximilians-Universität München, hält den „Hirntod für ein gutes Feststellungskriterium.“ Sie bedauert es, dass der Hirntod immer wieder mit anderen Hirnschädigungen wie Wachkoma und Locked-in-Syndrom gleichgesetzt würde. Wenn das Gehirn ausfällt, kommt das ihrer Ansicht nach einer inneren Enthauptung gleich.
Deshalb müsse man an der Hirntodfeststellung nichts ändern, und bei korrekter Durchführung der Hirntodfeststellung gebe es auch keine Fehldiagnosen. Förderreuther betonte außerdem, dass die Todesfeststellung in jedem Fall eine ärztliche Aufgabe sei und dass die Todesfeststellung mit einer Todesdefinition nicht gleichzusetzen sei.Kli © Kli/aerzteblatt.de

undurchblutetes Gehirn ist nach 10 Min tot. Umfassende Information gefordert.
Eine solche Absicherung durch Kernspin wäre mir jedenfalls wesentlich lieber. Nun denn.
Die Explanteuere müssen ein wahnsinniges Vertrauen in die Ärzte haben, die die Diagnose Hirntod gestellt haben. Andernfalls würden sie im Vertrauen darauf damit leben müssen, dass sie einen Totschlag begangen haben.
Was mich an der öffentlichen Diskussion massiv abstößt ist die Tatsache, dass die Öffentlichkeit nicht vernünftig darüber informiert wird, wie eine Explantation abläuft, wie viele Organe entnommen werden, und dass etwas bei einer Entnahme der Hornhaut nicht etwa nur die Hornhaut entnommen wird, sondern gleich beide Augen. Zurück bleiben entsprechende Glasaugen, wie eine an einer Explantation beteiligte Intensivmedizinerin mir versicherte.
Ich bin gerne bereit, mich auch dafür und für eine sehr umfassende Explantation zu Verfügung zu stellen. Aber ich möchte vorher umfassend und ehrlich darüber informiert werden. Das gehört einfach dazu, wenn man Organspender ernst nimmt. "Werbefilmchen" und "-broschürchen", die den Vorgang schönreden, sind da zu wenig. Hinterher bleibt das Entsetzen, wenn Angehörige merken: "So haben wir uns das nicht vorgestellt."
Es handelt sich um eine hochsensible Angelegenheit, da verbietet es sich, Menschen überreden zu wollen, so dringend auch Organe gebraucht werden, damit andere Menschen überleben können. Das Mindeste, was man verlangen muss, ist, dass Menschen ehrlich überzeugt werden. Und dazu gehört eine umfassende ehrliche Information. Die kann ich bisher leider nicht erkennen.

Schwarzmarkt trotz Überangebot ?
Ist es nicht so, dass es bei der angenommenen Spendebereitschaft aller nichtwidersprechender (wie es in den Niederlanden der Fall ist) ein absolutes Überangebot an Organen geben wird, sodass der Schwarzmarkt faktisch ausgeschaltet wird ?

Erfahrungsbericht - Hirntoddiagnostik unsicher
Man kann nur spekulieren, welchen Verlauf ihr Leben genommen hätte, wenn der Eingriff wie geplant stattgefunden hätte ......

@kairopax
Man hatte das Gefühl, dass jemand weiß, wovon er redet. Leider gibt es das (wie man ansonsten sieht) viel zu wenig.
Ich bin auch froh, dass es den Ethikrat gibt. Und auch diese öffentliche Diskussion.
Viele Grüße
S.

Hirntod - totes Hirn? toter Leib ?
oder
quo usque tandem ? !
Lasst Euch doch alle Ihr Hirntoten bei lebendigem Leibe alle jene Organe ausweiden, die gerade benötigt werden, bei frontal aufgetrenntem Leib, das Sternum mit der Säge und so . . . um die großen Retter der Mitmenschen-Leben zu sein und dabei er-leben, wie es ist am Hirn tot zu sein, aber am Leib noch zu leben !!! Dann können alle Hirntoten Lebensretter endlich - allerdings zum endgültigen Schluss auch noch er-leben,
wie weh es tut bei totem Hirn und lebendigem Leib Schmerzen zu fühlen und
wie es ist, wenn der lebende Leib dann endgültig ent-seelt wird durch die Hände eines/einer KollegIn, die dann den endgültigen Tod dem Leib verpasst und das "untote" Hirn vom Leben "erlöst" . . . ..
Die ganze Diskussion ist nur deshalb erst (er)möglich(t) worden, weil wir den Bezug zu unserem Selbst verloren haben. "Schöne neue Welt", in der die belebende Energie = Seele, weil sie ein renaissance-vernarrter Wissen-"Schafftler" nicht hat wiegen können (ver-messen, wie er war) nichts mehr gilt. Oh sic takuisses, Du Seelen-Nihilist (vom Schöpfenden Gott ganz zu schweigen!) - diskutiere nur weiter und beschimpfe jene, die der Seele und dem Leben MEHR BEDEUTUNG geben, als einem toten Hirn !
Alle Beteiligten werden ES erleben - es geht nur um die Qualität dabei (und die wird gar zu oft mit Quantität verwechselt - eben, weil das Hirn bei Lebzeiten bei zu Vielen (KollegInnen) schon tot ist . .
Ohne "sorry",
aber herzlichst, kollegial
und herzhaft,
Dr. Richard Barabasch

