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Medizin

Flibanserin: FDA-Gutachter fordern Libido-Medikament für Frauen

Freitag, 5. Juni 2015

Kritiker schreiben die FDA-Entscheidung der guten Lobby-Arbeit von Sprout Pharmaceuticals zu /dpa

Silver Spring/Maryland – Nach einer intensiven Lobby-Kampagne des neuen Herstellers haben sich die externen Berater der US-Arzneibehörde FDA für die Zulassung von Flibanserin zur Behandlung von sexuellen Appetenzstörungen von Frauen („Hypoactive Sexual Desire Disorder“, HSDD) ausgesprochen. Dabei hatte der gemischte Serotonin Agonist/Antagonist in klinischen Studien nicht alle Beobachter überzeugt, und die FDA hatte zwei frühere Zulassungsanträge abgelehnt.

Auf der Suche nach einem rasch wirksamen Antidepressivum – die Wirkung von heutigen Mitteln setzt oft erst nach mehreren Wochen ein – hatten Pharmakologen von Boehringer Ingelheim Italia in den 1990er Jahren  BIMT 17 gefunden, das auf die Serotonin-Rezeptoren (als Agonist auf 5-HT1A und als Antagonist auf 5-HT2A Rezeptoren) im frontalen Cortex des Gehirns wirkt.

Boehringer Ingelheim begann klinische Studien zur Behandlung der Major-Depressionen bei Frauen und Männern. Dabei stellte sich heraus, dass Flibanserin keine antide­pressive Wirkung zeigte. Als „Nebenwirkung“ fiel jedoch auf, dass die Teilnehmer die sonst bei Depressionen häufige sexuelle Lustlosigkeit verloren. Daraufhin wurde ein klinisches Programm zur Behandlung der HSDD begonnen.

Doch die Ergebnisse der beiden Phase 3-Studien enttäuschten. Im primären Endpunkt, der in einem elektronischen Tagebuch erfassten „daily sexual desire“ kam es zu keiner signifikanten Verbesserung gegenüber Placebo (das ebenfalls eine gewisse Wirkung gezeigt hatte). Nur in einem sekundären Endpunkt, dem Female Sexual Function Index (FSFI) konnte eine Wirkung nachgewiesen werden.

Dies überzeugte allerdings 2010 auf einer Tagung der FDA die geladenen externen Gutachter nicht. Sie sprachen sich einstimmig mit 11 zu 0 Stimmen gegen eine Zulassung aus, auch weil sie von der Sicherheit des Wirkstoffs nicht überzeugt waren. Flibanserin wird in der Leber über das CYP3A4-System abgebaut, was bei gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente, die als CYP3A4-Inhibitoren wirken, schnell zu einer Überdo­sierung führen könnte, wie die FDA-Mitarbeiter damals in den Tagungsunterlagen hervorhoben.

Die FDA lehnte die Zulassung ab und regte weitere Studien an. Boehringer Ingelheim warf daraufhin das Handtuch und verkaufte die Rechte an dem Wirkstoff an die Firma Sprout Pharmaceuticals mit Sitz in Raleigh/North Carolina, die extra zur Vermarktung des Mittels gegründet worden war.

Der neue Hersteller führte eine weitere Phase 3-Studie durch, deren Ergebnisse die FDA jedoch ebenfalls nicht überzeugten. In der neuen Studie hatte Flibanserin zwar den FSFI verbessert, doch die Unterschiede waren gering. Aus Sicht der FDA überwogen die Sicherheitsrisiken. Neben den Interaktionen am CYP3A4-Enzym, die in einigen Fällen zu signifikanten Blutdruckabfällen geführt hatten, verwies die FDA auch auf zentralnervöse Nebenwirkungen. Dazu gehörten leichte Bewusstseinsstörungen (Somnolenz), die aber zu schweren Verletzungen durch Unachtsamkeit führen könnten.

