Ärzteschaft
Urteil: Kassenärzte können nicht wegen Bestechlichkeit belangt werden
Freitag, 22. Juni 2012
Karlsruhe – Vertragsärztinnen und –ärzte, die von einem Pharmaunternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar. Entsprechend sind auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile gewähren, nicht wegen Bestechung zu belangen. Das hat der Bundesgerichtshof (BHG) am Freitag entschieden.
Der Straftatbestand der Bestechlichkeit wäre nur dann erfüllt, wenn es sich beim niedergelassenen Vertragsarzt um einen Amtsträger oder einen Beauftragten der gesetzlichen Krankenkassen handeln würde. Das hat der BGH jetzt verneint. Der freiberuflich tätige Kassenarzt sei weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde, begründet das Gericht seine Entscheidung. Er werde allein aufgrund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig.
Dabei sei das Verhältnis zwischen Arzt und Patient wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen sei. Der Vertragsarzt sei zwar in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge eingebunden. Das verleihe der vertragsärztlichen Tätigkeit aber nicht „den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung“. Da Krankenkassen und Vertragsärzte darüber hinaus auf einer „Ebene der Gleichordnung“ zusammenwirkten, könnten die Ärzte auch nicht als Beauftragte der Kassen gelten.
zum Thema
aerzteblatt.de
- Ärzte und Pharmareferenten wegen Bestechlichkeit verurteilt
- Bestechlichkeit von Vertragsärzten: Großer BGH-Strafsenat prüft
Deutsches Ärzteblatt print
- Entschließungen zum Tagesordnungspunkt I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik
- Korruption im Gesundheitswesen: Auf der Suche nach Gegenmitteln
aerzteblatt.de
In dem zugrunde liegenden Fall war eine Pharmareferentin, die Vertragsärzten Schecks über einen Gesamtbetrag von etwa 18.000 Euro übergeben hatte, wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Geld war im Rahmen eines „Verordnungsmanagements“ geflossen, wonach Ärzte als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens fünf Prozent des Herstellerabgabepreises erhalten sollten.
Der BGH betont, er habe nur zu entscheiden gehabt, ob korruptes Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. „Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, ist Aufgabe des Gesetzgebers“, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts.
In der Ärzteschaft stieß das Urteil des BGH auf ein positives Echo. „Diese Entscheidung stärkt die ärztliche Freiberuflichkeit“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler. Das Wichtigste sei, dass die Richter klargestellt hätten, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis wesentlich von persönlichem Vertrauen gekennzeichnet sei, und Ärzte keine Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnähmen.
Der BGH betone in seinem Urteil zu Recht, dass der freiberuflich tätige Kassenarzt weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde sei, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Das Gericht hebe damit auf die besondere, freiberufliche Stellung des Arztes ab.
Montgomery verwies in diesem Zusammenhang auf einen Beschluss des 115. Deutschen Ärztetags im Mai in Nürnberg. Dieser hatte sich gegen eine weitere Verrechtlichung des Arztberufes ausgesprochen und auf die Gefahren hingewiesen, die mit einer Degradierung von Ärzteinnen und Ärzten zu Erfüllungsgehilfen und Beauftragten der Krankenkassen verbunden gewesen wären.
Zustimmung zu dem Urteil kam auch vonseiten der Pharmaindustrie. „Wir begrüßen, dass in dieser seit langem umstrittenen Frage nun erstmals Rechtssicherheit einkehrt“, erklärte Holger Diener, Geschäftsführer des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“, einem Selbstkontrollorgan der Pharmaindustrie. Der Beschluss ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass bei der Zusammenarbeit von Pharmaunternehmen mit Ärzten klare Spielregeln eingehalten werden müssten, um schon den Anschein einer unlauteren Beeinflussung von Beschaffungs-, Therapie- oder Verordnungsentscheidungen zu vermeiden.
Für den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen geht es nach dem BGH-Urteil nun in erster Linie darum, „den Widerspruch im Strafrecht zwischen angestellten Ärzten und Freiberuflern schnellstens abzustellen“. Denn im Gegensatz zu den niedergelassenen Vertragsärzten können sich Krankenhausärzte der Bestechlichkeit schuldig machen. Hier sei der Gesetzgeber gefordert. © HK/aerzteblatt.de

