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Politik

Koalitionsvertrag: Geteilte Resonanz

Mittwoch, 27. November 2013

Im Fokus der Hauptstadtfotografen: Angela Merkel, Sigmar Gebriel und Horst Seehofer /dpa

Berlin ­ – Union und SPD haben heute den Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode unterschrieben. „Der Geist des Vertrages ist, dass eine große Koalition antritt, um auch größere Aufgaben für Deutschland zu meistern“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) heute bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages in Berlin. Wie auch die Parteivorsitzenden von SPD und CSU, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer, hob sie die vertrauensvolle Atmosphäre während der Beratungen in den vergangenen Wochen hervor.

„Es waren Verhandlungen, bei denen wir nie den Eindruck hatten, es würde auf unterschiedlichem Niveau mit- und übereinander geredet“, sagte Gabriel. Die SPD habe nun ihre Mitglieder in einem Brief dazu aufgefordert, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. „Ich bin der festen Überzeugung, dass das auch passieren wird“, so Gabriel. „Wir werden eine breite Mehrheit dafür finden.“

Merkel wies darauf hin, dass die Ressortzuschnitte und die Besetzung der Ministerposten erst nach der Abstimmung der SPD-Mitglieder bekannt gegeben würden. Zudem sei es der Wunsch der SPD gewesen, bei der Abstimmung nur über Inhalte und nicht über Personalfragen entscheiden zu lassen. Bis zum 12. Dezember haben die SPD-Mitglieder nun Zeit, per Post über den Koalitionsvertrag abzustimmen.

Investitionsfonds gestrichen
Vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages hatten die Parteichefs gestern verschiedene, zuvor von den Arbeitsgruppen (AGs) ausgehandelte Vorhaben gestrichen. Im Gesundheitsbereich wurde so der Plan getilgt, einen Investitionsfonds in Höhe von 500 Millionen Euro einzurichten, mit dem Krankenhäuser in lokale Versorgungseinrichtungen wie Altenheime, Medizinische Versorgungszentren oder Pflegezentren umgewandelt werden können. Das Geld hätte aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds genommen werden sollen.

Ebenfalls gestrichen wurde das Vorhaben, im Rahmen eines Präventionsgesetzes den Richtwert für Präventionsausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung von heute 3,01 Euro schrittweise auf zehn Euro anzuheben.

Entfernt wurde außerdem der Satz: „Der Bundeszuschuss von 14 Milliarden Euro bleibt auch in Zukunft zur Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen in der gesetz­lichen Krankenversicherung erhalten.“ Auf Nachfrage relativierte Merkel, der Zuschuss bleibe „im Grundsatz selbstverständlich erhalten“. Schon in der Vergangenheit habe er ja „immer mal wieder geschwankt“. Verschwunden sei er jedoch in keiner Weise.

Die Arbeitsgruppe Gesundheit hatte sich darauf verständigt, dass bei Anstellung beziehungsweise Zulassung ausländischer Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland deren Kenntnis der deutschen Sprache und der medizinischen Fachsprache einer kompetenten Sprachverwendung, dem sogenannten Referenzniveau C1, entsprechen solle. Dieses Vorhaben ist nun im Koalitionsvertrag nicht mehr enthalten.

Koalition will Unterschiede in der ärztlichen Vergütung prüfen
Wurden manche Vorhaben der AG Gesundheit gestrichen, so wurden andere neu in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Union und SPD wollen künftig zum Beispiel „prüfen, ob sich die Unterschiede in der ärztlichen Vergütung durch Besonderheiten in der Versorgungs- und Kostenstruktur begründen lassen und wie unbegründete Unterschiede aufgehoben werden können“.

Neu ist ebenfalls der Plan, zur Verbesserung der Datenlage für die Versorgungs­forschung Regionalkennzeichen der patientenbezogenen Ausgaben zu erheben.

