Medizin
PID: Erstmals komplexe Erbgutanalyse vor Implantation
Montag, 8. Juli 2013
Oxford – Britische Forscher haben das Erbgut von Embryonen entziffert, bevor diese im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation in den Uterus implantiert wurden. Das Ziel war die Selektion eines Embryos mit einer hohen Chance auf eine Implantation. Wie die Mediziner auf der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Human-Reproduktion und Embryologie (ESHRE) in London mitteilten, wurde in den USA kürzlich das erste Kind geboren, das nach dieser Weiterentwicklung der Präimplantationsdiagnostik gescreent worden war.
Dank des technischen Fortschritts bei der Gen-Sequenzierung sind komplexe Erbgut-Analysen heute über Nacht im Labor möglich. Das Team um Dagan Wells von der Universität Oxford benötigte mit dem „Next Generation Sequencing“ genannten Verfahren gerade einmal 16 Stunden, um an Einzelzellen von frisch gezeugten Embryonen eine Erbgut-Analyse durchzuführen. Dies hat den Vorteil, dass die Embryonen vor der weiteren Verwendung nicht kryokonserviert werden mussten.
Es wurde allerdings keinesfalls das gesamte Erbgut entschlüsselt, sondern nur etwa 2 Prozent. Das sei aber ausreichend, um die Zahl der Chromosomen zu bestimmen, meint Wells. Abberationen sind eine häufige Ursache von Fehlgeburten. Außerdem konnten die Embryonen auf einzelne Gendefekte etwa die Mukoviszidose, hin untersucht werden, so dass die Eltern weitgehend sicher sein können, dass das Kind frei von den dort kodierten Erbkrankheiten ist (es sei denn es kommt während der Embryonalentwicklung zur einer somatischen Mutation).
Grobe Erbgutanalysen sind schon seit einigen Jahren möglich. Die Forscher scheiterten aber bisher daran, dass den 5 Tage alten Embryonen nur eine einzelne Zelle entnommen werden kann. Die britischen Forscher lösten das Problem, indem sie die Erbgut-Analysen aller (per IVF gezeugten) Embryonen gemeinsam durchführten. Dabei wurden die DNA-Schnipsel der einzelnen Embryonen vorher mit kurzen DNA-Tags versehen, um sie später anhand dieser „Barcodes“ wiedererkennen zu können.
Diese Methode senkt die Kosten, und Wells versprach den Zuhörern, dass das Verfahren schon jetzt billiger sei als eine konventionelle Präimplantationsdiagnostik, die derzeit mit 2.000 bis 3.000 Pfund (zusätzlich zur IVF) zu Buche schlägt. Aufgrund der fallenden Kosten der Genom-Analysen würde der Abstand mit der Zeit noch größer.
Nach einer Validierung an 45 Embryonen mit bekannten chromosomalen Störungen wurde das neue Verfahren prospektiv bei zwei Frauen im Alter von 35 und 39 Jahren angewendet. Eine der Frauen hatte zuvor mehrfach Fehlgeburten erlitten. Durch den neuen Gen-Screen konnten die britischen Mediziner bei der ersten Frau drei und bei der zweiten Frau zwei „chromosomal gesunde“ Blastozysten identifizieren. Beiden Frauen wurde je einer dieser Embryonen implantiert. Eine Frau hat im Juni in der Main Line Fertility Clinic im US-Staat Pennsylvania ihr Kind zur Welt gebracht. Die andere Implantation wurde an der New York Universität durchgeführt.
Als Motivation für seine Forschung nannte Wells eine Steigerung der Erfolgsrate bei der IVF. Aus bisher nicht bekannten Gründen beträgt die „Baby-take-home“-Rate nur etwa 30 Prozent. Repromediziner vermuten, dass die anderen Embryonen aufgrund von genetischen Störungen nicht implantiert werden oder später abgestoßen werden. Durch die Präimplantationsdiagnostik soll die Erfolgsrate gesteigert werden.
Der Bericht dürfte jedoch zu neuen Diskussion über die Grenzen der Präimplantationsdiagnostik führen. Denn mit dem „Next Generation Sequencing“ lassen sich beliebig viele Genmerkmale bestimmen, darunter auch solche, die nicht mit Erkrankungen verbunden sind, sondern den Wunsch der Eltern nach einem „Designer-Baby“ erfüllen.
In Deutschland dürfte das „Next Generation Sequencing“ zur Präimplantation noch die Juristen beschäftigen. Nach der derzeitigen Rechtslage ist eine PID grundsätzlich verboten. Das Präimplantationsdiagnostik-Gesetz (PräimpG) erlaubt aber eine Ausnahme bei bekannten Genfehlern der Eltern zum Ausschluss von schwerwiegenden Erbkrankheiten oder Tot-/Fehlgeburten des Kindes. Die Möglichkeiten des „Next Generation Sequencing“ wurden von den Autoren des Gesetzes jedoch nicht vorhergesehen. © rme/aerzteblatt.de

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