Ärzteschaft
Vertragsärzte können nicht wegen Bestechlichkeit belangt werden
Dienstag, 26. Juni 2012
Köln – Vertragsärztinnen und –ärzte machen sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar, wenn sie von einem Pharmaunternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln entgegennehmen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 22. Juni entschieden.
Der Straftatbestand der Bestechlichkeit wäre nur dann erfüllt, wenn es sich beim niedergelassenen Vertragsarzt um einen Amtsträger oder einen Beauftragten der gesetzlichen Krankenkassen handelte. Das hat der BGH verneint und klargestellt, dass Ärzte in erster Linie dem Patientenwohl verpflichtet sind und nicht den Kassen. Freiberuflich tätige Kassenärzte seien weder Angestellte noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde, erklärten die Karlsruher Richter.
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Der Vertragsarzt sei zwar in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge eingebunden. Das verleihe der vertragsärztlichen Tätigkeit aber nicht „den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung“. Da Krankenkassen und Vertragsärzte darüber hinaus auf einer „Ebene der Gleichordnung“ zusammenwirkten, könnten die Ärzte auch nicht als Beauftragte der Kassen gelten.
Im vorliegenden Fall war eine Pharmareferentin wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Sie hatte Vertragsärzten Schecks übergeben als Prämie für die Verordnung von Arzneimitteln des betreffenden Unternehmens.
5 Fragen an Oliver Pramann, Fachanwalt für Medizinrecht in Hannover
DÄ: Herr Pramann, was bedeutet das BGH-Urteil für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte?
Pramann: Das Urteil stärkt die Freiberuflichkeit, indem der BGH das Arzt-Patient-Verhältnis und die Eigenständigkeit der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen in den Vordergrund gerückt hat. Das ist eine Besonderheit, die wichtig ist für die Zukunft.
Interessant ist an dem Urteil, dass die Richter gesagt haben, es sei Aufgabe des Gesetzgebers, darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll. Das heißt, es kann durchaus sein, dass jetzt neue Straftatbestände geschaffen werden.
DÄ: Muss denn hier eine Gesetzeslücke geschlossen werden?
Pramann: Meiner Ansicht nach nicht. Denn die Zusammenarbeit von Leistungserbringern und Vertragsärzten reglementiert § 128 SGB V und die Berufsordnung der jeweiligen Landesärztekammer. Danach sind Kooperationen verboten, bei denen ungerechtfertigte Vorteile in Aussicht gestellt werden, beispielsweise wenn sich Vertragsärzte für die Verordnung von Arzneimitteln bezahlen lassen.
DÄ: Um noch einmal kurz auf die Freiberuflichkeit zurückzukommen, die durch das Urteil gestärkt wird: Was ist denn rechtlich gesehen das Wesentliche an einem freien Beruf?
Pramann: Die Freiberuflichkeit ist insbesondere die fachliche Weisungsunabhängigkeit. Bei den Ärzten ist das die Weisungsunabhängigkeit, was die Behandlung angeht. Das Wesen der Freiberuflichkeit ist das besondere Vertrauen der Patienten. Man ist Sachwalter seines Patienten und eben nicht der Krankenkassen. Das ist wichtig. Hier ist das Urteil eindeutig.
DÄ: Muss der Gesetzgeber jetzt tätig werden, um Kassen- und Krankenhausärzte strafrechtlich gleichzustellen, wie das beispielsweise die Krankenkassen fordern?
Pramann: Der Beschluss des Bundesgerichtshofs bezieht sich in der Tat nur auf niedergelassene Ärzte, nicht auf angestellte Krankenhausärzte. Damit werden beide Gruppen unterschiedlich behandelt.
Die angestellten Krankenhausärzte unterscheiden sich von den niedergelassenen Ärzten, weil sie beim Krankenhausträger abhängig beschäftigt sind. Der niedergelassene Arzt ist im Gegensatz zu den angestellten Ärzten in freier Praxis niedergelassen und damit auch als freier Unternehmer anzusehen. Dass dieser nicht Amtsträger oder Beauftragter der Krankenkassen ist, hat der Bundesgerichtshof ja mit seinem Urteil bestätigt.
Wie andere Betriebsinhaber auch, macht sich der niedergelassene Arzt nicht wegen Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr strafbar, wenn er Vorteile annimmt. Die entsprechende Vorschrift des § 299 StGB bezieht sich nicht allein auf das Gesundheitswesen, sondern gilt für alle Betriebe und Unternehmen. Auf dieser Ebene findet der Vergleich statt: Der niedergelassene Arzt darf gegenüber anderen Betriebsinhabern im Sinne des § 299 Strafgesetzbuch nicht schlechter gestellt werden.
Allerdings halte ich die geltende Rechtslage für ausreichend, um gegen Korruption im Gesundheitswesen vorzugehen – siehe die Regelung im SGB V.
DÄ: Auch die ärztliche Berufsordnung verbietet es Ärzten, für Verschreibungen oder Zuweisungen Geld oder andere Vergünstigungen anzunehmen. Sehen Sie hier Nachbesserungsbedarf?
Pramann: Nein. Denn die berufsrechtlichen Regelungen sind eindeutig. Verschreibungen und Zuweisungen gegen Entgelt sind in jedem Fall untersagt. Da können Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen auch entsprechende Sanktionen verhängen. Neben Rügen und Verweisen können das durchaus empfindliche Geldbußen sein. Natürlich sind das nicht solche Strafen, wie sie das Strafgesetzbuch – auch in Form von Freiheitsstrafen – vorsieht. Aber es kann Druck ausgeübt werden. © HK/aerzteblatt.de

