Medizin
Nierenfunktion: Neue Formel vermeidet Überdiagnose
Mittwoch, 9. Mai 2012
Baltimore – Die zur Einordnung der Nierenfunktion häufig verwendete MDRD-Formel unterschätzt die Leistungsfähigkeit der Nieren. Eine neue CKD-EPI-Formel vermeidet die Überdiagnose von chronischen Nierenerkrankungen und kann einer Meta-Analyse im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2012; 307: 1941-1951) zufolge die Prognose der Patienten besser einschätzen.
Vor zehn Jahren hat die US-National Kidney Foundation eine neue Klassifikation der chronischen Niereninsuffizienz vorgeschlagen, die sich auch in Deutschland durchgesetzt hat. Sie beruht auf einer Einteilung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) in fünf Stadien. Als Grenze zur Niereninsuffizienz gilt das Stadium 3 mit einem Abfall der GFR auf unter 60 ml/min/1,73 m2.
Die GFR wird jedoch nur selten direkt bestimmt. Dazu muss den Patienten nämlich eine exogene, nicht im Körper vorhandene Substanz verabreicht und der Abfall im Plasma mehrfach bestimmt werden. In der Regel wird nur eine einzige Bestimmung des „endogenen“ Kreatininwerts durchgeführt. Seine Höhe hängt allerdings nicht nur von der Clearance in der Niere ab.
Auch die Muskelmasse, körperliche Aktivität, Lebensalter, Geschlecht und die Diät beeinflussen den Kreatininwert. Für die Klassifikation der National Kidney Foundation verwenden die Labore deshalb eine Formel, die die Störgrößen berücksichtigen sollen. Häufig kommt die MDRD-Formel (Modification of Diet in Renal Disease) zum Einsatz, in die neben Serum-Kreatinin Alter, Geschlecht und Hautfarbe einfließen.
Die MDRD-Formel neigt nach Ansicht vieler Nephrologen jedoch zu einer Überdiagnose der Niereninsuffizienz. Vor allem Abklärungen von Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz im „Stadium 3 plus“ haben seit Einführung der Klassifizierung deutlich zugenommen, beklagt Kamyar Kalantar-Zadeh vom Los Angeles Biomedical Research Institute (LA BioMed) im Editorial. Aus diesem Grund hat die „Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration“ (CKD-EPI) kürzlich eine neue Formel entwickelt, die die zur Berechnung der GFR gleichen vier Parameter einsetzt, aber anders gewichtet.
Welche Folgen dies für die Diagnostik des chronischen Nierenversagens hat, haben Kunihiro Matsushita von der Johns Hopkins Universität in Baltimore untersucht. Grundlage waren die Daten von 1,1 Millionen Erwachsenen aus 45 Kohorten, die das gesamte Spektrum der Nierenfunktion abdecken und die über durchschnittlich 7,4 Jahre nachbeobachtet wurden.
Obwohl die beiden Formeln die gleichen Parameter benutzen, wurde etwa ein Viertel der Teilnehmer mit der CKD-EPI-Formel in eine andere Kategorie der Nierenfunktion eingestuft als mit der MDRD-Formel. Die Prävalenz einer Niereninsuffizienz (Stadium 3 bis 5) sank in den Kohorten, die die Allgemeinbevölkerung abbildeten, von 8,7 auf 6,3 Prozent. In den Kohorten mit einem erhöhten Risiko ging die Prävalenz von 17,7 auf 14,6 Prozent zurück.
Die neue Formel senkt damit die Zahl der Patienten, bei denen weitere Untersuchungen notwendig werden. Dass dies keinesfalls dazu führt, dass mehr ernsthaft nierenkranke Patienten übersehen werden, zeigen die Daten zur Nachbeobachtung. Die allgemeine Sterberate und die Zahl der Herz-Kreislauf-Todesfälle war bei den Teilnehmern, die in eine günstigere Kategorie wechselten, niedriger als bei den Teilnehmern, die weiter als niereninsuffizient eingestuft wurden.
Für das Autorenteam um Matsushita und den Editorialisten Kalantar-Zadeh liefert die CKD-EPI-Formel deshalb eine präzisere Einstufung der Nierenfunktion. Für Kalantar-Zadeh ist aber klar, dass der Kreatininwert ein ungenauer Biomarker bleibt. © rme/aerzteblatt.de

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