Medizin
Schizophrenie: Meta-Analyse widerlegt Neuroleptika-Dogmen
Donnerstag, 27. Juni 2013
München – Der umfassende Vergleich von 15 zugelassenen Neuroleptika stellt die übliche Zweiteilung in typische Medikamente der ersten und atypische Mittel der zweiten Generation infrage. Auch die verbreitete Ansicht, dass alle Antipsychotika die gleiche Wirkstärke haben, ist laut einer Meta-Analyse im Lancet (2013; doi: 10.1016/S0140-6736(13)60733-3) nicht haltbar.
Psychiater können heute bei der Behandlung der Schizophrenie aus einer Vielzahl von Wirkstoffen auswählen. Neben den älteren preisgünstigen Wirkstoffen Haloperidol und Chlorpromazin gibt es mindestens 13 atypische Neuroleptika, von denen die ersten aus dem Patentschutz entlassen und deshalb ebenfalls kostengünstiger sind als neuere Wirkstoffe wie Asenapin, Iloperidon, Lurasidon und Paliperidon.
Ein Vergleich der einzelnen Mittel ist schwierig, da viele Studien die Wirkung gegen Placebo untersuchen und nicht direkt miteinander vergleichen. Das Team um Stefan Leucht von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie an der TU München hat dennoch einen Vergleich versucht. Es ist die zweite Meta-Analyse zu dieser Fragestellung.
Die erste hatte die Gruppe vor vier Jahren veröffentlicht. Sie hatte damals nur direkte Vergleichsstudien berücksichtigt (Am J Psychiatry 2009; 166: 152–63). Die aktuelle Studie umfasst auch placebokontrollierte Studien. Insgesamt flossen Ergebnisse aus 212 Studien aus mehr als einem halben Jahrhundert mit 43.049 Teilnehmern in die Analyse ein.
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Die jetzt vorgestellten Ergebnisse widerlegen Leucht zufolge das Dogma, nach dem alle Neuroleptika gleich stark sind. Die Meta-Analyse sieht hier kleine, aber signifikante Unterschiede. Interessanterweise gehören die vier stärksten Wirkstoffe (Clozapin, Amisulprid, Olanzapin und Risperidon) alle zu den ersten atypischen Neuroleptika.
Innovationen wie Paliperidon, ein aktiver Metabolit von Risperidon, unterschieden sich hier nicht wesentlich von den Vorgängern. Das in den 1990er Jahren eingeführte Amisulprid gehört – gemessen an der Abbruchrate der Therapie – auch zu den am besten tolerierten Medikamenten. Erwartungsgemäß wurde die Therapie unter Haloperidol am häufigsten abgebrochen.
Es war auch das Medikament mit den häufigsten extrapyramidalen Nebenwirkungen. Am seltensten traten diese bei Clozapin auf, das 1972 der erste Vertreter der atypischen Neuroleptika war. Es folgen weitere atypische Neuroleptika, die allerdings nicht alle diese Bezeichnung verdienen, wenn darunter die Freiheit von extrapyramidalen Nebenwirkungen verstanden wird. Laut der Auswertung der Münchner Psychiater traten extrapyramidale Nebenwirkungen bei fünf Wirkstoffen häufiger auf als unter Placebo.
Es gibt jedoch weitere medizinisch relevante Nebenwirkungen. Dazu zählen die Gewichtszunahme und das metabolische Syndrom (bei den Atypika am häufigsten unter Olanzapin, Zotepin und Clozapin) und die für die Patienten belastende Sedation (Clozapin und Chlorpromazin).
Die Ärzte müssen bei der Wahl aber auch auf das Risiko einer QTc-Verlängerung im EKG (Gefahr von Torsades de pointes) und auf einen Anstieg von Prolaktin achten, der Amenorrhoe, sexuelle Dysfunktion und Osteoporose zur Folge haben kann. Auch hier fanden die Forscher Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen. © rme/aerzteblatt.de

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