Ärzteschaft
Ärzte fordern Helmpflicht für Fahrradfahrer
Mittwoch, 18. Juni 2014
Berlin/Münster – Die Politik sollte Fahrradfahrer per Gesetz dazu verpflichten, Helme zu tragen. „Ich würde eine Helmpflicht für Fahrradfahrer aus medizinischen Gründen begrüßen“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, heute der Passauer Neuen Presse. Er reagierte damit auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
Die Richter hatten gestern entschieden, dass Radfahrer nach einem Unfall auch ohne Schutzhelm Anspruch auf vollen Schadenersatz haben. Eine Empfehlung für oder wider das Tragen von Helmen war damit aber nicht verbunden. Sie stellten lediglich fest, dass Fahrradhelme im Augenblick nicht gesetzlich vorgeschrieben sind.
„Fahrräder sind schneller geworden, und der Verkehr insgesamt ist schneller geworden. Der Gesetzgeber sollte dieses Urteil zum Anlass nehmen, eine Helmpflicht einzuführen“, sagte Montgomery der Zeitung.
Auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe plädierte für die Helmpflicht. „Der Sicherheitsvorteil muss offenbar erst durch eine gesetzliche Pflicht ins Bewusstsein der Bürger gerufen werden – so wie vor 40 Jahren mit der Gurtpflicht für Autofahrer“, sagte der Kammerpräsident Theodor Windhorst. Er betonte, Kopfverletzungen nach Fahrradunfällen zögen oft schwerste Verletzungen und bleibende Schäden nach sich.
Nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen tragen rund 15 Prozent der Fahrradfahrer einen Helm. © hil/aerzteblatt.de

