Medizin
Natalizumab: JC-Virus, Therapiedauer und Immunsuppression als Risiko
Montag, 21. Mai 2012
Cambridge – Bis Ende Februar 2012 sind 212 Patienten unter der Therapie mit Natalizumab an einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) erkrankt. Neben einer Infektion mit dem JC-Virus, dem Auslöser der PML, gehören auch eine frühere Therapie mit Immunsuppressiva und eine längere Behandlungsdauer mit Natalizumab zu den Risikofaktoren. Dies zeigt die jüngste Analyse der Postmarketing-Surveillance im New England Journal of Medicine (2012; 366: 1870-1880).
Natalizumab ist ein monoklonaler Antikörper. Er hemmt die Adhäsion von Leukozyten an den Wänden von Blutgefäßen und damit den Übertritt ins Gewebe. Bei der multiplen Sklerose verhindert Natalizumab, dass sich neue Entzündungsherde im Zentralnervensystem bilden. Der Wirkstoff macht das Gehirn aber auch schutzlos gegenüber Krankheitserregern.
Ein bei Gesunden harmloses Virus kann bei den Patienten zu einer tödlichen Gefahr werden. In den ersten Monaten nach der US-Einführung von Tysabri im Jahr 2004 wurden gleich drei Erkrankungsfälle bekannt. Der Hersteller musste das Medikament vom Markt nehmen. Aufgrund seiner guten Wirkung und dem Bedarf nach einem wirksamen Medikament wurde Tysabri 2006 wieder eingeführt. Zu den Bedingungen gehörte eine strenge Postmarketing-Surveillance.
Die jüngste Auswertung zeigt, dass das Risiko einer PML im Allgemeinen gering ist. Gary Bloomgren vom Hersteller Biogen Idec in Cambridge/Massachusetts setzt die 212 Erkrankungen mit 99.571 Patienten in Beziehung, die weltweit bisher mit Tysabri behandelt wurden. Dies ergibt eine Inzidenz von 2,1 Erkrankungen auf 1.000 Patienten. Alle 54 Patienten mit PML, bei denen vor Behandlungsbeginn ein Antikörpertest durchgeführt wurde, waren seropositiv auf das JC-Virus. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend, da das JC-Virus bekanntlich der Auslöser der Erkrankung ist.
Für alle Patienten, die vor Therapiebeginn negativ auf das JC-Virus testen – das waren fast die Hälfte der getesteten Patienten – ist dies eine gute Nachricht, auch wenn der Editorialist Allan Ropper vom Brigham and Women's Hospital in Boston mahnend darauf hinweist, dass sich die Patienten auch während der Therapie jederzeit mit Natalizumab infizieren können. Aufgrund der Immunsuppression könnte das Risiko sogar erhöht sein.
Für Patienten, die bereits zu Beginn der Therapie mit dem JC-Virus infiziert sind, ist Vorsicht geboten, vor allem wenn die beiden anderen Risikofaktoren hinzukommen: Für seropositive Patienten, die mit Immunsuppressiva vorbehandelt waren und 25 Monate oder länger mit Tysabri behandelt wurden, gibt Bloomgren die Inzidenz einer PML mit 11,1 Fälle pro 1.000 Patienten an. Das ist eine PML auf 90 Patienten. Da die Erkrankung häufig tödlich verläuft oder schwere Behinderungen hinterlässt, ist dies für Ropper eine beunruhigende Zahl.
Die Publikation macht leider keine Angaben zum Verlauf der Erkrankung. Die Prognose dürfte von der frühzeitigen Diagnose abhängen. Neben der sofortigen Beendigung der Therapie mit Natalizumab wird ein Plasmaaustausch empfohlen. Die Gruppe um Sandra Richman von Biogen Idec berichtete im letzten Jahr, dass 27 von 35 Patienten (71 Prozent) die PML überlebt hätten. Die Prognose sei möglicherweise günstiger als in anderen Gruppen. Die PML kann auch im Rahmen der Immunschwäche Aids oder unter der Behandlung mit anderen potenten Immunsuppressiva auftreten. © rme/aerzteblatt.de

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