Medizin
Zeugen Jehovas überleben Herzchirurgie häufiger
Dienstag, 3. Juli 2012
Cleveland – Obwohl Zeugen Jehovas Bluttransfusionen aus religiösen Gründen ablehnen, war das postoperative Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko nach herzchirurgischen Eingriffen an einer renommierten US-Klinik niedriger als bei anderen Patienten. Dies kam jetzt in einer Studie in den Archives of Internal Medicine (2012; doi: 10.1001/archinternmed.2012.2449) heraus.
Viele Herzchirurgen überlegen es sich zweimal, ob sie bei einem Zeugen Jehovas eine Bypassoperation oder einen Klappenersatz wagen. Denn die Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft lehnen Bluttransfusionen selbst im Notfall ab. Einige verweigern auch den Einsatz von nicht-zellulären Blutbestandteilen wie Albumin, Immunglobulinen oder Gerinnungsfaktoren. Im Fall einer stärkeren Blutung, die bei Herzoperationen häufig sind, sind die therapeutischen Optionen eingeschränkt.
Eine Operation ist bei Zeugen Johovas nur möglich, wenn der zu erwartende Blutverlust gering ist. Außerdem gibt es eine Reihe von „blutsparenden“ Verfahren. Dazu gehört die Steigerung des Hämatokrit durch eine präoperative Therapie mit Erythropoetin, die Substitution von Eisen und Vitamin-B-Komplexen, sowie intraoperativ der Einsatz von Antifibrinolytika und Cell-Savern. Postoperativ müssen die Mediziner frühzeitig auf Blutungen reagieren.
Unter 87.775 erwachsenen Patienten, die in den Jahren 1983 bis 2011 in der Herzchirurgie der Cleveland Clinic operiert wurden, waren 322 Zeugen Jehovas. Sie unterzogen sich überwiegend Bypass-Operationen und Klappenersatzoperationen. Von Herztransplantationen oder andere Eingriffe, die den Einsatz einer Herzlungenmaschine erforderlich machen, wurde abgesehen.
Wie Gregory Pattakos von der Herzchirurgie der Cleveland Clinic berichtet, kam es nur zu 10 Todesfällen in der Klinik. Die Mortalität von 3,1 Prozent war damit sogar niedriger als in einer Vergleichsgruppe, die Pattakos für eine Propensity-Analyse ausgesucht hat. Bei einer Propensity-Analyse sollten alle Patienteneigenschaften übereinstimmen, um eine Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden. Pattakos ermittelte für seine Kontrollgruppe eine Kliniksterblichkeit 4,5 Prozent. Auch die Einjahresüberlebensrate war bei den Zeugen Jehovas mit 95 versus 89 Prozent höher. In der 20-Jahresüberlebensraten (34 versus 32 Prozent) gab es keine signifikanten Unterschiede mehr.
Pattakos kann auch für eine Reihe von Morbiditätsendpunkten einen Vorteil für die Zeugen Jehovas nachweisen: Sie erlitten seltener einen Herzinfarkt (0,31 versus 2,8 Prozent) und mussten weniger häufig wegen einer Nachblutung erneut operiert werden (3,7 versus 7,1 Prozent). Sie wurden seltener beatmet (6 versus 16 Prozent) und wurden früher von der Intensivstation und aus der Klinik entlassen.
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Dieses überraschende Ergebnis wäre vor einiger Zeit noch auf eine Schwäche in der Propensity-Analyse zurückgeführt worden. Als retrospektive Auswertung lässt sich ein Ungleichverteilung niemals völlig ausschließen, und es ist durchaus wahrscheinlich, zumal die Chirurgen die Operationsfähigkeit bei einem Jehova-Zeugen besonders gründlich prüfen werden (ohne dass dies an Einträgen in den in den Krankenakten erkennbar sein muss).
Doch in den letzten Jahren wurde klar, dass der Einsatz von Blutransfusionen neben dem wichtigsten Vorteil, nämlich die Sauerstoffversorgung im Gewebe zu verbessern, auch Nachteile hat. Der Editorialist Victor Ferraris zählt eine immunmodulatorische Wirkung, ein potenzielles Infektionsrisiko und die Volumenbelastung auf, die gegen die Vorteile einer Bluttransfusion abzuwägen sind.
Ferraris hält es durchaus für möglich, dass die Beschränkung bei den Bluttransfusionen und der stärkere Einsatz von blutsparenden Techniken auch anderen Patienten nutzen könnten. Dieser Schluss kann allerdings nicht aus einer retrospektiven Studie gezogen werden. Zu bedenken ist ferner, dass einige Techniken, die die präoperative Therapie mit Erythropoetin zur Erhöhung des Hämatokrits, ebenfalls mit Risiken behaftet sind. © rme/aerzteblatt.de

