Medizin
Schmerzmittel: EMA will Anwendung von Diclofenac, Codein und Flurpitin einschränken
Freitag, 14. Juni 2013
London – Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat neue Bewertungen zu den Wirkstoffen Diclofenac, Codein und Flurpitin abgegeben. Das nicht-steroidale Antiphlogistikum (NSAID) Diclofenac wird von den kardiovaskulären Risiken her den Cox-2-Inhibitoren gleichgesetzt. Das Morphinprodrug Codein soll bei Kindern nur noch unter bestimmten Situationen eingesetzt werden dürfen. Der Einsatz des zentral wirkenden, nicht-opioiden Analgetikums Flupirtin würde auf Behandlung akuter Schmerzen über maximal zwei Wochen beschränkt. Die Empfehlung des PARC sind nicht bindend, sie werden aber in aller Regel umgesetzt.
Die Neubewertung der drei Wirkstoffe hat jeweils eigene Gründe. Die kardiovaskulären Risiken von NSAID wurden zuerst für den Cox-2-Inhibitor Rofecoxib (Vioxx) beschrieben, den der Hersteller aus diesem Grund 2004 vom Markt nahm. Später wurde klar, dass auch die anderen auf dem Markt verbliebenen Cox-2-Inhibitoren (Celecoxib, Etoricoxib und Parecoxib) das Risiko auf arterielle thrombotische Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall erhöhen und dass auch nicht-Cox-2-spezifische NSAID betroffen sind.
In den hierzu durchgeführten Meta-Analysen (wie erst vor wenigen Tagen in einer Publikation im Lancet) zeichnete sich ab, dass Diclofenac im Grunde genommen ähnlich zu bewerten ist wie die Cox-2-Inhibitoren (was in der letzten Meta-Analyse übrigens auch für Ibuprofen zutraf).
In seiner Bewertung geht der PRAC davon aus, dass der Einsatz von Diclofenac die Inzidenz von Herzinfarkten um 3 Fälle pro 1.000 Anwender und Jahr erhöht (von 8 auf 11 pro 1.000 Anwenderjahre). Angesichts der guten Wirksamkeit besteht für die PRAC kein Grund an einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis zu zweifeln.
Die Fachinformationen werden jedoch künftig deutlich auf das Risiko hinweisen, das vor allem beim Einsatz einer hohen Tagesdosis (ab 150mg) besteht. Vom Einsatz bei Patienten mit kardiovaskulären Grunderkrankungen wie Herzinsuffizienz, Kardiomyopathie oder früheren Herzinfarkten oder Schlaganfällen dürfte künftig abgeraten werden (auch wenn nach der Wortwahl der EMA nicht unbedingt eine formale Kontraindikation zu erwarten ist).
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Bei Codein und Flupirtin fällt die Bewertung eindeutiger aus. Für Codein und insbesondere seinen aktiven Metaboliten Morphin ist eine atemdepressorische Wirkung bekannt. Das Risiko besteht vor allem für die etwa 1 bis 7 Prozent der Mitteleuropäer (Kaukasier), bei denen die Umwandlung zu Morphin sehr schnell erfolgt. Bei diesen „Ultra-rapid“-Metabolisierern kann die einmalige Gabe bereits toxische Morphin-Spiegel auslösen.
Die Gefahr besteht insbesondere bei Kindern, und hier insbesondere nach Operationen (in denen die Kinder im Rahmen der Anästhesie unter Umständen weitere Opiate erhalten haben). Nachdem die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA über mehrere Todesfälle nach Tonsillektomien berichtet hatte, kommt auch die EMA nicht um die Verordnung einer Kontraindikation herum.
Codein wird künftig bei allen Tonsillektomien und Adenoidektomie (etwa zur Behandlung des Schlafapnoe-Syndroms) im Kindesalter streng kontraindiziert sein. Bei allen (anderen) Kindern im Alter unter 12 Jahren soll Codein künftig nur noch eingesetzt werden, wenn andere Schmerzmittel wie Paracetamol oder Ibuprofen keine Wirkung gezeigt haben. Da Codein über die Muttermilch ausgeschieden wird, sollten stillende Frauen ebenfalls Codein meiden. Der gleiche Ratschlag gilt auch für alle Erwachsenen, die wissen, dass sie „Ultra-rapid“-Metabolisierer sind.
Die Risikobewertung zu Flupirtin war auf Antrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestartet worden. Anlass waren rund 950 Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen unter Flupirtin aus Deutschland: 330 dieser Berichte betrafen Leber- oder Gallenwegserkrankungen. Darunter waren 49 Fälle von Leberversagen und 12 Fälle mit tödlichem Ausgang sowie 3 Fälle, die zu einer Lebertransplantation führten.
Diesen Risiken standen Zweifel an der Wirksamkeit von Flupirtin bei chronischen Schmerzen gegenüber. Der PRAC kommt in seiner Bewertung zu dem Schluss, dass es durchaus Belege für eine kurzfristige Wirkung von Flupirtin gibt, und da die Lebertoxizität nur bei einer längerfristigen Anwendung beobachtet wurde, darf Flupirtin künftig weiterhin zur Behandlung akuter Schmerzen eingesetzt werden. Die Anwendungsdauer wird aber strikt auf zwei Wochen beschränkt. © rme/aerzteblatt.de

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