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Medizin

Der Darm denkt mit: Intelligenter durch Bacteroides

Mittwoch, 1. April 2015

Hannover - Die Redewendung „eine Entscheidung aus dem Bauch heraus treffen“ könnte durch Studienergebnisse des neu geschaffenen Max-Planck-Instituts für gastrointestinale Kybernetik in Hannover eine neue Bedeutung erlangen. Die Forscher haben bei Darmbakterien Synapsen-ähnliche Verbindungen entdeckt, die neuronale Netzwerke ausbilden. Epidemiologische Studien zeigen, dass die Zusammensetzung der Darmflora den Intelligenzquotienten beeinflussen kann.

Der Darm wurde in der Vergangenheit zu Unrecht auf seine Rolle als Verdauungsorgan reduziert. Inzwischen ist klar, dass die Darmwand das größte Immunsystem des menschlichen Körpers enthält. Der Darm ist außerdem die Heimat unterschiedlicher Bakterien, deren Anzahl die des menschlichen Körpers weit übertrifft. Die Auswirkungen der Darmflora auf die menschliche Gesundheit sind das Aufgabengebiet des neu geschaffenen Max-Planck-Instituts für gastrointestinale Kybernetik in Hannover. Die Forscher dort untersuchen mit modernsten Techniken die genaue Zusammensetzung der Darmflora. Einen Schwerpunkt bildet die Interaktion der einzelnen Darmbakterien untereinander.

Bekannt war, dass Bakterien Gene untereinander austauschen. Dieser Transfer ist ein wichtiger Grund für die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Auf den mikroskopischen Aufnahmen, die die Forscher in Hannover mit der jüngsten Generation von Endoskopen gemacht haben, waren auffällig viele schlauchartige Verbindungen unter den Darm­bakterien zu erkennen.

Diese Nanotubuli dienen offenbar nicht nur dem Austausch von genetischen Informa­tionen, wie das Team um Institutsleiter Wilhelm Gut jetzt herausfand. Auf den Aufnahmen, die die Forscher im Darm von gesunden Probanden machten, wiesen die Nanotubuli eine auffallende Ähnlichkeit mit den Synapsen des Nervensystems auf. Elektrophysiologische Untersuchungen, die heute ebenfalls über Endoskope möglich sind, bestätigten den Verdacht. Die Bakterien waren in der Lage, Aktionspotenziale an benachbarte Bakterien weiter zu leiten.

Da im Darm einzelne Bakterien immer mit mehreren anderen Bakterien verbunden sind, ergab sich ein Geflecht, deren Funktion den Forschern zunächst ein Rätsel blieb. Ein Austauschwissenschaftler aus Kalifornien, der zuvor in einem Labor einer IT-Firma gearbeitet hatte, erkannte jedoch sofort die prinzipielle Ähnlichkeit mit den Microchips in Computern. In-vitro Experimente zeigten dann, dass die mikrobiellen Netzwerke zur Datenverarbeitung in der Lage waren. Durch die Zugabe von neuronalen Wachstums­faktoren bildeten sich im Reagenzglas komplexe Strukturen, die einfache Rechen­leistungen erledigten. Das Niveau entsprach in etwa dem eines einfachen Taschen­rechners ohne Zusatzfunktionen, erklärt Prof. Gut.

Die Forscher sind sich inzwischen sicher, dass die Bakterien auch im Darm Informations­netzwerke ausbilden. Welche Auswirkungen dies auf den Körper haben könnte, ist unklar. Bekannt ist allerdings, dass viele Bakterien in einer engen Beziehung zu den Epithelzellen des Darms stehen. Die Darmwand enthält darüber hinaus zahlreiche Nervenzellen, die als enterisches Nervensystem bezeichnet werden. Ihre Aufgabe schien bisher auf die Regulierung der Darmmotorik beschränkt zu sein. Die enge Verbindung zum IT-Netzwerk der Darmbakterien deutet jedoch auf eine ganz andere Rolle hin. Man stehe hier noch am Anfang der Forschung, meinte Prof. Gut und es sei zu früh für Spekulationen.

Sein Kollege Privatdozent Ernst Brainelli geht bereits einen Schritt weiter. Anhand des Datenmaterials der EPIC-Studie hat der leitende Epidemiologe am Hannoverschen Institut untersucht, ob die Zusammensetzung der Darmflora einen Einfluss auf die Hirnleistung haben könnte. Die noch nicht publizierten Ergebnisse zeigen eine klare Assoziation des Enterotyps 1 im Darm zum Intelligenzquotienten. Der Enterotyp 1 ist laut Brainelli durch einen hohen Anteil von Bacteroides gekennzeichnet. Diese Bakterien bilden mehr Mikrotubuli aus als andere Bakterien, was die Rechnerleistung des Darms erhöhen könnte.

Auch in einer Kohorte von deutschen Mitgliedern von Mensa International, einer Vereinigung von Menschen mit hohem Intelligenzquotienten, dominierte der Enterotyp 1. Dr. Brainelli warnt vor voreiligen Schlüssen. Seine Ergebnisse könnten jedoch klinische Auswirkungen haben. So ist denkbar, dass häufige Antibiotikabehandlungen über eine Zerstörung der intestinalen Netzwerke die Hirnfunktion langfristig beeinträchtigen. Andererseits könnte sich der Intelligenzquotient eines Menschen durch die Transplantation von Darmbakterien steigern lassen.

Stuhltransplantationen werden bereits mit Erfolg zur Behandlung der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö eingesetzt. Ob sie eine Methode zum „cognitive enhancement“ wären, ist unklar. Da neue Forschungsergebnisse heute rasch den Weg in die Allgemeinheit finden, ist man bei Mensa International alarmiert.

Eine Verwendung von Stuhlproben ohne die Zustimmung des Besitzers sei illegal, betonte ein Sprecher. In einem Rundschreiben hat die Organisation ihre Mitglieder aufgefordert, ihre Toiletten auch dann zu verschließen, wenn sie sie benutzen. Beim Besuch öffentlicher Aborte sollte man strikt darauf achten, nicht erkannt zu werden. Vor den Toiletten ihres Clubs im noblen Londoner Westend gibt es jetzt einen Türsteher, der die Identität der Benutzer prüft. © rme/aerzteblatt.de

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