Der Hersteller unternahm einen weiteren Versuch, der dann die Grundlage für die aktuelle Gutachtentagung der FDA wurde. Dieses Mal konzidierte die FDA in den Tagungsunterlagen, wenn auch mit Vorbehalt, dass Flibanserin eine gewisse Wirkung erzielt. Sie bestünden:

Erstens in einer Steigerung der sexuell befriedigenden Momente (SSE „satisfying sexual events“) von einem mittleren Ausgangswert von circa 2-3 SSE pro Monat um etwa 0,5 bis 1,0 SSE pro Monat im Vergleich zu einer Placebobehandlung.

Zweitens in einem Anstieg des FSFI-Score von einem mittleren Ausgangswert von etwa 1,8 bis 1,9 Punkten um 0,3 bis 0,4 Punkte im Vergleich zu einer Placebobehandlung (Der FSFI-Score reicht von 1,2 bis 6,0 Punkten).

Drittens in einer Verbesserung in einem „Distress-Score“ von einem mittleren Ausgangswert von 3,2 bis 3,4 aus um 0,3 bis 0,4 Punkte im Vergleich zu einer Placebobehandlung (auf einer Skala von 0 bis 4 Punkten).

Diesen Vorteilen stehen die bereits genannten Risiken durch Arzneimittelwechsel­wirkungen gegenüber. Neben den Gefahren durch die gleichzeitige Einnahme von CYP3A4-Inhibitoren, zu denen auch orale Kontrazeptiva oder Antimykotika zur Behandlung von vaginalen Pilzerkrankungen gehören, weist die FDA darauf hin, dass auch der Konsum von Alkohol in üblichen Mengen in einer Studie das Risiko von Blutdruckabfällen und Synkopen gesteigert hat.

Trotz der Bedenken der Behörde haben sich die Gutachter jetzt mit 18 gegen 6 Stimmen überraschend für die Zulassung von Addyi ausgesprochen, dem vorgesehenen Präparatenamen. Die New York Times und andere Medien machen hierfür die intensive Lobby-Arbeit des Herstellers verantwortlich, dem es in den letzten Monaten gelungen sei, einen öffentlichen Druck für die Zulassung aufzubauen. Zu den Unterstützern gehörte beispielsweise die Website eventhescore.org, die der FDA eine frauenfeindliche Haltung unterstellte, da sie ein Potenzmittel (Sildenafil) für Männer zugelassen habe, das gleiche Recht aber Frauen verweigere.

Kritiker verweisen darauf, dass es für Sildenafil bessere Argumente in klinischen Studien gegeben habe als jetzt für Flibanserin. Außerdem sei das Mittel nicht mit Flibanserin vergleichbar, da sein Ansatzpunkt die erektile Dysfunktion sei und nicht die Libido. Anders als bei der erektilen Dysfunktion sei es bei der HSSD zweifelhaft, ob die Störung überhaupt existiere. Der australische Journalist Ray Moynihan warf dem Hersteller im Britischen Ärzteblatt im letzten Jahr vor, feministische Argumente vorzuschieben, um die Zulassung eines profitablen Medikaments von zweifelhafter Wirkung durchzuboxen. Für die Firma Sprout Pharmaceuticals steht, dass HSDD seit mehr als 30 Jahren eine medizinisch anerkannte Störung ist.

Das US-Diagnosemanual DSM hat die weibliche Libido- oder Appetenzstörung erstmals 1980 als „Inhibited Sexual Desire Disorder“ (DSM-III) aufgenommen. Im Jahr 2000 wurde im DSM-IV daraus die „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ (HSDD). Die aktuelle Version DSM-V bezeichnet die Libidostörung als „female sexual interest/arousal disorder“ (FSIAD), die der „male hypoactive sexual desire disorder“ gegenübergestellt wird.

Noch ist Addyi in den USA nicht zugelassen. Die Behörde ist nicht an das Votum ihrer externen Berater gebunden und hat sich in der Vergangenheit auch schon einmal anders entschieden. Die Entscheidung soll Ende August fallen. © rme/aerzteblatt.de

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