Ärzteschaft
„Medizinstudierende sollen sich entspannt entscheiden können“
Dienstag, 2. Oktober 2012
Rostock – Was können diejenigen, die die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen müssen, an Anregungen von Wissenschaftlern mitnehmen? Attila Altiner sagt: „Unter anderem, dass es die eine Lösung für alle Regionen nicht gibt.“Altiner ist Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Rostock und Sprecher der Sektion Forschung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Rostock war Tagungsort des jüngsten DEGAM-Kongresses, ein Schwerpunktthema war die hausärztliche Versorgung auf dem Land.
5 Fragen an Attila Altiner zur Zukunft der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum
DÄ: Herr Professor Altiner, wurden bei der jüngsten DEGAM-Tagung in Rostock Forschungsergebnisse präsentiert, von denen diejenigen, die sich praktisch um die ambulante Versorgung im ländlichen Raum kümmern müssen, etwas übernehmen können?
Altiner: Ja. Und zwar unter anderem, dass es nicht die Lösung für alle Regionen gibt. Wir wissen das ja auch aus der Forschung in anderen Bereichen. Wenn man beispielsweise das Verhalten von Hausärzten und Patienten verändern will, dann sind es die so genannten multifacettierten Interventionen, die den größten Erfolg haben. Im besten Fall addieren sich dann einzelne Bestandteile von Maßnahmen nicht nur, sondern sie multiplizieren sich.
DÄ: Welche Interventionen könnten konkret helfen, die Versorgung auf dem Land zu sichern?
Altiner: Solche, die früh ansetzen. Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass Frauen und Männer mit dem Medizinstudium beginnen, die überhaupt ärztliche Versorger werden wollen. Wir brauchen Nachwuchs, der Lust hat, mit Freude und Engagement Patienten zu versorgen. Das gilt übrigens für alle Fachbereiche, nicht nur für die Allgemeinmedizin. Zusätzlich müssen wir Rollenmodelle anbieten, damit sich junge Ärztinnen und junge Ärzte mit den Ärzten, die tatsächlich Patienten versorgen, identifizieren können. Da sind wir aber sicher schon ein ganzes Stück weiter gekommen.
DÄ: Inwiefern? Was läuft schon besser als zuvor?
Altiner: Wir haben begriffen, dass man für diese Art von Nachwuchsgewinnung auch eine gewisse kritische Masse an einer Fakultät braucht. Viele Lehrstühle für Allgemeinmedizin wurden neu eingerichtet, aber noch gibt es sie nicht überall. Dazu kommt: Wenn der Bereich Allgemeinmedizin zu klein gehalten wird, dann gelingt es nicht, Studierende dafür zu begeistern. Wir wissen, dass unter anderem dieser Aspekt die regional unterschiedliche Wahrnehmung des Fachs Allgemeinmedizin durch Medizinstudierende erklärt.
Wir haben auch verstanden, dass wir noch deutlich machen müssen als bisher: In keinem anderen Fachbereich ist man so frei in der Ausgestaltung der eigenen Arbeit. Und in Zukunft wird es viele verschiedene Arbeitsformen nebeneinander geben. Die Einzelpraxis, die aber sicher besser vernetzt sein wird als heute, ist nur ein Modell.
DÄ: Während des Kongresses ging es mehrfach um die Bestimmungsfaktoren für Niederlassungen. Viele reichen weit über den Einfluss von Akteuren im Gesundheitswesen hinaus, beispielsweise familienfreundliche Lebensbedingungen vor Ort, eine gute Infrastruktur, Austausch mit Gleichgesinnten und so weiter. Mühen sich viele im Gesundheitswesen nicht vergebens, Ärztinnen und Ärzte aufs Land zu bekommen?
Altiner: Es wird sicher Regionen geben, für die gilt: Wenn die Bevölkerungsdichte sehr dünn ist, kann Versorgung so wie heute nicht mehr funktionieren. Dann muss man sich etwas anderes überlegen, und das wird nicht perfekt sein. Eines muss man aber auch sagen: Wenn wir von dünn besiedelten ländlichen Gegenden sprechen, dann ist das häufig kein Vergleich mit dem, was in anderen Ländern als dünn besiedelt gilt. Pointiert ausgedrückt: In Australien oder Nordamerika fährt man manchmal zwei Stunden bis zur nächsten Tankstelle. Von Mecklenburg-Vorpommern aus fährt man zwei, drei Stunden und ist in Berlin.
DÄ: Die Nachwuchsförderung war ein wichtiges Thema des Kongresses. Man hat den Eindruck, dass die Allgemeinmediziner selbstbewusster geworden sind und lockerer mit der Nachwuchswerbung umgehen als früher. Liegt das daran, dass das Fach mittlerweile auf mehr Interesse beim Nachwuchs trifft als früher?
Altiner: Ich denke, es gelingt uns als Fachgesellschaft zunehmend, die zu erreichen, für die die Allgemeinmedizin eine Option ist. Und dass wir mit dem Fach bei den Studierenden besser ankommen, hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir im Vergleich zu früher nicht mehr denken, wir müssten missionieren. Unsere Aufgabe an den Fakultäten lautet ja nicht, Allgemeinärzte zu stellen, sondern Medizinstudierende zur allgemeinen Arztreife hinzuführen.
An den Universitäten kann man mit einer guten Ausbildung auch viel für die tun, die später einmal gute spezialisierte Fachärzte werden wollen. Wir Allgemeinmediziner empfinden uns ja als Experten für komplexe gesundheitliche Probleme und für die Entscheidungsfindung in diesen Bereichen. Da können alle angehenden Ärztinnen und Ärzte viel von uns mitnehmen. Umgekehrt schadet es der Allgemeinmedizin nicht mitzubekommen, wie jemand vorgeht, der sich sehr tief mit einem gesundheitlichen Problem auseinander setzt. Wir sind schließlich eine ärztliche Profession.
Wir hatten sicher eine Zeitlang die Idee, den Studierenden zeigen zu müssen, wie besonders toll Allgemeinmedizin ist. Das brauchen wir aber gar nicht. Es genügt zu zeigen, dass Allgemeinärzte glücklich mit dem sind, was sie tun, dass sie die Herausforderungen ihres Fachs als interessant und belebend empfinden und dass sie keine Einzelkämpfer mehr sind.
Mit dieser Haltung bieten wir an vielen Stellen so etwas wie Andockstellen für Studierende. Sie sollen entspannt entscheiden können, und zwar vom ersten bis zum letzten Tag ihres Studiums, ob die Allgemeinmedizin eine Option für sie wäre. Das ist doch ein besseres Angebot als früher. Da war es oft so, dass man in der Allgemeinmedizin landete, weil man kein anderes überzeugendes Fachgebiet für sich gefunden hatte. © Rie/aerzteblatt.de

Es werden viel zu wenig Allgemeinmediziner in D ausgebildet
http://www.kvsh.de/index.php?StoryID=602
Es will anscheinend wirklich niemand mehr wagen wenn sich die Bedingungen nicht ändern....

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