Medizin
Autismus mit Antidepressiva in der Schwangerschaft assoziiert
Dienstag, 23. April 2013
Bristol – Zum zweiten Mal bringt eine Fall-Kontroll-Studie die Einnahme von Antidepressiva in der Schwangerschaft mit Autismus-Spektrum-Störungen in Verbindung. Die Assoziation war in der aktuellen Studie im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2013; 346: f2059) auf leichte Verlaufsformen ohne intellektuelle Störungen beschränkt.
In den USA erhält mittlerweile eines von 50 Kindern die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung. Experten gehen davon aus, dass es sich häufig um Verlegenheitsbefunde handelt, die den Wunsch der Eltern nach einer rationalen (und nicht selbst zu verantwortenden) Erklärung für die Lernschwächen ihrer Kinder bedient.
Die USA gehören gleichzeitig zu den Ländern mit den höchsten Verordnungszahlen für Antidepressiva. In manchen Altersgruppen sollen mehr als 20 Prozent aller Frauen auf die „Glückspillen“ zurückgreifen. Die meisten setzten die Mittel auch während der Schwangerschaft nicht ab, obwohl die heute bevorzugten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) das Risiko einer Frühgeburt erhöhen und einige auch mit Fehlbildungen in Verbindung gebracht wurden.
Vor zwei Jahren hatte Lisa Croen vom Versicherer Kaiser Permanente in Oakland mit einer Fall-Kontroll-Studie für Aufsehen gesorgt. Die Forscherin fand heraus, dass intrauterin mit SSRI exponierte Kinder später doppelt so häufig an Autismus-Spektrum-Störungen erkrankten wie nicht exponierte Kinder (Odds Ratio OR 2,2). Bei einer Exposition im ersten Trimester war das Risiko fast vierfach erhöht (OR 3,8; 1,8-7,8).
Jetzt kommen Forscher der Universität Bristol zu einem ähnlichen Ergebnis. Dheeraj Rai und Mitarbeiter haben für 4.429 schwedische Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung die Einnahme von Antidepressiva recherchiert und mit 43.277 Kindern ohne Autismus-Spektrum-Störung verglichen (was in Schweden aufgrund der Register-übergreifend verwendeten zentralen Identifikationsnummer aller Einwohner leicht möglich ist).
Ergebnis: Bei Kindern von Frauen mit einer Depression, die während der Schwangerschaft Antidepressiva (SSRI oder auch ältere Trizyklika) eingenommen hatten, wurde später mehr als dreifach häufiger eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert (OR 3,34; 95-Prozent-Konfidenzintervall 1,50-7,47). Das Risiko war auf Erkrankungen ohne Minderung der Intelligenz beschränkt, für die Rai ein fast fünffach erhöhtes Risiko ermittelte (OR 4,94; 1,85-13,23).
Die weiten Konfidenzintervalle deuten bereits an, dass die Berechnungen auf wenigen Fällen beruhen. Dies liegt zum einen daran, dass in Schweden deutlich weniger Schwangere Antidepressiva erhalten als in den USA. Zum anderen werden Autismus-Spektrum-Störungen auch deutlich seltener bei den Kindern diagnostiziert. Aufgrund der guten Quellen können Rai und Mitarbeiter eine Reihe von anderen möglichen Erklärungen wie andere psychiatrische Erkrankungen, Alter, Einkommen, Ausbildung, Beschäftigung und Migrationsstatus sowie die Zahl früherer Schwangerschaften ausschließen.
Ein wichtiger Punkt konnte allerdings nicht geklärt werden. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass die Verordnung von SSRI ein Marker für schwere Depressionen war. Wenn aber die Depression der Mutter die Entwicklung der Autismus-Spektrum-Störung bei Kindern war, könnte die Behandlung der Mutter (auch während der Schwangerschaft) durchaus eine protektive Wirkung haben (was aber eigentlich in klinischen Studien bewiesen werden müsste).
Sicher ist, dass die Assoziation, selbst wenn sie kausal wäre, wohl nur wenige Autismus-Spektrum-Störungen in der Bevölkerung erklären würde. In Schweden hatten nur etwa ein Prozent der Mütter, deren Kind später an einer Autismus-Spektrum-Störung erkrankte, in der Schwangerschaft Antidepressiva verordnet bekommen. © rme/aerzteblatt.de

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