Ein Dankeschön an die innovative Ärzteschaft
Mittlerweile werden Bluttransfusionen nicht mehr als "Allheilmittel" dargestellt und die Risiken werden objektiv und fachgerecht beurteilt. Viele Ärzte kooperieren mit den Zeugen Jehovas und sind uns wertvolle Helfer geworden, nicht aus "ja man muss halt" sondern auch deshalb, weil in neuen Erkenntnissen der Forschung Blut nicht mehr als unkritisch und unbedingt lebenserhaltend angesehen wird. Es gibt viele Alternativverfahren, die sich bewährt haben und die die Risiken auf Infektionen und weitere Nebenwirkungen eindämmen. Im Jahre 2002 wurde von Herrn Dr. med Hanns Rüdiger Röttgers, Leiter des Gesundheitsamtes Landkreis Vechta ein sehr aggressiver Artikel mit der Headline "Kritik am Transfusionsverbot nimmt zu" veröffentlicht. Hier werden wir als verantwortungslos, ja sogar als absurd dargestellt. Solche Aussagen sind vehement und stellt uns immer wieder als "bemitleidenswert" und dümlich an den Pranger. Auch der Leserkommentar von Dr. med. Thomas Schätzer mit dem Titel "Manchmal hilft Glauben und Beten" geht in diese Richtung. Mit Begriffen wie Autorität, Irrationalität, Gehorsam (blinder hätte noch gut dazu gepasst), Verzicht und Zensur wird hier ins Lächerliche gezogen. Obwohl die Bibel nicht wissenschaftlich ist, hat sie bereits vielfach bewiesen, dass man ihr in Sachen Tipps und Tricks zum Leben vollständig vertrauen kann. Dass abartige Sexualpraktiken und Untreue zu Geschlechtskrankheiten, Infektionen und unheilbaren Krankheitübertragungen führt, ist nichts Neues - vom mentalen Leid sprechen wir an dieser Stelle nicht. Beim Blut ist dies nicht anders. Sehr geehrter Herr Dr. Schätzler, ich glaube ich werde meinen behandelnden Arzt demnächst einmal Fragen, ob er mich als genauso "verknittert" ansieht, wie Sie Ihre Patienten - ich denke aber, er wird es unter Lachen verneinen ;-) Ich bin mir sicher, dass in einigen Jahren das Thema Bluttransfusion vom Tisch sein wird und es gänzlich blutlose Verfahren geben wird. Wir dürfen uns als ZJ darauf freuen, nicht, wie immer behauptet wird die Bluttransfusion im "dümlich gläubigen Sinn" abgelehnt zu haben, sondern aus Gründen der Vernunft. Die Bibel stellt sich im Übrigen selbst als vernünftig vor.
In diesem Sinne
Denise Martenet Schweiz

Manchmal hilft Glauben und Beten
Von daher entfallen postoperative Durchgangssyndrome, (alkoholbedingtes) Delir, postoperatives Nieren und Leberversagen bzw. Pankreatitis. Sehr zur Freude der Chirurgen, des Personals auf Intensivstationen und in nachfolgenden AHB- bzw. REHA-Verfahren. Weniger überrascht dürften Epidemiologen und Gesundheitsökonomen sein.
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile blutloser Chirurgie - wirkich eine Überraschung?
F.R.C.A., darauf hin.

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