Ärzteschaft
Neufassung der Deklaration von Helsinki: „Patienten mit Respekt behandeln“
Montag, 29. April 2013
Köln – Die Deklaration von Helsinki ist das wohl wichtigste Dokument des Weltärztebundes. Zwar ist sie nicht rechtsverbindlich, doch ihre Regeln werden in fast jedem Land angewandt und ihr Einfluss auf die ärztliche Ethik in der medizinischen Forschung ist unbestritten. Zurzeit hat der Weltärztebund einen überarbeiteten Entwurf im Internet zur öffentlichen Diskussion gestellt.
5 Fragen an Otmar Kloiber, Generalsekretär des Weltärztebundes, zu den wichtigsten vorgeschlagenen Änderungen der Deklaration von Helsinki
DÄ: Herr Dr. Kloiber, warum ist eine Revision der Deklaration von Helsinki notwendig geworden?
Kloiber: Die Deklaration ist ein Dokument für Ärzte, die sich in der Forschung am Menschen engagieren. Das ist ein sehr dynamisches Gebiet, in dem sich ständig viel ändert. Deshalb ist es notwendig zu fragen, ob die Empfehlungen und Prinzipien, die wir aufgestellt haben, immer noch stimmen und ob sie auch richtig dargestellt sind. Wir haben 2008, als wir die letzte Version beschlossen haben, gleichzeitig auch begonnen, Fragen zu stellen, ob die Prinzipien insbesondere in Bezug auf den Gebrauch von Placebos richtig sind.
In ersten Konferenzen haben wir festgestellt, dass wir damit richtig lagen, dass wir Placeboversuche nicht grundsätzlich ausschließen können. Wir haben aber gleichzeitig festgestellt, dass wir dies noch besser als in der Version von 2008 formulieren können. Auch andere Passagen schienen verbesserungswürdig. Wir haben dies an den Vorstand herangetragen, und haben den Auftrag bekommen, eine Revision der Deklaration von Helsinki vorzubereiten.
DÄ: Könnten Sie die wichtigsten vorgeschlagenen Änderungen erläutern?
Kloiber: Wir haben die Formulierungen in Bezug auf die Placeboforschung ausgedehnt und präzisiert. Wir schließen jetzt jeden Vergleich ein gegen eine Therapie, die nicht dem bestmöglichen Standard entspricht. Es ist nämlich nicht mehr die Frage zu begründen, warum man ein Placebo nimmt, sondern es ist auch notwendig zu begründen, warum eine weniger gute als die beste Therapie verwendet wird oder warum zum Beispiel gar nichts gemacht wird, also weder eine Therapie eingeleitet wird noch ein Placebo gegeben wird. Für all das mag es Gründe geben. Wir wollen aber, dass diese Gründe festgehalten werden, dass Sie im Versuchsprotokoll niedergeschrieben sind und dass die Versuchsteilnehmer darüber informiert sind.
Außerdem haben wir uns mit der Frage beschäftigt, wie es mit der Versorgung von Probanden beziehungsweise Patienten nach einem Experiment aussieht. Patienten dürfen nicht einfach nur als Versuchskaninchen angesehen werden, sondern müssen mit Respekt behandelt werden. Außerdem muss auch eine Weiterbehandlung für Patienten, die an einem Versuch teilgenommen haben, gewährleistet sein. Das muss ausdrücklich im Versuchsprotokoll festgehalten werden, und die Patienten beziehungsweise Probanden müssen ausführlich informiert werden. Wir haben also das auch bisher geltende Prinzip nicht geändert, sondern festgelegt, dass es ausdrücklich formuliert werden muss.
Wir haben zudem darüber nachgedacht, ob wir die Frage des materiellen Schutzes von Versuchsteilnehmern aufnehmen müssen. Wir denken, es ist Zeit, dass dies in allen Ländern geschieht. In vielen Ländern, wie zum Beispiel auch in Deutschland, ist das ja schon lange Pflicht.
DÄ: Wie soll künftig mit den sogenannten vulnerablen Gruppen umgegangen werden?
Kloiber: Wir haben uns dazu entschieden, sie nicht einzeln aufzuzählen, weil wir davon ausgehen, dass wir keine abschließende Liste machen können. Da wir nicht alle vulnerablen Gruppen erfassen können, halten wir es für besser, diese Formulierung offenzuhalten. Damit ergeht gleichzeitig auch ein Auftrag an diejenigen, die Versuche durchführen und an diejenigen, die sie zu bewerten haben. So sollten beispielsweise Ethikkommissionen darüber nachdenken, ob es sich jeweils um eine vulnerable Gruppe handelt.
Und dann haben wir festgelegt, dass wenn eine vulnerable Gruppe in einen Versuch eingeschlossen wird, die Vorteile für sie eindeutig sein müssen.
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DÄ: Richtet sich die Deklaration von Helsinki auch künftig nur an Ärztinnen und Ärzte?
Kloiber: Wir sind eine Organisation, die sehr tief verwurzelt ist im demokratischen Verständnis und in der Frage, ob man ein Mandat hat, für das, was man tut. Wir machen anderen Berufen keine Vorschriften, was sie zu tun haben, sondern wir sind eine Organisation von Ärzten für Ärzte, und wir haben ein Mandat von den Ärzten, diese ethischen Regelungen zu entwickeln, und dem kommen wir nach.
Wir freuen uns, wenn andere die Deklaration lesen und sich von ihr inspiriert fühlen, aber wir haben kein Mandat dafür und sprechen deshalb auch von ärztlicher Ethik und nicht von Bioethik.
DÄ: Wie ist das weitere Vorgehen?
Kloiber: Wir haben den Entwurf jetzt zur Diskussion auf unsere Website gestellt. Wir werden im August versuchen, die Anregungen zu sichten und einzubeziehen, wenn dies sinnvoll erscheint, um dann im Oktober dem Weltärztebund einen Vorschlag für die Neufassung zu unterbreiten. Wir hoffen, dass wir dann auch bereits im Oktober eine Neufassung der Deklaration von Helsinki haben. Sollten wir feststellen, dass möglicherweise noch andere Dinge zu bedenken sind, dann kann es auch durchaus sein, dass es 2014 wird, bis wir die Deklaration revidieren. Wir setzen uns nicht unter Zeitdruck, sondern es kommt uns in in erster Linie darauf an, dass das Dokument wirklich gut wird. © Kli/aerzteblatt.de
