Medizin
Jeder 20. Patient erleidet Krankenhausinfektion
Montag, 2. Juli 2012
Berlin – Nosokomiale Infektionen sind in deutschen Krankenhäusern seltener als befürchtet. Nach einer repräsentativen Umfrage des Robert-Koch-Instituts im Epidemiologischen Bulletin (2012 26: 239-240) liegt die Prävalenz bei unter 5 Prozent. Sie ist damit vermutlich niedriger als im europäischen Vergleich und in Deutschland nicht höher als in einer früheren Studie aus dem Jahr 1974 – obwohl seither der Antibiotika-Einsatz zugenommen hat.
Die Studie ist Teil einer Erhebung des Europäischen Zentrums für Krankheitskontrolle und Prävention in Stockholm (ECDC). Für Deutschland hatte das Nationale Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen an der Berliner Charité zwischen September und Dezember letzten Jahres Kliniken befragt.
Eine repräsentative Stichprobe von 46 Kliniken mit 9.626 Patienten, ergab, dass 3,33 Prozent der Patienten (95-Prozent-Konfidenzintervall 2,92-3,81) während des aktuellen Krankenhausaufenthaltes eine Infektion erworben hatten. Die Gesamtrate der nosokomialen Infektionen betrug 4,52 Prozent (3,95-5,13). Sie umfass auch Infektionen, die Patienten sich andernorts bei medizinischen Maßnahmen, etwa in anderen Krankenhäusern, zugezogen haben.
Laut Brar Piening, Charité, sind die Daten vorläufig. Eine abschließende Auswertung und ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern sei derzeit nicht möglich, da die Untersuchung noch nicht in allen Ländern abgeschlossen ist. Der Berichterstatter des Nationalen Referenzzentrums zieht aber einen Vergleich zu der letzten und bisher einzigen nationalen Prävalenzstudie zu nosokomialen Infektionen in Deutschland aus dem Jahr 1994 (DMW 1996; 121: 1281-1287. Die Prävalenz für den aktuellen Klinikaufenthalt lag damals bei 3,46 Prozent (3,06-3,92).
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Damals und heute waren die Kliniken auch nach dem Einsatz von Antibiotika befragt worden. 1994 hatten 17,7 Prozent aller Patienten in der Klinik Antibiotika erhalten, 2011 waren es 24,07 Prozent. Es könnte deshalb sein, dass die Rate nosokomialer Infektionen trotz eines vermehrten Einsatzes von Antibiotika nicht gestiegen ist. Mit Spannung werden jetzt die Ergebnisse aus den anderen EU-Ländern erwartet.
Mit unter 5 Prozent könnte die Prävalenz in Deutschland im internationalen Vergleich niedrig sein, vermutet Piening. Eine abschließende Bewertung stehe allerdings noch aus. Sie müsse unter anderem berücksichtigen, dass das Durchschnittsalter der Krankenhauspatienten seit 1994 zugenommen (begünstigt nosokomiale Infektionen) und die durchschnittliche Liegedauer abgenommen (spricht eher gegen nosokomiale Infektionen) habe, schreibt Piening.
Am häufigsten waren nosokomiale Infektionen in größeren Krankenhäusern mit über 800 Betten. Die Gesamtprävalenz für Universitätskliniken betrug 6,0 Prozent. Unter den verschiedenen Fachrichtungen wurden die höchsten Prävalenzraten mit 18,6 Prozent bei den Intensivpatienten beobachtet.
Am häufigsten kommt es zu Harnwegsinfektionen (22,4 Prozent), vor postoperativen Wundinfektionen (24,7 Prozent), unteren Atemwegsinfektionen (21,5 Prozent), Clostridium-difficile-Infektionen (CDAD, 6,6 Prozent) und primärer Sepsis (6,0 Prozent). Die häufigsten Erreger waren Escherichia coli (18,4 Prozent), Staphylococcus aureus (13,3 Prozent) und Enterokokken (12,8 Prozent ). © rme/aerzteblatt.de

Nosokomiale Infektionen und Antibiotika im Klinikeinsatz
1994 wurde in 72 als Stichprobe repräsentativ ausgewählten Krankenhäusern eine vergleichbare Studie mit ähnlicher Methodik w. u. durchgeführt. Die Prävalenz nosokomialer Infektionen (NKI) bei aktuellem Krankenhausaufenthalt lag damals bei 3,46 % (KI95 3,06 – 3,92); die Prävalenz der Antibiotikaanwendung bei 17,7 %.
In seinem aktuellen Epidemiologischen Bulletin (2012 26: 239-240) hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Prävalenzrate der Antibiotikaanwendung von 26,94 % im Gesamtkollektiv (KI95 25,62 – 28,27) und 24,07 % in der repräsentativen Klinikstichprobe (KI95 21,92 – 26,29) angegeben.
Die Prävalenz der beim aktuellen Krankenhausaufenthalt erworbenen nosokomialen Infektionen lag bei 3,93 % in der Gesamterhebung (KI95 3,59 – 4,31) und bei 3,33 % in der Stichprobe (KI95 2,92 – 3,81). Mit den in alle Kliniken vorab bereits mitgebrachten nosokomialen Infektionen kam man auf eine Prävalenz aller Patienten mit nosokomialen Infektionen von 4,99 % (KI95 4,57 – 5,42) bzw. 4,52 % in der Stichprobe (KI95 3,95 – 5,13).
Wie zu erwarten, bedingten größere Krankenhäuser bzw. Unikliniken und intensivere Interventionsdichte höhere Prävalenzraten von Antibiotikaeinsatz und nosokomialer Infektionsfrequenz. Aber dass innerhalb von 18 Jahren der Antibiotikagebrauch je nach Gesamt- oder Stichprobenberechnung durchschnittlich um 36,0 bis 52,2Prozent zugenommen und zugleich die Rate der nosokomialen Infektionen je nach Berechnungsgrundlage um 3,75 % abgenommen bzw. nur um 13,58 % zugenommen hat, ist m. E. das Erstaunlichste an dieser RKI-Studie
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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