Medizin
Kardiogener Schock: Die Beerdigung der intraaortalen Ballonpumpe
Donnerstag, 30. August 2012
München – Die intraaortale Ballonpumpe (IABP) galt beim kardiogenen Schock Jahrzehnte lang als Ultima Ratio, die IABP-SHOCK II Studie aus deutschen Intensivstationen hat sie nun als unwirksam enttarnt. Wieder einmal konnte die empirische Logik eines Verfahrens der randomisierten klinischen Überprüfung nicht standhalten.
5 Fragen an Prof. Dr. med. Holger Thiele, Leitender Oberarzt der Kardiologie am Herzzentrum Leipzig
DÄ: Seit über 40 Jahren wird die intraaortale Ballonpumpe (IABP) bei Herzinfarktpatienten im Schock eingesetzt, gewissermaßen ein Goldstandard. Was hat Sie nun gegenüber diesem Verfahren so argwöhnisch gemacht, dass Sie den Nutzen dieses Verfahrens in einer großen Studie (IABP-Shock II) hinterfragt haben?
Thiele: Argwöhnisch hat uns gemacht, dass dieses Verfahren, obwohl es in den europäischen wie auch US-amerikanischen Leitlinien eine Klasse-1-Empfehlung hat, viel zu selten benutzt wird. Aus Europa haben wir Daten, dass die IABP nur in 25 Prozent der Fälle mit kardiogenem Schock eingesetzt wird. Das liegt vermutlich daran, dass wir Kardiologen nicht so recht daran glauben, weil wir keine randomisierten Daten haben. Für uns war das jedenfalls der Anlass, mit einer randomisierten Studie zu überprüfen, wie groß der Nutzen dieser Methode ist oder ob sie vielleicht sogar Schaden anrichtet.
DÄ: Man kann sich schon vorstellen, dass im Falle des kardiogenen Schocks mit maximalem technischen Einsatz versucht wird, den Patienten zu retten. Das Konzept der IABP erschien lange als durchaus plausibel und das reicht in der Medizin häufig, um daran festzuhalten.
Thiele: Dieser Standpunkt verfolgte uns auch, als wir die Studie aufgelegt haben. Es war daher schwierig, bei der Ethikkommission überhaupt ein positives Votum zu bekommen. Uns wurde entgegengehalten, eine randomisierte Studie mache in diesem Fall keinen Sinn, weil es sich um eine klinische Notfallsituation handelt, die dazu zwingt, eine IABP einzubauen. Diese Argumentation ist wohlbekannt: Man braucht doch keine randomisierte Studie zu machen, um zu beweisen, dass ein Regenschirm vor Regen schützt oder dass ein Fallschirm, wenn man damit aus dem Flugzeug abspringt, das Leben rettet. Mit viel Einsatz und Sachargumenten gelang es uns schließlich, die Kommission zu überzeugen.
DÄ: Die Studie hat nun alles andere als eine Bestätigung der empirischen Glaubenssätze gebracht. Sind die Ergebnisse eindeutig, ist daran zu rütteln?
Thiele: Aus unserer Sicht ist das eindeutig, auch wenn es einen nicht signifikanten Mortalitätsunterschied von 1,6 Prozent zugunsten der Pumpe gegeben hat. Aber wir haben multivariabel adjustiert und Per-Protokoll-Analysen durchgeführt und nichts gefunden, was für einen Überlebensvorteil mit der Pumpe sprechen würde. Und was meiner Meinung nach am meisten dazu beiträgt, dass an diesem Ergebnis nicht zu rütteln ist: es gab keine Unterschiede in den sekundären Endpunkten, die eigentlich viel sensitiver anzeigen müssten, dass es mit der Pumpe einen Vorteil gibt: zum Beispiel beim Serumlaktat, einem der sensitivsten Marker, der anzeigt, dass man die Gewebeperfusion und Hypoxie verbessert. Auch die Nierenfunktion oder ein intensivmedizinischer Score blieben unverändert. Auch die Katecholamindosen wie auch die Dauer der Katecholamininfusionen konnten nicht verringert werden: also kein positiver Effekt durch die IABP.
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DÄ: Ist die Methode damit out oder gibt es Risikokonstellationen, unter denen es sich doch lohnen könnte, die Pumpe anzuschließen.
Thiele: Also wir haben in unserer Subgruppen-Analyse keine Risikogruppe gefunden, die profitiert hätte. Es gibt natürlich noch andere Einsatzgebiete für die IABP wie die Hochrisiko-PTCA, wobei es dazu auch keine Daten gibt. Einige wenige Daten gibt es zum Einsatz nach Bypass-Operationen, wenn die Patienten von der Herz-Lungen-Maschine nicht loskommen. In der Herzchirurgie wird man die IABP auch künftig einsetzen, während man sie in der Kardiologie sicherlich nicht mehr so häufig brauchen wird, wenn man die Ergebnisse der IABP-SHOCK II-Studie in den klinischen Alltag umsetzt.
DÄ: Gab es in der Studie noch mehr Überraschungen?
Thiele: 60 Prozent der Patienten im kardiogenen Schock überleben, wenn sie eine Revaskularisation bekommen, unabhängig davon ob eine mechanische Unterstützung verwendet wird. Es wäre nun wichtig herauszufinden, ob die 40 Prozent der Patienten, die heute noch sterben, nicht doch noch Chancen hätten. Wenn wir sie identifizieren könnten – vielleicht mit bestimmten Prognosescores – wäre zu überlegen, ob nicht ein aktives Assist Device, also ein Kreislaufunterstützungssystem, eingebaut werden sollte.
Aber die Evidenz dafür ist auch sehr limitiert. Wir haben nur 3 randomisierte Studien mit aktiven Assist Devices im Vergleich zur IABP, die nur 100 Patienten eingeschlossen haben. In diesen Studien zeigte sich kein Überlebensvorteil für ein Assist Device bei gleichzeitig mehr Komplikationen durch die höhere Invasivität.
In unserer Studie haben 5,5 Prozent der Patienten ein Assist Device bekommen. Die Sterblichkeit betrug bei diesen Patienten 69 Prozent und war deutlich höher im Vergleich zu den Patienten ohne ein Assist Device, was aber natürlich nicht am Device lag sondern an der Selektion von Patienten mit sehr schwerem refraktären kardiogenen Schock. © JA/aerzteblatt.de

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