Medizin
Genomanalyse des Kindes aus dem Blut der Mutter
Donnerstag, 7. Juni 2012
Seattle – US-Genetikern ist das Kunststück gelungen, das Genom von Feten mit Hilfe einer Blutprobe der Mutter und einer Speichelprobe des Vaters zu rekonstruieren. Dass die in Science Translational Medicine (2012; 4: 137ra76) vorgestellte Technik die nicht-invasive Pränatal-Diagnostik erweitert, ist vorerst nicht erkennbar.
Die meiste DNA befindet sich innerhalb der Zellen und dort im Zellkern. Im menschlichen Organismus zerfallen jedoch zu jedem Zeitpunkt Zellen. Dabei gelangt die DNA ins Blut. Ihre Fragmente sind plazentagängig, weshalb sich im Blut der Mutter immer auch etwas DNA des Feten befindet. Der Anteil der fetalen DNA an der zellfreien DNA im Blut der Mutter kann im Verlauf der Schwangerschaft auf bis zu 10 Prozent steigen.
Findige Genetiker haben bereits Methoden entwickelt, mit der sich Chromosomenaberrationen wie das Down-Syndrom im Blut der Mutter nachweisen lassen. Sie nutzen hierbei statistische Ungleichgewichte, die sich aus dem zusätzlichen Chromosom 21 und den darauf befindlichen Genen ergeben. Auch das Geschlecht des Kindes kann heute zuverlässig in einer Blutprobe der Schwangeren bestimmt werden. Eine Vaterschaftsanalyse ist ebenfalls möglich, wenn bestimmte genetische Varianten des mutmaßlichen Erzeugers bekannt sind.
Das Team um Jay Shendure von der University of Washington in Seattle hat diese Methode jetzt wesentlich verfeinert. Es gelang ihnen aus dem Blut einer Frau in der 18. Gestationswoche annähernd das gesamte Genom des Feten zu rekonstruieren. Für diese genetische Sisyphusarbeit (die allerdings von Automaten ausgeführt wurde), mussten die Forscher zunächst das Genom der Mutter entziffern.
Dann suchten sie im Blut der Mutter nach kleinen DNA-Bruchstücken, die von den mütterlichen Sequenzen abweichen. Mittels ausgeklügelter Statistiken konnten sie so nach und nach das Genom des Feten rekonstruieren. Die Genauigkeit der Genom-Analyse geben Shendure und Mitarbeiter mit 98 Prozent an.
Durch den Vergleich mit dem Erbgut des Vaters, der eine Speichelprobe abgegeben hatte, konnten sie schließlich sogar 39 von insgesamt 44 de-novo-Mutationen des Feten aufspüren. Dabei handelt es sich um neue Veränderungen des Erbguts, die in den Keimzellen der Eltern neu aufgetreten sind und möglicherweise genetische Erkrankungen anzeigen. Die Genauigkeit litt hier nach Angaben von Shendure jedoch an einer niedrigen Spezifität.
Die Forscher haben die Technik inzwischen an einer zweiten Familie wiederholt, bei der der Fetus erst 8,2 Wochen alt war. Auch diese Genom-Analyse in der Frühschwangerschaft erzielte eine Genauigkeit von 95 Prozent.
Die hohe Genauigkeit setzt allerdings eine „tiefe Sequenzierung“ voraus. Die DNA-Analysen wurde 78 Mal wiederholt, um labortechnische Fehler zu vermeiden, die relativ schnell eine Punktmutation vortäuschen können, die in Wirklichkeit nicht existiert.
Für eine klinische Anwendung ist die Methode deshalb nicht ausgereift, wie Shendure einräumt, und die Kosten dürften mit 20. bis 50.000 US-Dollar viel zu hoch sein. Eine Genom-Analyse des Feten ist wohl bald schon für etwa 1.000 US-Dollar in einer Chorionzottenbiopsie möglich.
Dort kann auch gezielt nach speziellen Gendefekten wie Mukoviszidose, Muskeldystrophie oder Neurofibromatose gesucht werden. Etwa 3.000 Gendefekte sind derzeit bekannt, die durch Gentests nachgewiesen werden können. Die Tests werden durchgeführt, wenn ein Elternteil als Merkmalsträger bekannt ist.
Dann kann gezielt nach einer Mutation gesucht werden. Eine Genom-Analyse könnte sämtliche bekannten Gendefekte abdecken. Sie würde darüber hinaus auch De-novo-Mutationen aufspüren. Diese treten auf der gesamten Länge des Erbguts auf. Es ist derzeit nur schwer zu entscheiden, ob eine Mutation auch zu einer Erkrankung führt oder eine harmlose Variante bildet. Gepaart mit der niedrigen Spezifität könnte eine Genom-Analyse des Feten aus dem Blut der Mutter mehr Verwirrung stiften als sinnvolle Informationen zur Verfügung stellen. © rme/aerzteblatt.de

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