Medizin
Masern: Gefährliche Lücken trotz steigender Impfquoten
Montag, 22. April 2013
Berlin – Die Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder gegen Masern impfen zu lassen, ist in den letzten Jahren gestiegen. Immer mehr Kinder nehmen an beiden Impfterminen teil, allerdings häufig verspätet. Die neuesten Zahlen aus dem Epidemiologischen Bulletin (2013; 16: 129-133) zeigen, dass neben Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch Säuglinge erkranken können. Das Robert Koch-Institut (RKI) und andere Bundesbehörden fordern die Bevölkerung anlässlich der Europäischen Impfwoche auf, ihren Impfstatus zu prüfen.
Da Menschen das einzige Reservoir für das Masernvirus sind, und es einen effektiven Impfstoff (heute als Bestandteil der MMR- oder MMRV-Vazine) gibt, ist eine Eradikation möglich. In Amerika ist sie in den letzten Jahrzehnten gelungen. Dort gibt es nur noch vereinzelte importierte Erkrankungen. Europa hinkt der Entwicklung hinterher. Auch in Deutschland hat es lange an der notwendigen Bereitschaft der Eltern gefehlt, ihre Kinder impfen zu lassen. In den letzten Jahren hat sich die Situation allerdings verbessert.
Die Impfquote für die 1. Masernimpfung ist in den letzten zehn Jahren bundesweit von 91,4 Prozent auf 96,6 Prozent (2011) gestiegen. Damit wird das WHO-Ziel einer Impfquote von über 95 Prozent erreicht, die als Voraussetzung für eine Eradikation gilt. Nur zwei Bundesländer (Bayern und Baden-Württemberg) liegen noch knapp unter dem WHO-Ziel.
Besonders erfreulich ist der deutliche Anstieg bei der 2. Masernimpfung: Waren im Jahr 2001 nur 25,9 Prozent der einzuschulenden Kinder zweimal gegen Masern geimpft, sind es mittlerweile (2011) 92,1 Prozent. Der Wert liegt damit aber noch unter dem WHO-Ziel. Nur in Mecklenburg-Vorpommern erhalten mehr als 95 Prozent die 2. Impfung. Thüringen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen verfehlten das Ziel um weniger als einen Prozentpunkt. In Bayern und Baden-Württemberg liegt die Rate noch bei unter 90 Prozent (ebenso in Sachsen, wo die 2. Impfung aber erst im 6. Lebensjahr empfohlen wird).
Die meisten Masernerkrankungen treten in Deutschland in den ersten beiden Lebensjahren bei Kindern auf, die noch nicht geimpft wurden. Die Ständige Impfkommission (STIKO) führt dies zum einen auf einen verkürzten „Nestschutz“ zurück. Eine Impfung gegen Masern generiert niedrigere Antikörpertiter als eine Masernerkrankung. Dies verkürzt die Zeit, in der die Säuglinge nach der Geburt noch durch Antikörper von der Mutter geschützt sind, auf 4 bis 6 Monate oder möglicherweise noch weniger.
Erstimpfung Im Alter von 11 Monaten
Die STIKO rät deshalb, die Kinder bereits im Alter von 11 Monaten das erste Mal zu impfen (und die zweite Impfung spätestens im 23. Lebensmonat, vorzugsweise früher, folgen zu lassen). In Einzelfällen können die Kinder bereits im Alter von 9 Monaten geimpft werden. Dies hält die STIKO für sinnvoll, wenn die Kinder in eine Gemeinschaftseinrichtung (zum Beispiel Kita) aufgenommen werden sollen oder wenn sie Kontakt zu einem Masernerkrankten hatten (die zweite Impfung sollte dann bereits zu Beginn des 2. Lebensjahres verabreicht werden).
In der Realität erfolgt die Masern-Impfung häufig verspätet. Die vom RKI mit den Kassenärztlichen Vereinigungen durchgeführte „KV-Impfsurveillance“ ergab, dass nur 18 Prozent der 11 Monate alten Kinder und nur 77 Prozent der 14 Monate alten Kinder mindestens einmal gegen Masern geimpft werden. Auch die 2. Impfung erfolgt häufig erst sehr spät.
Ein zweiter Grund für Erkrankungen im Säuglingsalter ist ein fehlender Impfschutz der Mütter. Viele junge Erwachsene wurden, als Folge der niedrigen Impfquote in der Vergangenheit, nicht geimpft, und da Masern-Epidemien zunehmend seltener geworden sind, haben sie auch auf diese Weise keine Immunität erlangt. Die Kinder der betroffenen Mütter haben dann natürlich keinen Nestschutz.
Masernepidemie in Berlin
Jugendliche und junge Erwachsene erkranken heute nach den Säuglingen am zweithäufigsten an Masern. Dass die Erkrankungen unverhofft auftreten können, zeigt die derzeitige Masern-Epidemie in Berlin. In den letzten Wochen sind 72 Erkrankungen (Stand: 17. April) aufgetreten (gegenüber sechs im gleichen Zeitraum des Vorjahrs). Einige Erkrankte haben sich wahrscheinlich auf einer Messe angesteckt, die Anfang Februar in Berlin stattfand. Darauf deuten identische Genotypen der Viren hin. Die Finger des Ausbruchs reichen über Berlin hinaus bis nach Hamburg, Niedersachsen und in einem Fall nach Malmö, wo die gleiche Variante des Masern-Wildtyps D8 gefunden wurde.
Zu Beginn der Europäischen Impfwoche (22. bis zum 27. April) appellieren RKI, Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an Jugendliche und junge Erwachsene, den eigenen Impfstatus zu überprüfen (Kampagne „Deutschland sucht den Impfpass“) und sich gegebenenfalls nachimpfen zu lassen - im eigenen Interesse. Denn im Erwachsenenalter verlaufen Masern häufig mit Komplikationen. Hospitalisierungen sind häufig und Todesfälle nicht auszuschließen. © rme/aerzteblatt.de

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