Medizin
Studie: Kognitive Störungen durch Algen-Virus im Rachen
Montag, 3. November 2014
Baltimore – US-Forscher haben die Gene eines Virus, das normalerweise nur Algen infiziert, im Oropharynx von gesunden Menschen nachgewiesen. Die häufige Besiedlung ging in einer Studie in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS 2014; doi: 10.1073/pnas.1418895111) mit leichten kognitiven Störungen einher, die sich in einem Tiermodell reproduzieren ließen.
Der menschliche Körper ist von unzähligen Bakterien, Viren und Pilzen besiedelt, die auch bei anderen Spezies angetroffen werden. Normalerweise sind die Wirte der Erreger jedoch verwandt. Ebola infiziert neben dem Menschen Affen und andere Säugetiere. Grippeviren werden bei Schweinen und Geflügel gefunden. Dass aber ein Virus den Sprung von einer Süßwasseralge zum Menschen schafft, ist ungewöhnlich.
Der Virologe Robert Yolken vom Johns Hopkins Children’s Center in Baltimore war deshalb erstaunt, als er bei einer Mikrobiom-Analyse auf die DNA von Acanthocystis turfacea chlorella virus 1 (ATCV-1) stieß. Bei 40 von 92 Teilnehmern war der Rachen besiedelt. ATCV-1 infiziert normalerweise Chlorella, die zu den Süßwasseralgen gehört. Es handelt sich um einzellige Lebewesen, die mit dem menschlichen Organismus nur wenige genetische Gemeinsamkeiten haben.
Der Nachweis von ATCV-1 auf der Rachenschleimhaut, die vielleicht mit der Nahrung dahin gelangten, wäre im Prinzip bedeutungslos, doch die Untersuchung von Yolken ergab, dass die besiedelten Probanden in diversen kognitiven Tests schlechtere Leistungen hatten als andere. Die Unterschiede waren gering und weit unterhalb der Schwelle zur Demenz, sie waren aber signifikant, berichtet Yolken. So schnitten Probanden, die das Virus im Rachen beherbergten, in einem Test, in dem sie eine Reihe nummerierter Kreise mit einer Linie verbinden mussten, im Durchschnitt um fast neun Punkte schlechter ab. In einem Test zur Aufmerksamkeit waren die Ergebnisse um sieben Punkte niedriger.
Yolken führte daraufhin Experimente an Mäusen durch, die er absichtlich intestinal mit dem Virus infizierte. Die Tiere zeigten ebenfalls Störungen in ihren kognitiven Fähigkeiten. Sie benötigten zum Beispiel längere Zeit, um sich in einem Labyrinth zurechtzufinden, und sie erkannten die Abkürzungen nicht, die die Forscher für sie vorbereitet hatten. Auch die Neugierde auf neue Objekte war geringer, die Aufmerksamkeit vermindert und die Ablenkbarkeit erhöht.
Die Forscher konnten zwar die Viren niemals im Gehirn der Mäuse identifizieren, so dass eine Infektion unbewiesen bleibt. Im Hippocampus, dem für die Gedächtnisbildung zentralen Hirnzentrum, war jedoch die Expression verschiedener Gene verändert. Darunter waren laut Yolken Gene, die den Neurotransmitter Dopamin regulieren oder an neurologischen und kognitiven Funktionen beteiligt sind.
Wie ein Virus, das selbst im Gehirn nicht vorhanden ist, die Gedächtnisfunktion stören könnte, ist unklar. Yolken vermutet, dass die Infektion eine Reaktion im Immunsystem auslöst, die dann eine Fernwirkung auf das Gehirn hat. Beweise für die Hypothese fehlen und die Ergebnisse einer einzelnen Studie sind sicherlich kein Grund zur Beunruhigung. Die Mikrobiom-Analysen, die erstmals eine Inventur der mikrobiellen Besiedlung des Menschen ermöglichen, dürften jedoch noch häufiger zu skurrilen Ergebnissen führen. © rme/aerzteblatt.de

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