Urteil bringt hoffentlich neue Diskussionen
Für mich in kassenärztlicher Niederlassung ist jedoch die Einmischung der Industrie weniger von Belang. Eine bedeutendere Rolle, die den Arzt in seiner Unabhängigkeit bedroht, spielt die Druck- und Einschüchterungspolitik der Krankenkassen, ihrer Prüfungsstellen und zum Teil auch die kassenärztlichen Vereinigungen, So wird in Deutschland festgelegt, wieviel eines bestimmten Blutdruckmittels oder eines Cholesterinsenkers man als Arzt prozentual verordnen muss,
um nicht in eine Wirtschaftlichkeitprüfung zu geraten. Zudem dürfen sie sich in der Verordnung der Medikamente nur in einem Durchnittswert bewegen, da für die Androhung eines Arzneimittelregressverfahren ein Verhaltenswert zugrunde gelegt wird, genannt das durchschnittliche Verordnungsverhalten. Dieser Wert wird dann auch vor dem Sozialgericht zugrunde gelegt, ob man mit seinem Privatvermögen hinsichtlich der "zuviel getätigten Verordnungen" verurteilt wird oder nicht. In der Kenntnis, dass wir bei vielen Erkrankungen eine eklatante medizinische und medikamentöse Unterversorgung haben, wird mit dem Festhalten an diesen Verhalten auch diese Unterversorgung fest geschrieben. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind deshalb eingeschüchtert und in der Konsequenz zurückhaltender bei Verordnungen. Dies ist ein erheblicher Eingriff in die Unabhängigkeit von Ärzten und wird täglich praktiziert. Warum ein Arzt heute nicht mehr aufs Land gehen will, kann sich jeder denken.
Der Leistungskatalog der Krankenkassen zur Versorgung der gesetzlich Versicherten besitzt einen Umfang, welcher in dieser Art gar nicht finanzierbar ist.
Daher werden einfach und aus meiner Sicht auch völlig willkürlich durch fastgelegte Budgets die Leistungen in der Art gekürzt, dass sie einfach nicht jeder bekommt. Die vollmundigen Beteuerungen der Vertreter der Krankenkassen, dass jeder das medizinisch Notwenige erhält, entsprechen einfach nicht der praktischen Realität.
Der Beruf des niedergelassenen Arztes und seine Unabhängigkeit, die wesentlicher Bestandteil eines vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses ist, werden durch SGB und BGB völlig unterschiedlich behandelt. Da sitzt man als Arzt zwischen zwei Stühlen und wird sehr allein gelassen. Ich erhoffe mir, dass die Begründung des Urteils dazu führt, auch die maroden und intransparenten Strukturen bei Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen zu untersuchen, denn deren Beeinflussung der ärztlichen Unabhängigkeit sind viel wirksamer als die aller Pharmaunternehmen zusammen.