Die Hirntodfeststellung gehört ohne Zweifel in den Ethikrat
Die Kommentare doc.nemo und mediko sind ein beredtes Zeugnis dafür, wie notwendig der Ethikrat ist.
Es ist nur überheblich, wenn Ärzte meinen, man solle alle außer Ärzten von der Diskussion ausschließen. Möglicherweise sollte man im Gegenteil uns Ärzte als Befangene als erste ausschließen.
Zu meiner Person, ich bin seit mehr als 30 Jahren Arzt und beinahe ebenso lange Notarzt. Als Notarzt war ich bisher acht mal eingebunden in die Frage einer Organspende. Zweimal kam es zur Spende und sechsmal nicht. In jedem einzelnen Fall ist von den Angehörigen die Frage gestellt worden, ob der Verletzte tatsächlich tot sei, und jedesmal habe ich wahrheitsgemäß mit nein geantwortet. Nein, aber er wird nach menschlichem Ermessen nie wieder leben können, so wie wir das verstehen, aber, solange er noch lebe könne man seine Organe sinnvoll nutzen für Menschen, die dringend auf Spenderorgane warten.
Die Abwendung von der Hirntodkonstruktion würde keinen Einbruch in der Spendebereitschaft bedeuten, eher das Gegenteil wäre der Fall.
Ich bin außerdem seit mehr als zehn Jahren Delegierter der baden-württembergischen Ärztekammer. Außerdem war ich 18 Jahre lang Ältester in einer Gemeinde der evangelischen Kirche.
Meine ablehnende Haltung gegenüber der Hirntodregelung ist ebenso deutlich wie meine Zustimmung zur Organspende, und beides hat sich entwickelt aus der Arbeit als Arzt, der Arbeit als Berufspolitiker und der Arbeit als Kirchenvertreter.
Keine Verwerfungern geben sich aus den drei Feldern bezüglich meinem Ja zum Ethikrat. Ein deutliches Nein gegenüber dem, was sich in den doc.nemo- und mediko-Äußerungen widerspiegelt.
Dr.Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

Überflüssige Diskussion

unsäglich !!! - diese Diskussionen
"Die Lebendspende kommt auch ohne jede Form der Todfeststellung aus" - was für ein fulminanter Schwachsinn (oder sollte das ein kabarettistischer Beitirag sein, den ich irrtümlicherweise ernst genommen habe ? Also richtig jedenfalls: Die Lebendspende heißt "Lebend"-Spende, weil da keiner tot ist. Damit kommt aber nicht weit, wenn ein Herz benötigt wird - gelt ? Mal bißchen nachdenken vorm Loslabern würde schon helfen ...
Das Hirntodkonzept ist sachgerecht, sicher, praktikabel, erprobt und bewährt. Die grenzenlos erweiterten Dumm- und Pseudo-Diskussionen helfen sicher nicht, mehr Menschen als bisher zur Spende zu motivieren. Deshalb mein Votum: Schluss mit der Diskussion ! Vor allem in Presse, Funk, Fernsehen, Talkshows und ähnlichen Schwätzerplattformen.

die Diskussion muß weitergehen!
Kann man / darf man Transplantationen auf „fragwürdigen Todeskonzeptionen“ aufbauen weil man "mit Organspenden vielen Menschen helfen und viele Leben retten kann"?
Das Dilemma, welches Ralf Stoecker anspricht, steckt in dem Wort "weil".
Herr Stöcker hat recht, man käme tatsächlich gänzlich ohne Hirntodkonzept aus, wenn es nur darum geht, daß man transplantieren will. Die Lebendspende kommt schließlich auch ohne jede Form der Todfeststellung aus.
Dann aber frägt er, wie man mit Hirntoten "umgehen" soll.
In meinem Sprachverständnis "geht man" nur mit Lebenden "um". Das BGB (§ 1684) regelt beispielsweise den Umgang von Kindern mit ihren Eltern, nicht aber den von toten Kindern. Das die Frage gestellt wird, ist ein Beispiel einer Freud'schen Fehlleistung und zeigt das wahre Dilemma.
Dieses Dilemma offenbart sich auch bei Frau Förderreuther: "bei korrekter Durchführung der Hirntodfeststellung gebe es auch keine Fehldiagnosen". Dieser Satz beruhigt nicht, denn er impliziert eine inkorrekte Durchführung, was ganz selbstverständlich den allgemeinen Fehlerüberlegungen entspricht. Und Herrn Shewmans 170 Fälle sind ein möglicher Beleg für das echte Vorliegen von Fehlern.
Nonsens ist der Satz, der „Hirntod {sei ein} gutes Feststellungskriterium“. Vielmehr gibt es doch nur umgekehrt Kriterien für eine Hirntodfeststellung. Wofür auch sollte der Hirntod selbst ein Kriterium sein? Die Kriterien allerdings, die man bei der Hirntodfeststellung nutzt, sind umstritten, also keineswegs unwidersprochen gute Kriterien.
Birnbachers Vorschlag, "die Hirntoddebatte als eine pragmatische Aufforderung anzusehen, eine Grenze zu ziehen, von der ab Explantationen erlaubt sind" ist eines Philosophen eigentlich unwürdig. Wir wollen Organe entnehmen und beraten darüber, ob und ab wann wir das tun dürfen. Dann sagt einer, sobald das Gehirn tot sei, und sobald der das sagt, beschließen wir, die Debatte hat begonnen, folglich können wir jetzt beginnen – stellen Sie sich Kriegsminister vor, die den Einsatz von Atomwaffen überdenken, und einer sagt, sobald der Gegner darüber nachdenkt. Und mit Beginn dieser Debatte dürfen dann Atomwaffen eingesetzt werden.
Es entbindet uns keiner (kein Bundestag und keine Ärztekammer) und nichts (keine Hirntodfeststellung und kein Pragmatismus) davon, sorgfältig, und solange der Organismus noch lebt, darüber zu entscheiden, ob und wann wir einen Menschen zum Organspender machen.
Und diese Debatte wird weitergehen, bis hier endlich Ehrlichkeit herrscht.
Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

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