"Du sollst doch keine anderen Götter neben Dir haben"!
Beide würden eine Helmpflicht für Radfahrer aus medizinischen Gründen begrüßen und der Kammerpräsident der ÄK Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst, lässt uns allen gar wissen, dass „der Sicherheits¬vorteil offenbar erst durch eine gesetzliche Pflicht ins Bewusstsein der Bürger gerufen werden (muss)“.
Es scheint einerseits lobenswert zu sein, wenn sich hochrangige Ärztefunktionäre um „Leib und Wohl“ „ihrer“ anvertrauten Bürgerinnen und Bürger nachhaltig Sorge machen und sich gleichsam als Berater der politisch Verantwortlichen für präventive Gesetzesvorhaben empfehlen.
Andererseits stößt es auf Bedenken, wenn Ärztefunktionäre meinen, über das Gesetz etwaige Pflichten in unser aller Bewusstsein zementieren zu müssen, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gibt, sehen wir mal von dem erst jüngst ergangenen Urteil des BGH zur Problematik um die Helmpflicht eines Fahrradfahrers ab.
Ärztefunktionäre sind eben nicht zimperlich, wenn es darum geht, mal eben schnell Vorschläge zu unterbreiten, die zwar nicht von den Bürgerinnen und Bürgern gewünscht, aber doch aufgrund der ärztlichen Expertise zwingend zu akzeptieren sind. Wenn schon nicht auf freiwilliger Basis, dann doch bitteschön durch einen gesetzlichen Zwang.
Nun, die Ärzteschaft als Profession scheint sich zunehmend daran zu gewöhnen, dass einige Ärztefunktionäre in „normierten Pflichten“ ein probates Erziehungsmittel erblicken, mit dem dann gelegentlich auch schon einmal die ureigene Gewissensentscheidung gebeugt werden kann, wie sich unschwer aus der „Werthaltung“ insbesondere der BÄK zur ärztlichen Suizidassistenz ablesen lässt.
Vielleicht sollte für den kommenden Deutschen Ärztetag die „Helmpflicht“ für die radelnde Ärzteschaft auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ärzte werden dann ihrem Ruf gerecht, mit gutem Beispiel für eine aktive Gesundheitsprävention voranzuschreiten, in dem diese zumindest in der Musterberufsordnung einige Verhaltenspflichten vorschreiben, die dem gesundheitlichen Wohl und Wehe nicht nur der Ärzteschaft, sondern insbesondere der Bevölkerung dienlich sein können.
Grenzen sind hierbei der konkreten „Regelungsmacht“ der Ärztefunktionäre nicht gesetzt: Neben der „Helmpflicht“ sollte die Ärzteschaft insbesondere auch auf eine gesunde Ernährung drängen und ggf. eine jährliche Gewichtsmessung ihrer Kolleginnen und Kollegen verbindlich vorsehen, um so den Gefahren des Übergewichts entsprechend vorbeugen zu können.
Von einem solch vorbildlichen Verhalten der Ärzteschaft würden dann entsprechende Signale ausgehen, die sowohl den parlamentarischen Gesetzgeber als auch die aufrechten Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dem guten Beispiel der verfassten Ärzteschaft zu folgen. Ein generelles Rauchverbot für die Ärzte wäre ebenso erwägenswert wie die Pflicht zum Unterlassen gefährlicher Risikosportarten und sofern wir noch einen Seitenblick auf die „Arztethik“ riskieren wollen, sollte es künftig den Ärzten verboten werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Dies hätte dann auch den Vorteil, dass alle Ärzte „Ärzte für das Lebens“ sind und sich fortan wieder als ärztlichen Kollegen wertschätzen können, ohne hierbei verkünden zu müssen, dass die „Ärzte für das Leben“ solche Kollegen nicht als Kollegen akzeptieren können und sich von diesen distanzieren müssen!
Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes und da wäre es denn auch konsequent, wenn wir auf die mahnende und zugleich bewusstseinsbildende Stimme der Ärztefunktionäre hören und im Zweifel den „liebevollen und gutgemeinten erzieherischen Zwang“ respektieren.
Was also bleibt?
Ärztefunktionären sollte ein ständiger Sitz mit entsprechender Stimme in der Regierung eingeräumt werden, damit diese auch das Gefühl haben, mit ihren Voten entsprechend gehört zu werden. Des Volkes Wille nimmt sich dagegen eher bescheiden aus, kann das Staatsvolk doch im Zweifel nicht den unschätzbaren Wert der Initiativen der Ärzteschaft erkennen.
Problematisch scheint allerdings zu sein, dass sich in den Reihen der Ärzteschaft einige Kolleginnen und Kollegen geradezu erdreisten, die „Lehrmeinung“ und damit zentrale Dogmen der ranghohen Ärztefunktionäre in Frage zu stellen.
Wie kann das sein? Immerhin wird in den Medien verkündet, dass „die Ärzte“ für eine Helmpflicht plädieren.
Nun – zwei Ärztefunktionäre kamen, sahen und sprachen. Dies muss einstweilen genügen, um der Mär aufzusitzen, als handele es sich um ein Votum der gesamten Ärzteschaft. Immerhin haben der Präsident der Bundesärztekammer und der Präsident der ÄK Westfalen-Lippe uns an ihrer Auffassung teilhaben lassen, die – wie so häufig – keinen Zweifel daran aufkommen lassen soll, als sei diese von profunder Sachkenntnis geprägt.
Also, liebe Ärztinnen und Ärzte: nicht diskutieren, sondern den „moralischen und geistigen Autoritäten“ Eures Berufsstandes folgen, denn sie wissen, was das Beste für Euch, das Staatsvolk und im Zweifel auch Europa ist.

Wer lesen kann...
Wie Herr Dr. Schätzler treffend geschrieben hat, schützt der Gurt im Auto erheblich umfangreicher als ein Fahrrad-Helm:
"Dem wollte der BGH einen Riegel vorschieben - ganz im Gegensatz zur allgemeinen Anschnallpflicht im Auto, die jedoch in der Tat verhindert, dass schon bei Tempo 30 und Vollbremsung ein Erwachsener mit einem Körpergewicht von 75 Kilogramm 750 Kilogramm stemmen müsste, um sich bei einem Aufprall ohne seine Gurthalterung selbst abstützen zu können. "
Und da das Tragen eines Integral-Helms sowie diverser Protektoren und Kevlar- und Cordura-Kleidung auf dem Motorrad zumutbar ist und nachgewiesen schützt, ist auch das mit dem Fahrradhelm nicht wirklich vergleichbar.

quod licet Jovi...