Auch die Reform der Pflegeausbildung wurde im Koalitionsvertrag konkretisiert. So heißt es nun: „Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbildung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege etablieren.“

Und die Koalitionäre wollen künftig auch „die jeweiligen Besonderheiten berücksichtigen, die sich aus der Frauen- und Männergesundheitsforschung insbesondere für die gesundheitliche Versorgung und Erarbeitung von medizinischen Behandlungsleitlinien ergeben“.

BÄK: Koalitionsvertrag weist in richtige Richtung
„Der Koalitionsvertrag zeigt durchaus gesundheitspolitische Ansätze, die in die richtige Richtung weisen“, kommentierte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. So werde die hausärztliche Versorgung gestärkt, die Finanzierung von Krankenhäusern der Maximalversorgung und der Universitätskliniken werde stabilisiert und endlich sollten auch die Personalkosten in die DRG-Kalkulation einfließen. Zudem werde die langjährige Forderung der Ärzteschaft nach einer klaren, strafrechtlichen Regelung zu Korruption im Gesundheitswesen aufgenommen.  

Nach langer Nacht nur gute Laune

Dass sie die Nacht durchgemacht hatten, um den Koalitionsvertrag unter Dach und Fach zu bringen, war den drei Parteivorsitzenden am Mittag vor der versammelten Hauptstadtpresse nicht anzumerken. Die beiden Herren überboten sich gegenüber der Bundeskanzlerin in Freundlichkeiten und spielten sich die Bälle zu.

Ein wirklich großer Wurf sei es aber nicht geworden. Montgomery kritisierte, dass „Kassenfunktionäre jetzt nach Gusto den Medizinischen Dienst zu unangemeldeten Razzien in Krankenhäuser schicken“ könnten. „Das ist mehr geprägt von längst überwunden geglaubter Misstrauenskultur als vom Anspruch auf  Freiberuflichkeit und Therapiefreiheit“, so der BÄK-Präsident.

„Wir sehen in der Koalitionsvereinbarung einige gute Ansätze, um die ambulante Versorgung der Versicherten in Deutschland auch in Zukunft zu sichern“, befand auch der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Regina Feldmann. Die KBV begrüße, dass die heutigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln durch regionale Vereinbarungen von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ersetzt werden sollen. „Damit ist eine alte Forderung der KBV aufgegriffen worden. Viele junge Mediziner schreckt die Bedrohung, für ihre Verordnungen in Regress genommen zu werden, von einer Niederlassung ab“, sagte Feldmann.

Marburger Bund kritisiert Festschreibung der Tarifeinheit
Der Erste Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, kritisierte die im Koalitionsvertrag vorgesehene Regelung, den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip gesetzlich festzuschreiben. Die künftige Koalition habe sich damit „eine schwere Hypothek aufgeladen“, mahnte Henke. Denn es sei widersinnig, rechtswidrig und freiheitsfeindlich, das Recht aller Berufe infrage zu stellen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und eigenständig Tarifverträge zu schließen.

Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, kritisierte, der Koalitionsvertrag formuliere hinsichtlich Qualitäts- und Personalvorhaltung höchste Anforderungen an die Krankenhäuser, aber über eine Verbesserung der finanziellen Ressourcen zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der Häuser würden nur rudimentäre Aussagen getroffen. Immerhin positiv sei jedoch, dass Probleme wie die doppelte Degression, Mängel des Orientierungswertes und die unzureichende Ausgestaltung des Sicherstellungszuschlages als solche erkannt würden und die Finanzierung der Extremkostenfälle verbessert werden solle.

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter, bemängelte, die große Koalition wolle Deutschland visionslos verwalten statt die Zukunft zu gestalten. Im Koalitionsvertrag würden keine großen Aufgaben angepackt, stattdessen gebe es viel klein-klein und viele Unverbindlichkeiten. Die SPD sei dabei „voll auf Merkelkurs eingeschwenkt“. Im Bereich der Gesundheitspolitik fehle zudem vollkommen ein Reformansatz. Die SPD habe gesagt, sie wolle die Zwei-Klassen-Medizin abschaffen, so Peter. Dieser Weg sei jedoch nicht eingeschlagen worden. Stattdessen gebe es viele kleine Reformvorhaben. © fos/aerzteblatt.de

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