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Politik

„Die Politik interveniert viel zu stark“

Freitag, 8. Februar 2013

Berlin – Das deutsche Gesundheitswesen leistet nicht, was es  könnte – unter anderem, weil Anreize falsch gesetzt werden. Doch wie kann man die Akteure im Gesund­heits­wesen dazu bringen, sich anders zu verhalten? Welche sinnvollen Anreize ließen sich setzen? Mit diesen Fragen befasst sich die Fachkommission Gesund­heitspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung. Helmut Hildebrandt, einer der beiden Vorsitzenden, erläutert im Interview, welche Lehren man aus der Schließung der City BKK ziehen kann und welche neuen Optionen für die Versorgung denkbar wären. Hildebrandt ist Vorstand der OptiMedis AG, vielen bekannt durch das integrierte Versorgungssystem „Gesundes Kinzigtal“.

5 Fragen an Helmut Hildebrandt, Vorstand der OptiMedis AG

DÄ: Herr Hildebrandt, was hat Sie gereizt, in der gesundheitspolitischen Kommission der Böll-Stiftung mitzuarbeiten?
Hildebrandt: Ich bin selbst Förderer der Böll-Stiftung und schätze das Grundkonzept von derartigen Stiftun­gen, nämlich zivilgesellschaftliche Denkprozesse anzu­stoßen. Was die Kommission anbelangt: Ich bin seit langem im Gesundheitswesen aktiv und interessiere mich sehr für systemische Fragen, weshalb mich die Böll-Stiftung bat, den Co-Vorsitz zu übernehmen. Seit längerem treibt mich um, dass Gesundheitspolitiker mittlerweile viel zu stark intervenieren und vor allem kostenbegrenzend handeln. Viele falsche Anreize im System werden dagegen einfach gelassen, wie sie sind. Sie führen dann unter anderem dazu, dass sich Ärzte entscheiden müssen, ob sie eher ihre ethischen oder ihre ökono­mischen Interessen verfolgen. Das müsste man mit Hilfe sinnvoller Anreizstrukturen wieder stärker zusammenführen.

DÄ: Welche Aspekte sind bei diesem Thema besonders wichtig?
Hildebrandt: Bestimmte Fehlanreize sind seit langem in aller Munde. Ein Beispiel: Gesetzliche und private Krankenversicherung arbeiten mit unterschiedlichen Vergütungssystemen. Dadurch lohnt es sich für den Arzt, zwischen Patienten zu unterscheiden und sie je nach Versicherungsstatus unterschiedlich zu behandeln.

Der Kommission ging es aber darum, einmal die Fehlanreize auf vielen Feldern, auch auf Seiten der Krankenkassen, in den Blick zu nehmen. Sie erinnern sich sicher an die Schließung der City BKK und manche Merkwürdigkeit danach: dass Krankenkassen beispielsweise mitteilten, nur bestimmte Geschäftsstellen am Stadtrand könnten Versicherte beraten, die von der City BKK zu ihnen wechseln wollten. Damals haben viele gemerkt: Auch auf Krankenkassenseite wirken Fehlanreize. Die rechtlichen und finan­ziellen Rahmenbedingungen machen es für die Kassen derzeit zu wenig interessant, beste Ergebnisse im Sinne der Gesundheit ihrer Versicherten zu erzielen. Vielmehr ist es für sie attraktiver, Teilgruppen der Gesellschaft anzusprechen und für die eigene Kranken­­­kasse zu gewinnen.

DÄ: Wieso sind für Sie die Anreizstrukturen auf der Seite der Krankenkassen so wichtig?
Hildebrandt: Die Krankenkassen bestimmen durch ihre Verträge mit allen anderen Vertragspartnern entscheidend das System. Aber Versicherte haben kaum Möglichkeiten zu beurteilen, ob ihre eigene oder eine andere Krankenkasse durch ihre Vertrags­beziehungen besonders gute Ergebnisse erzielt. Wenn solche Qualitätsvergleiche möglich wären, könnte man sehen, welche Kasse welchen Gesundheitsnutzen produziert. Versicherte wüssten zudem, was eine Krankenkasse konkret im Fall bestimmter Erkrankungen bietet.

DÄ: Fehlanreize entstehen auch dadurch, dass sich der Nutzen vieler Maßnahmen nicht rasch entwickelt, sondern oft sehr viel später. Davon profitieren dann weder Gesundheitspolitiker noch Krankenkassen im Wettbewerb. Wie sollte man mit diesem Problem umgehen?
Hildebrandt: Das ist schwierig. Es fängt schon damit an, dass viele Anreize im System so gesetzt sind, als ob die Medizin immer noch vor allem akut Erkrankte behandeln würde und nicht bereits zu einem großen Teil chronisch Kranke. Das Augenmerk liegt deshalb auf kurzfristigen Interventionen, nicht auf einer langfristigen, tragenden Coachingbeziehung zwischen Arzt und Patient. Ich glaube, diese und andere falsche Ansätze werden sich nicht so einfach im Verhältnis zwischen einzelnem Arzt und einzelnem Patienten aufheben lassen.

Dafür muss man strukturelle Anreize anders setzen, indem man beispielsweise kooperative Strukturen fördert. Diabetiker benötigen nicht nur einen Hausarzt, sondern auch einen Arzt mit diabetologischem Schwerpunkt, einen Augenarzt, möglicherweise noch einen Neurologen oder Kardiologen. Deshalb rät die Böll-Kommission der Gesund­heitspolitik, konsequent darüber nachzudenken, wie man regionale Ärztenetze oder multiprofessionelle Gesundheitsnetze etablieren kann, die Versorgungsverantwortung für ganze Gruppen der Bevölkerung übernehmen.

DÄ: Wenn über Fehlanreize im Gesundheitswesen gesprochen wird, sind die Differenzen häufig gar nicht so groß. In der Frage, wie man es besser machen kann, gehen die Meinungen aber auseinander. Welche Ansätze zu sinnvollen Anreizen hätten tatsächlich die Chance, im Gesundheitswesen implementiert zu werden?
Hildebrandt: Wir legen in unserem Bericht keine Best-Practice-Beispiele vor. Wir befassen uns mit der Frage, welche systemischen Veränderungen man vornehmen müsste und was der Gesetzgeber konkret besser machen könnte. Sonst bleibt ein Rahmensystem bestehen, das zahlreiche Fehlanreize setzt und in dem die schlimmsten Auswüchse im Grunde häufig nur durch die persönliche Ethik der Berufsgruppen verhindert werden, die in ihm arbeiten. © Rie/aerzteblatt.de

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