Evidenz

Gutes Urteil, schlechte Konsequenz.
Da werden den Versicherungen nötige Grenzen aufgezeigt.
Für mich ist jede der schon erwähnten Maßnahmen eher dazu geeignet, den Radverkehr zu fördern und insgesamt sicherer zu machen, als die geforderte Helmpflicht.
Diese lehne ich als Alltagsradler ab.

Immer Distanz wahren
Ich entschuldige mich für eine mögliche redundante Nennung des Links, weil ich nicht alle Kommentare gelesen habe. Abgesehen davon verweise ich auf die Postion des ADFC (nicht ADAC, Herr Montgomery) zum Thema:
- Tempo 30 in Ballungsräumen
- Änderung der Verkehrwegekennzeichnung: Ausweisen von Fahrradstreifen, -straßen und Radschnellwegen
- Verlagerung des Radverkehrs auf die Fahrbahnen

Eben nicht "wie beim Motorrad"
Leider helfen Helme, mit denen man noch halbwegs Fahrrad fahren kann, bei Kopfaufprallen von über 20 km/h nur noch wenig. Sie sind nicht dafür ausgelegt. Sie können unter Umständen die Schäden mindern, mehr nicht. Motorradfahrer tragen, wenn sie halbwegs denken können, nicht nur einen Helm, sondern Leder- / Cordura / Kevlar- Kleidung mit Protektoren, verstärkte Stiefel und Handschuhe.
Warum kommt Ihrer Meinung nach kein Fahrradfahrer für sein unfallträchtiges Verhalten selbst auf? Erstens kommt er ganz direkt mit eigenen Haut und Knochen für sein Fehlverhalten auf, zweitens zahlt er genauso seine Krankenversicherung wie Autofahrer auch. Und für Schäden, die ein Radler verursacht, kommt ggf. dessen Privathaftpflicht-Versicherung auf, und wenn er keine hat, er selbst.

wie beim Motorrad
Da kein Fahrradfahrer für sein unfallträchtiges Verhalten selbst aufkommt, sollte die Pflicht zum Helmtragen genauso wie auf dem Motorrad eingeführt werden. Die letzte Pflicht gibt es schon viele Jahrzehnte.

Perversion des Rechtssystems
Ebenso ignorieren Sie die Studien, die belegen, dass der gesundheitliche Benefit des Radfahrens, egal ob mit oder ohne Helm, sämtliche Unfallrisiken übersteigt.
Und Sie ignorieren die Hauptverursacher der Fahrrad-Unfälle: die Autofahrer.
Wenn Sie die Zahl der verunfallten Radfahrer senken wollen, dann fordern Sie sie von der Politik flächendeckendes Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften, die Verbesserung der Infrastruktur und eine nachhaltige Kontrolle der Verkehrsregeln.
Die Opfer, also die Radfahrer, durch eine Helmpflcht zu einem sehr lückenhaften Selbstschutz zu zwingen, ist genau so, wie wenn man Frauen auffordert, lange Röcke zu tragen, damit sie nicht belästigt werden.

