Medizin
Palliative Chemotherapie kann Lebensqualität verschlechtern
Freitag, 24. Juli 2015
New York – Die palliative Chemotherapie, die in den letzten Lebensmonaten eigentlich die Lebensqualität der Patienten verbessern und eventuell die Lebensphase verlängern soll, erreichte diese Ziele in einer prospektiven Studie in JAMA Oncology (2015; doi: 10.1001/jamaoncol.2015.2378) nicht: Nach dem Urteil der engsten Betreuer litten vor allem Patienten mit gutem Allgemeinzustand unter den Folgen der Chemotherapie, ohne dass eine lebensverlängernde Wirkung erkennbar war.
Die Studie umfasst 312 Patienten mit metastasierten Karzinomen unterschiedlicher Organe, deren Lebenserwartung die Ärzte auf maximal sechs Monate einstuften. Alle Patienten wurden zu Beginn der Studie untersucht. Dabei wurde der Allgemeinzustand bestimmt und gefragt, ob die Patienten eine palliative Chemotherapie durchführten. Kurz nach dem Tod wurden die engsten Betreuer der Patienten nach der Lebensqualität der Patienten in der letzten Lebenswoche interviewt.
Die Studienleiterin Holly Prigerson vom Weill Cornell Medical College in New York hatte erwartet, dass die Patienten mit einem guten Allgemeinzustand (ECOG 0 oder 1, entspricht einem Karnofsky-Index von mindestens 70 Prozent, bei dem die Patienten nicht auf fremde Hilfe angewiesen sind) am meisten von einer palliativen Chemotherapie profitieren. Ein günstiger Einfluss auf die Lebenserwartung war allerdings nicht erkennbar. Die Patienten lebten nicht länger als Patienten mit gleichen ECOG-Werten, die auf eine Chemotherapie verzichtet hatten. Ihre Lebensqualität war sogar schlechter als bei einem Verzicht auf die Chemotherapie (Odds Ratio 0,35; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,17-0,75).
Dieses Ergebnis ist überraschend, da in vielen klinischen Studien eine Chemotherapie bei metastasierten Karzinomen neben einer (zumeist kurzen) Lebenszeitverlängerung auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität führt. Die meisten dieser Studien beschränken die Teilnahme auf Patienten mit einem guten Allgemeinzustand (ECOG 0 oder 1), so dass Prigerson hier am ehesten mit einer Verbesserung der Lebensqualität gerechnet hätte.
Bei Patienten mit einem schlechterem Allgemeinzustand raten die meisten Fachgesellschaften eher von einer Chemotherapie ab. Die Ergebnisse von Prigerson zeigen jedoch, dass die Chemotherapie hier die Lebensqualität nicht (weiter) verschlechterte (aber auch nicht verbesserte). Die Odds Ratio für Patienten mit einem ECOG 2 betrug 1,06 (0,51-2,21) und für einen ECOG-Score 3 betrug sie 1,34 (0,46-3,89), was in der Tat auf eine tendenziell bessere Lebensqualität durch die Chemotherapie hinweist, die aber nicht signifikant war. Ein Zufallsergebnis ist deshalb nicht ausgeschlossen.
Für die Editorialisten Charles Blanke und Erik Fromme von der Oregon Health & Science University in Portland werfen die Ergebnisse die „fundamentale Frage“ auf, ob Patienten in den letzten Wochen überhaupt zu einer Chemotherapie geraten werden sollte. Die Studie kann diese Frage allerdings kaum beantworten, da sie keine Angaben zur Art und Dosis der Chemotherapie macht und die Erfassung der Lebensqualität erst nach dem Tod des Patienten mit einem relativ groben Instrument abgewickelt wurde (drei Fragen zum psychischen, körperlichen und allgemeinen Befinden).
Blanke und Fromme raten dennoch zu einem zurückhaltenden Einsatz, zumal viele Patienten und ihre Angehörigen die Möglichkeiten der Chemotherapie häufig überschätzten und sich auf einen „Kampf“ mit dem Krebsleiden einlassen, aus dem sie aus tumorbiologischen Gründen nur als Verlierer hervorgehen können. Onkologen könnten gegen die Studie einwenden, dass die Studie zwischen 2002 und 2008 durchgeführt wurde und deshalb die Fortschritte der letzten Jahre nicht berücksichtigt. © rme/aerzteblatt.de

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