Ärzteschaft
Barmer und Kinderärzte starten neue Kindervorsorgeuntersuchungen
Freitag, 7. Juni 2013
Berlin – Die Barmer GEK und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) werden ab dem 1. Juli Kindervorsorgeuntersuchungen in Form eines Selektivvertrages anbieten, die vom bvkj überarbeitet wurden. „Mit den bisherigen Vorsorgeuntersuchungen können wir keine vernünftige Prävention bei Kindern mehr machen“, sagte bvkj-Präsident Wolfram Hartmann heute im Vorfeld des 43. Kinder- und Jugendärztetages in Berlin. Doch im Gemeinsamen Bundesausschuss seien alle Bemühungen gescheitert, für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) übernimmt bislang die im „Gelben Heft“ dokumentierten Kindervorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 sowie die Jugendgesundheitsuntersuchung J1. Etwa 70 Prozent der Krankenkassen böten mittlerweile zudem auch die Untersuchungen U10, U11 und J2 an, sagte Hartmann. Mit dem Präventionsgesetz will die Regierung künftig auch die U10 und die U11 in den Leistungskatalog der GKV aufnehmen.
Das Problem sei jedoch, dass Kinder- und Jugendärzte mit dem „Gelben Heft“ nur sekundäre Prävention betreiben können, also eine Früherkennung bereits vorhandender Pathologien, erklärte bvkj-Pressesprecher Ulrich Fegeler. Mit den überarbeiteten Untersuchungen könne nun auch eine primäre Prävention vorgenommen werden.
Die neuen Untersuchungen können neben Privatversicherten künftig die Versicherten der Barmer GEK wahrnehmen, die sich in den Vertrag eingeschrieben haben. Sie erhalten ein „Paed.Check“ genanntes Vorsorgeheft, das neben der Dokumentation der Untersuchungsergebnisse unter anderem auch Fragebögen für die Eltern enthält. „Wir haben alle U-Untersuchungen, von der U1 bis zur J2, überarbeitet“, sagte Hartmann. Mit den Fragebögen könnten die Ärzte künftig ein Feedback der Eltern erhalten, um Risikofaktoren zum Beispiel in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Medienkonsum und Eltern-Kind-Interaktion zu entdecken. „Das können wir bisher nicht erfassen“, so Hartmann.
Mehr Zeit für die Untersuchungen
Für die Untersuchungen stehen den teilnehmenden Kinderärzten künftig 30 statt 20 Minuten zur Verfügung, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Rolf Ulrich Schlenker. Zudem erhielten die Ärzte für eine Untersuchung eine Pauschale von 50 Euro – in der GKV seien es zwischen 32 und 34 Euro.
„Neu in dem Selektivvertrag sind darüber hinaus vor allem zwei Aspekte“, erklärte Schlenker. Zum einen werde honoriert, wenn Kinderärzte das Kind bei Zahnfehlstellungen künftig zu einem Zahnarzt zur Weiterbehandlung überweisen. Und zum anderen gebe es nun ein Transitionsprogramm, bei dem die Kinderärzte bei Kindern mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes I oder Mukoviszidose mit den weiterbehandelnden Fachärzten persönlich in Kontakt treten und auch einen Abschlussbericht schreiben. „Bislang gibt es beim Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin häufig Brüche, die zu großen Problemen für die chronisch erkrankten jungen Erwachsenen führen“, so Schlenker.
Vorläufervertrag schon mit 350.000 Kindern
Einen Vorläufervertrag zwischen bvkj und der früheren GEK, in dem unter anderem die zusätzlichen Untersuchungen U10, U11 und J2 enthalten sind, gibt es bereits seit fünf Jahren. Dieser Vertrag sei mit 350.000 eingeschriebenen Kindern und einer Teilnehmerrate von 80 bis 90 Prozent der Kinderärzte schon ein großes Erfolgsmodell, befand Schlenker.
Dieser Vertrag enthalte auch ein Präventionsrezept, auf dem die Ärzte notierten, wenn Kinder in nicht-medizinischen Bereichen gefördert werden müssten, erklärte Hartmann, zum Beispiel durch Sportförderungsmaßnahmen oder Ernährungsberatung. Die Eltern dieser Kinder könnten mit diesem Rezept dann zur Barmer GEK gehen, die daraufhin die Möglichkeit habe, weitere heilpädagogische Fördermaßnahmen zu finanzieren. Ein ähnliches Modell sieht auch das Präventionsgesetz vor.
„Den Kinderärzten wird zurzeit vorgeworfen, dass sie zu viele Heilmittelverordnungen zum Beispiel im Bereich der Logopädie ausstellen“, sagte Hartmann. Das sei jedoch ein Hilferuf der Kinderärzte. „Denn viele der von uns bei den Kindern entdeckten Defizite haben gar nichts mit Medizin, sondern mit Pädagogik zu tun“, so Hartmann. „Wenn wir Defizite erkennen, können wir allerdings nur auf medizinischer Ebene darauf reagieren.“
Für eine adäquate Unterstützung bedürfe es hingegen der Hilfe von Gemeinden, die zum Beispiel für eine entsprechende Ausstattung mit Kindertageseinrichtungen, und auch mit qualifizierten Erziehern, sorgen müssten. Hier müsse die Politik dringend tätig werden.
Der 43. Kinder- und Jugend-Ärztetag findet von heute bis Sonntag in Berlin statt. Er befasst sich mit dem Thema „Migration – eine Herausforderung für Kinder- und Jugendärzte“. © fos/aerzteblatt.de