Ärztefunktionäre sollten sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren!
Ranghohe Ärztefunktionäre sollten sich lieber auf ihr "Kerngeschäft" konzentrieren, auch wenn diese meinen, gut gemeinte Ratschläge erteilen zu können.
Es gibt viele "Baustellen", die aus der Sicht der Ärzteschaft der Abarbeitung bedürfen und sofern dann noch Zeit verbleiben dürfte, könnten sich die Ärztefunktionäre in einer ruhigen Stunde ggf. mit Ethikfragen beschäftigen, die diese nicht immer sachgerecht zu lösen wissen, bevor man/frau versucht, unter dem Deckmantel des "gesundheitlichen Wohls" der Bevölkerung weitere einschneidende Maßnahmen der körperlichen und geistigen Erziehung auf den Weg bringen zu wollen. Derer dürfte es unbestreitbar viele geben, wenn und soweit wir "medizinische Gründe" ins Feld führen. Vielleicht kommt ja doch noch der "staatliche Gewichtskommissar", der uns alle die im Zweifel schmackhafte "Currywurst" und freilich weitere Speisen und Genüsse "madig" machen will. So mancher Ärztefunktionär scheint für die Aufgaben einer wohlmeinenden staatlichen Gesundheitserziehung nebst "geistig-sittlicher Erziehung" besonders prädestiniert zu sein, so dass hier im Zweifel ein "Berufswechsel" angezeigt wäre.

Die BÄK sollte lieber ihre Hausaufgaben machen!
Zu diesem jahrzehntelang vernachlässigten BÄK-"Marken"-Kern sollte die Bundesärztekammer (BÄK) sich einfach extern "coachen" lassen, wie man das bei dem grandios gescheiterten Flughafen Berlin Brandenburg BER "Willy Brand" jetzt auch als zwingende Notwendigkeit erkannt hat.
Aber wenn der Bundesgerichtshof (BGH) gestern lediglich juristisch glasklar und höchstrichterlich entschieden hat, dass Rad-Fahrenden nach einem Unfall auch o h n e Schutzhelm Anspruch auf v o l l e n Schadenersatz zusteht, um deren zivilrechtlichen Ansprüche zu sichern': So bedeutet dies auch für einen juristischen Laien wie den BÄK-Präsidenten erkennbar, dass es dabei mitnichten um eine wie auch immer geartete Helm-Tragepflicht und allgemeine Selbstschutz-Verpflichtung gegangen wäre.
Juristisch in die Zukunft weisender Grund-Tenor der BGH-Entscheidung war dagegen, dass niemand als Unfallopfer und unschuldig Geschädigter mit einer Minderung seiner Schadenersatzansprüche belegt werden darf, weil er nicht das Ereignis antizipierende, sozusagen vorausschauende Schutzmaßnahmen und Eigensicherung betrieben hat.
Sonst müssten wir für jeden Fußgänger im Straßenverkehr "Gehlicht", Bremslicht, Rücklicht, Fahrtrichtungsanzeiger, Hupe, Nummernschilder und umfassende Protektoren fordern, sobald dieser eine Straße queren oder eine längere Strecke laufen bzw. rennen wollte. Schwimmen im Meer, in Flüssen oder Teichen wäre ohne Notsignal-Raketen-, Nebelhorn- und Radarausrüstung nicht mehr gestattet, weil jeder rücksichtslose Motorbootfahrer andernfalls Schadenersatz-Minderung beantragen könnte.
Dem wollte der BGH einen Riegel vorschieben - ganz im Gegensatz zur allgemeinen Anschnallpflicht im Auto, die jedoch in der Tat verhindert, dass schon bei Tempo 30 und Vollbremsung ein Erwachsener mit einem Körpergewicht von 75 Kilogramm 750 Kilogramm stemmen müsste, um sich bei einem Aufprall ohne seine Gurthalterung selbst abstützen zu können.
Also lieber Kollege und BÄK-Präsident bzw. ÄKWL-Kammerpräsident Dr. med. Theodor Windhorst: Bitte anschnallen!
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Ärzte fordern Helmpflicht für Fahrradfahrer
Unsere beiden Präsidenten mögen auch im übertragenen Sinn ihre Karossen gelegentlich abbremsen und die radfahrenden Kollegen mit ausreichend Sicherheitsabstand respektvoll passieren lassen.

Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.