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Arzneiver­ordnungs-Report: Einsparpotenzial von 3,7 Milliarden Euro

Donnerstag, 12. September 2013

dpa

Berlin – Die Arzneimittelausgaben sind im vergangenen Jahr um 2,6 Prozent auf 30,6 Milliarden Euro gestiegen, das sind 16 Prozent der gesamten Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Grund dafür sind höhere Verordnungsmengen sowie die Verordnung von größeren und teureren Medikamentenpackungen. Die Preise für die Arzneimittel sind hingegen gesunken. Das geht aus dem Arzneiverordnungs-Report (AVR) 2013 vor, der heute in Berlin vorgestellt wurde.

„Die Preise für Arzneimittel sind im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 Prozent gesunken“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Nordwest und Mitautor des AVR, Dieter Paffrath. Grund dafür sind der vom Gesetzgeber erhöhte Herstellerabschlag für Arzneimittel ohne Festbetrag sowie das verfügte Preismoratorium. Zugleich seien 2012 jedoch 1,3 Prozent mehr Arzneimittel (+385 Millionen Euro) sowie teurere Darreichungsformen, Stärken und Packungsgrößen (+678 Millionen Euro oder 2,3 Prozent) verordnet worden.

95 Prozent aller Verordnungen entfielen 2012 auf die verordnungshäufigsten Arzneimittelgruppen: Angiotensinhemmstoffe wie ACE-Hemmer (53,7 Millionen Verordnungen, +2,2 Prozent), gefolgt von Antiphlogistika/Antirheumatika (40,3 Millionen Verordnungen, +3,3 Prozent), Antibiotika (40,3 Millionen Verordnungen, +5,4 Prozent), Betarezeptorenblockern (39,3 Millionen Verordnungen, +2 Prozent) und Analgetika (38,4 Millionen Verordnungen, +2,5 Prozent).

Wie in jedem Jahr haben die Autoren des AVR auch für 2012 das theoretische Einsparpotenzial im deutschen Arzneimittelmarkt errechnet. Wären konsequent Generika verordnet und wäre auf patentgeschützte Analogpräparate sowie Arzneimittel mit umstrittenem Nutzen verzichtet worden, hätten den Autoren zufolge 3,7 Milliarden Euro eingespart werden können: 2,5 Milliarden bei Analogpräparaten, 500 Millionen bei umstrittenen Arzneimitteln, 1,2 Milliarden Euro bei patentgeschützten Arzneimitteln, 38 Millionen Euro bei Biosimilars sowie 1,6 Milliarden Euro bei Generika.

Durch hauptsächlich für Generika abgeschlossene Rabattverträge hätten die Krankenkassen mit 2,1 Milliarden Euro sogar höhere Einsparungen erzielt als von den AVR-Autoren errechnet, sagte Paffrath. Daher sei dieser Wert noch vom errechneten Einsparpotenzial abzuziehen.

Der zweite Autor des AVR, Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wies darauf hin, dass der Report in diesem Jahr zum ersten Mal auch Rezepturarzneimittel enthalte, zu denen unter anderem die in der Krebs­therapie eingesetzten monoklonalen Antikörper zählen. Rezepturarzneimittel, die in der Apotheke für eine einzelne Person hergestellt werden, hätten 2012 ein Marktvolumen von fast drei Milliarden Euro gehabt.

Preise für Rezepturarzneimittel explodiert
Die Preise für diese Arzneimittel seien in den vergangenen Jahren explodiert, ohne dass der Nutzen annähernd Schritt gehalten hätte, kritisierte der Vorsitzende der Arzneimittel­kommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig. So werde heute für fünf monoklonale Antikörper genauso viel Geld ausgegeben wie für alle parenteral verab­reichten Zytostatika. Dabei seien Zytostatika die entscheidende Grundlage für eine Krebstherapie, wohingegen die hohen jährlichen Behandlungskosten der Antikörper häufig in keiner Relation zu ihrem eher geringen Nutzen stünden, vor allem beim Einsatz in der palliativen Therapie fortgeschrittener solider Tumore, so Ludwig. 

Die mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eingeführte frühe Nutzen­bewertung habe bislang zu Einsparungen von 120 Millionen Euro geführt, erklärte der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken. Das sei jedoch erst der Anfang. Denn das AMNOG werde seine finanzielle Wirkung erst in den nächsten drei bis fünf Jahren entfalten. Dann rechnet Hecken mit Einsparungen in Höhe von 800 Millionen bis zu einer Milliarde Euro.

Neun von 48 vom G-BA bewerteten neuen Wirkstoffen hätten bislang einen beträcht­lichen Zusatznutzen und damit einen echten therapeutischen Nutzen zugesprochen bekommen, so Hecken weiter. Dabei habe sich die frühe Nutzenbewertung nicht als Innovationsbremse erwiesen, wie häufig kritisiert werde. Denn unter den 30 umsatz­stärksten Arzneimitteln des Jahres 2012 seien schon jetzt, kurz nach der Markt­einführung, zwei Arzneimittel, die vom G-BA bewertet worden seien.

Bereits im Vorfeld hatte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) die Methodik kritisiert, nach der die Autoren des AVR die Einsparpotenziale errechnen. „Diese Mängel sind in hohem Maße ergebnisrelevant und führen zu zweifelhaften Potenzialschätzungen“, erklärten bereits am Dienstag Dieter Cassel von der Universität Duisburg-Essen und Volker Ulrich von der Universität Bayreuth, die im Auftrag des BPI den im vergangenen Jahr veröffentlichten Arzneiverordnungs-Report untersucht hatten.

So würden die Einsparpotenziale vom Apothekenverkaufspreis inklusive Mehrwertsteuer errechnet, in dem noch die gesetzlichen Abschläge enthalten seien, die die Pharma­firmen überhaupt nicht zu verantworten hätten. Stattdessen müsse daher der Herstellerabgabepreis für die Berechnung zugrunde gelegt werden, so Cassel und Ulrich. Zudem sei die von den AVR-Autoren verwendete Datenbasis nicht transparent.

AVR-Autor Paffrath wies die Vorwürfe heute zurück: Der BPI habe sich selbst widerlegt, da das in Auftrag gegebene Gutachten ein umfangreiches Datenmaterial enthalte, das dessen Autoren aus dem AVR bezogen hätten. Insofern könne von Intransparenz nicht die Rede sein. Zudem nehme der AVR die Verbraucherperspektive ein. „Wenn man zur Tankstelle fährt, fragt man doch auch nicht nach der Mineralölsteuer, sondern schaut schlicht auf den Wert, der auf der Tankanzeige steht“, so Paffrath.  

Für den AVR hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) 716 Millionen GKV-Rezepte ausgewertet. Zum ersten Mal wurden in diesem Jahr auch Verordnungen von Zahnärzten berücksichtigt. © fos/aerzteblatt.de

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