@ drpfau und @ Adolar
Wenn ein Patient nachweislich ausschließen kann, dass "sein Arzt ihm seine Mittel nach medizinischer Notwendigkeit verschreibt", weil er für nicht indizierte und möglicherweise fehlerhafte Behandlungen von Dritten ein "Bakschisch" bekommt, macht sich der Arzt nicht nur zivilrechtlich aus dem "Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BBG" schadenersatzpflichtig sondern kann auch strafrechtlich wegen Körperverletzung belangt werden.
Für Juristen relativ einfach, für manche Ärzte völlig unverständlich, aber Realität! MfG

Zum Wohle des Patienten!
Erläuterungen von Herrn Dr. Schaetzler: Schmiergelder ("Provisionen") von Lieferanten für Architekten, Ingenieure: Irrtum. Das ist definitiv verboten, weil der Bauherr betrogen wird. Man fliegt aus der Kammer, wenn es rauskommt, und hat einen peinlichen Prozeß am Hals. Anders sieht es zB aus, wenn man den Bauherrn über eine begünstigte Bezugsmöglichkeit informiert, Zustimmung einholt und sich mit ihm die Provision teilt. Das wäre vielleicht ein Vorschlag für die Praxen... Vielleicht machen dann einige Patienten gelegentlich einen netten Spa- Aufenthalt mit Ihrem Arzt in der Südsee. Das fände ich schön.

Vertrauen
Vertrauen haben, wenn es ihm gleich ist, ob sein Arzt ihm seine Mittel nach medizinischer Notwendigkeit verschreibt oder weil er ein Bakschisch dafür kriegt. Und auch der Arzt sollte darauf vertrauen können, daß sein Patient ihm nicht davonläuft, wenn er erfährt, daß sein Arzt sich schmieren läßt.

Vertragsärzte sind k e i n e Kassen-Erfüllungsgehilfen!
Der Bundesgerichtshof ist ausschließlich für Grundsatzentscheidungen (z. B. Recht auf informationelle Selbstbestimmung, umfassende Parlamentsbeteiligung beim Euro-Rettungsfonds etc.) zuständig. Und es ging hier nicht ansatzweise um "Rabatte an Klinikapotheken", "Regresse" oder "indianische Heiler". Das mögen andere Kommentatoren zwar ansprechen wollen, trifft aber kaum 'des Pudels Kern'.
Ich habe die jetzige BGH-Entscheidung am 30.10.2011 als vorhersehbar kommentiert unter:
http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/recht/article/676571/staatsanwalt-aerzte-bald-wegen-korruption-belangen.html?sh=3&h=-1502397007#comment
Leider war damals kein Platz, das auch im DÄ zu kommentieren.
Am 22.11.2011 war mein Kommentar "Amtsträgerschaft absurdes Theater ". Vgl.
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/berufspolitik/article/680116/niedersachsens-kv-vertreter-aerzte-keine-amtstraeger.html?sh=1&h=-1124436423
Wenn Ärzte zu Amtsträgern oder Beauftragten der GKV-Kassen mutierten, würden nicht nur die selbstständige Freiberuflichkeit, sondern auch der Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient als Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BBG bzw. die ärztliche Schweigepflicht nach § 203 StGB ad absurdum geführt. Amtsträgerschaft und Beauftragung bedeuteten für die Krankenkassen, Räumlichkeiten, Sachkosen, Logistik, Verwaltung und Personal müssten von i h n e n gestellt werden. Den abhängigen Vertragsärzten stünde ein angemessenes Honorar z u s ä t z l i c h für die von ihnen geleistete Arbeit zu.
Außerdem ist Paragraph 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) hier juristisch nicht anwendbar:
1. ist die approbierte Ausübung der ärztlichen Heilkunde kein Gewerbe- und Geschäftsbetrieb.
2. andere Freie Berufe wie Rechtsanwälte, Notare, Architekten, Ingenieure, Künstler dürften keine Zuwendungen, Sonder- oder Erfolgshonorare einkassieren, wenn sie stets Amtsträger oder Beauftragte wären.
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Womit lässt sich der Regress begründen?

Nachrichten zum Thema


Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.