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Politik

Woran das deutsche Gesundheitssystem krankt

Freitag, 28. September 2012

Jürgen Windeler

Berlin – „Im deutschen Gesundheitssystem gibt es Anreize für Ärzte, etwas zu tun. Es gibt aber keine Anreize dafür, etwas zu lassen.“ Das sagte der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitssystem (IQWiG), Jürgen Windeler, bei der Vorstellung des Buches „Heillose Zustände“ von Werner Bartens in Berlin. Das sei eine der falschen Weichenstellungen in Deutschland.

Wirbelsäulenoperationen, zum Beispiel, nähmen jedes Jahr kontinuierlich zu. Das habe damit zu tun, dass es finanzielle Nachteile bringe, sie nicht durchzuführen. Auch für die sprechende Medizin gebe es viel weniger Geld als für hochspezialisierte technische Leistungen. „So ist das System angelegt“, sagte Windeler. Mit dem Heilen von Patienten habe das jedoch nicht immer etwas zu tun.

In seinem Buch stellt der Journalist und Arzt Bartens die These auf, dass neue Krankheiten erfunden würden, um das Gesundheitssystem am Laufen zu halten. „Die Medizin wird weitgehend als Wachstumsbranche verstanden. Dafür braucht man Angebot und Nachfrage“, sagte Bartens. Wenn die Menschen aber nicht kränker würden, würden daher zum Beispiel die Wechseljahre pathologisiert, eine normale Trauer zur Depression ausgeweitet oder die Grenzwerte für Hypertonie oder Diabetes gesenkt.

Ähnliche Ansichten hatte vor Jahren bereits der „Spiegel“-Journalist Jörg Blech vertreten. Er wurde 2003 mit seinem Buch „Die Krankheitserfinder“ bekannt. „Ich teile die These von Bartens“, erklärte der Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, Gerd Antes. Die wissensbasierte Medizin habe klinische Studien als ihre Basis. Diese würden jedoch vielfach, global organisiert, von Pharmaunternehmen durchgeführt. „Diese Arbeit kann aber nur neutral vorgenommen und vom Steuerzahler bezahlt werden. Sonst gibt es eine Schieflage“, so Antes.

„Im Gesundheitssystem ist der Einfluss der Lobbygruppen extrem groß“, meinte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach. Deshalb müsse es mehr intelligente Regulierungen geben. Zum Beispiel müsse die Politik Anwendungsbeobachtungen verbieten und Regeln einführen, nach denen schlechte Studien nicht mehr durchgeführt werden dürften.

Windeler kritisierte, dass das deutsche Gesundheitssystem in Teilen eher einem Wirtschaftsförderungssystem gleiche. Anfang der 1990er-Jahre habe er an einer Positivliste für Arzneimittel mitgewirkt, die bereits den Bundestag passiert habe, dann aber vom Bundesrat gestoppt worden sei mit der Begründung, eine solche Liste gefährde Arbeitsplätze in Deutschland. © fos/aerzteblatt.de

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