Medizin
Funktionelle HIV-Heilung: WHO sieht keinen Grund für neue Leitlinien
Mittwoch, 6. März 2013
Genf – Der Bericht über die „funktionelle Heilung“ einer perinatalen HIV-Infektion durch die frühzeitige antiretrovirale Therapie wirft die Frage auf, ob die Empfehlungen zur Diagnose und Therapie von HIV-Infektionen bei Säuglingen und Kindern verändert werden müssen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dies in einer ersten Reaktion abgelehnt. Auf der Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections in Atlanta wurden weitere Hinweise für den Nutzen einer frühzeitigen Therapie vorgestellt.
Nach Schätzungen der WHO haben sich 2011 etwa 330.000 Kinder neu mit HIV infiziert, das sind 24 Prozent weniger als noch 2009. Das Ziel von WHO, UNICEF und UNAIDS besteht darin, pädiatrische HIV-Erkrankungen bis 2015 vollständig zu eliminieren. Dies erfordert keineswegs den Einsatz einer hochaktiven Kombinationstherapie nach der Geburt, deren Wirksamkeit erst noch in einer Studie geprüft werden müsste.
Als äußerst effektiv hat sich die Behandlung der Schwangeren und eine Kurzzeitprophylaxe des Neugeborenen erwiesen, die zusammen mit dem Verzicht auf das Stillen, eine perinatale Infektion fast immer verhindern können. In der Realität werden diese Maßnahmen jedoch häufig verpasst, und nur etwa ein Viertel der Kinder HIV-infizierter Schwangerer wird in den ersten 6 Wochen nach der Geburt auf eine HIV-Infektion hin untersucht.
Das mittlere Alter der Kinder bei der Diagnose beträgt laut WHO 6 Monate oder älter. Und selbst wenn es gelingt, die Kinder in der vierten bis sechsten Lebenswoche zu testen, wie dies die geltenden Leitlinien der WHO fordern, kann nicht sofort mit einer Therapie begonnen werden. In vielen ärmeren Ländern liefen die Testergebnisse erst nach mehreren Wochen vor.
Die Strategie einer unmittelbar nach der Geburt einsetzenden antiretroviralen Therapie (bei dem US-Säugling nach 30 Stunden) könnte aus Sicht der WHO derzeit nicht umgesetzt werden. Die WHO kündigte allerdings noch für dieses Jahr eine Überarbeitung der Empfehlungen zu diagnostischen Tests bei Säuglingen (early infant testing, EID) an.
Vorerst ist unklar, ob die „funktionelle“ Heilung bei dem frühgeborenen Kind aus dem US-Staat Mississippi, das seit dem 29. Lebenstag ohne Virusnachweis im Plasma ist und bei dem es seit dem Abbruch der Therapie im Alter von 18 Monaten nicht zu einem Rezidiv kam, ein seltener Glücksfall oder die Regel ist. Einige Experten vermuten, dass Kind könnte einer der wenigen „elite controller“ sein, bei denen es trotz einer latenten Infektion niemals zum Auftreten von HI-Viren im Blut kommt.
Das Team um Deborah Persaud vom Johns Hopkins Children's Center in Baltimore konnte auf der Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections in Atlanta allerdings noch weitere Daten vorstellen, die für einen frühen Therapiebeginn sprechen.
Bei fünf perinatal infizierten Säuglingen, bei denen im Alter von median 2 Monaten mit einer kombinierten antiretroviralen Therapie begonnen worden war, sind im Teenager-Alter in PBMC (mononukleäre Zellen des peripheren Blutes, vor allem Monozyten) keine replizierfähigen HI-Viren mehr nachweisbar. Bei vier von fünf der Teenager sind im Plasma keine Viren mehr vorhanden und bei vier von fünf fällt auch der Antikörpertest negativ aus.
Dies beweist zwar keine Heilung, über einen Absetzversuch der Patienten berichtet die Virologin nicht. Für Persaud belegen die Daten aber, dass das Virus-Reservoir durch eine frühzeitige Therapie deutlich eingeschränkt werden kann. © rme/aerzteblatt.de

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