Medizin
Bivalirudin: Schwierige Balance zwischen Thrombose und Blutung
Donnerstag, 31. Oktober 2013
Paris – Das vor neun Jahren zur Begleitbehandlung der perkutanen koronaren Intervention (PCI) eingeführte Hirudin-Analogon Bivalirudin kann auch unter den aktuellen Therapiebedingungen die Prognose von Patienten mit STEMI verbessern. In einer randomisierten Studie im New England Journal of Medicine (2013; doi: 10.1056/NEJMoa1311096) stand einer gegenüber Heparin verminderten Blutungsrate eine erhöhte Anzahl von Stentthrombosen gegenüber. Ein Editorialist weist auf Schwächen der Studie hin.
Die PCI ist heute Standardtherapie des ST-Hebungsinfarkts, kurz STEMI. Sie ist nur bei einer antithrombotischen Therapie erfolgversprechend, da der Stent ansonsten thrombosieren würde, was einen erneuten Herzinfarkt und unter Umständen Tod des Patienten zur Folge hätte. Alle Patienten erhalten deshalb eine antithrombotische und antithrombozytäre Begleittherapie. Das antithrombotische Standardmedikament ist Heparin.
Eine Alternative ist Bivalirudin, ein direkter und kurz wirksamer Thrombininhibitor. In der HORIZONS-AMI-Studie hatte Bivalirudin gegenüber Heparin plus einem Glycoprotein IIb/IIIa-Inhibitor die Zahl von schweren Blutungskomplikationen und Todesfällen gesenkt (NEJM 2008; 358: 2218-2230). Diesem Vorteil stand jedoch eine erhöhte Rate von akuten Stentthrombosen gegenüber. Ein Grund könnte die gegenüber Heparin stark verkürzte Halbwertzeit von Bivalirudin sein, die die Anwendung sehr anspruchsvoll macht. Ein Verstoß gegen die vorgesehenen Protokolle kann schnell durch eine Stent-Thrombose bestraft werden.
Seit der Publikation der HORIZONS-AMI-Studie hat sich die Therapie des STEMI verändert. Die PCI wird häufiger von der Armarterie aus durchgeführt, was das Blutungsrisiko senken kann, die Patienten erhalten zusätzlich Ticagrelor oder Prasugrel, während Glycoprotein IIb/IIIa-Inhibitoren nur noch selten eingesetzt werden. Außerdem wird die Antikoagulation heute häufig in der Prähospitalphase begonnen, danach werden die Patienten zur PCI häufiger in ein Zentrum transportiert.
Die European Ambulance Acute Coronary Syndrome Angiography oder EUROMAX-Studie sollte untersuchen, ob die Therapie mit Bivalirudin unter diesen neuen Bedingungen weiterhin gleichwertig oder vorteilhaft gegenüber Heparin ist. 2.218 Patienten mit STEMI wurden auf Bivalirudin oder eine Kontrollgruppe randomisiert. Dort wurden die Patienten entweder mit unfraktioniertem oder niedermolekularen Heparinen antikoaguliert. Die Gabe von Glycoprotein IIb/IIIa-Inhibitoren in der Kontrollgruppe war dieses Mal optional.
Wie das Team um P. Gabriel Steg vom Hôpital Bichat in Paris jetzt auf dem Symposium „Transcatheter Cardiovascular Therapeutics“ in San Francisco parallel zur Publikation berichtet, konnte Bivalirudin wie in der Vorgängerstudie die Zahl der Blutungen senken. Sie traten unter Bivalirudin bei 2,6 Prozent, in der Kontrollgruppe dagegen bei 6,0 Prozent der Patienten auf.
Dieser Vorteil war auch für die signifikante Reduktion des primären Endpunkts (Todesfälle oder schwere Blutungen in den ersten 30 Tagen) verantwortlich, der im Bivalirudin-Arm bei 5,1 Prozent der Patienten auftrat gegenüber 8,5 Prozent in der Kontrollgruppe (relatives Risiko 0,60; 0,43–0,82).
Erhöhte Zahl von Stentthrombosen
Eine weitere Parallele zur HORIZONS-AMI-Studie ist die erhöhte Zahl von Stentthrombosen. Die Rate war mit 1,1 Prozent unter Bivalirudin mehr als sechsfach häufiger als in der Kontrollgruppe mit einer Rate von 0,2 Prozent (relatives Risiko 6,11; 1,37-27,24). Auch unter den heutigen Bedingungen bleibt Bivalirudin eine anspruchsvolle Alternative zu Heparinen. Bei Bivalirudin kann der Schaden schnell größer sein kann als der Nutzen. Der Hersteller hatte erst kürzlich in einem Rote-Hand-Brief angemahnt, dass die zugelassene Dosierung von Bivalirudin exakt eingehalten werden muss. Da das Mittel renal eliminiert wird, muss zudem die Nierenfunktion beachtet werden.
Nicht alle Experten sind von den Vorteilen von Bivalirudin hinsichtlich des Blutungsrisikos überzeugt. Shamir Mehta von der McMaster University in Hamilton kritisiert, dass der Endpunkt schwere Blutungen in der EUROMAX-Studie unklar definiert war. Er umfasste unter anderem einen Abfall des Hb-Werts um mehr als 4 g/dl ohne konkreten Nachweis einer Blutungsquelle.
Da die Studie nicht verblindet war, die Ärzte also wussten, welche Behandlung die Patienten erhalten hatten, könnten sie im Heparin-Arm (da sie um das erhöhte Blutungsrisiko wussten) häufiger die Entscheidung zum Einsatz von Blutkonserven getroffen haben. Für Mehta bleibt Bivalirudin deshalb eine problematische Wahl, bei der die Kardiologen wissen müssen, dass der Preis für eine vermiedene Blutung eine tödliche Stentthrombose sein kann. © rme/aerzteblatt.de

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