Auf den Mond schießen
Auch der nun befragte Fach-RA ändert nichts daran, daß man leider als "Kassenpatient" und ideal zu melkender Privatpatient eigentlich zu keinem Arzt gehen kann, ohne vorab Einsicht in seine Kontobewegungen und gesponserten "Fortbildungen" bzw. "Informationsveranstaltungen" zu verlangen.
Das ist absolut deprimierend, möglicherweise auch für die Ärzte, die keine entsprechenden Lieferverträge haben, haben wollen oder brauchen.

Sanktionen folgen...
Dem Konzept entspricht es aber auch, dass der Arzt sich bei seinen freien therapeutischen Entscheidungen ausschließlich am Wohl des Patienten orientieren soll. Genau dieses kann (nicht muss) aber durch Entgegennahme von Vorteilen durch Pharmahersteller oder andere Mitspieler im Gesundheitsmarkt in Gefahr geraten. Die Richter haben für mein Empfinden herausgestellt, dass der Grundsatz, dass die therapeutischen Entscheidungen sich allein am Interesse des Patienten orientieren muss, ein Gut von überragender Bedeutung für das Gemeinwesen ist. Dass dieses durch entsprechende berufsrechtliche Regelungen ausreichend abgesichert ist, kann man sicherlich kritisch sehen. Im Ergebnis blieb dem BGH aber nach dem ehernen rechtsstaatlichen Grundsatz nulla poena sine lege nichts anderes übrig, als so zu entscheiden, wie geschehen.
Ich bin aber anders als mein Vorredner überzeugt, dass sich auch eine schwarz-gelbe Koalition diesem Problem nicht wird verschließen können. Spätestens aber in der nächsten Legislaturperiode wird das Thema sicherlich auf der Tagesordnung landen.

Weisungsunabhängigkeit des Arztes
Mit der Regressdrohung werden Ärzte durch, wie mehrfach in Berichten zu lesen war, zum Teil existenziell bedrohliche finanzielle Forderungen bedroht. Sicher sind Instrumente gegen ausufernde Kosten in einem finanziell nicht unbegrenzt ausgestatteten System sinnvoll. Trotzdem frage ich mich, wie es möglich war, dass unsere Standesvertreter zugestimmt haben, dass Ärzte für die Verordnung von Medikamenten, die ausschließlich dem Nutzen der Patienten dienen, in manchen Fällen mit dem eigenen Honorar haften müssen. Mit der Feststellung des BGH, dass Ärzte eine Weisungsunabhängigkeit bei der Behandlung besitzen, kann meines Erachtens kein Regress mehr eingefordert werden. Auch wenn es unpopulär ist, sollten wir zur Kostenbegrenzung, darüber nachdenken, wie wir die Leistungsanforderungen auf ein sinnvolles Maß begrenzen. Aus eigener Erfahrung kenne ich den Kampf gegen unsinnige, teure Maßnahmen ( "das neue Medikament ist viel schlechter, es ist ja auch billiger" ; "ich bin so verspannt, kann ich nicht mal eine Massage bekommen" ; " ich möchte mich mal so richtig durchchecken lassen, mit EKG, Labor,...").
Das Annehmen von Geldern für die Verordnung bestimmter Medikamente halte ich für extrem unärztlich und unethisch. Ich sehe die Aufgabe des Arztes in einem wohlüberlegten, kritischen Einsatz von Medikamenten, zum Wohle des Patienten und unter Berücksichtigung der begrenzten finanziellen Ressourcen der Versichertengemeinschaft.

gefühltes Unrecht

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