Ärzteschaft
Entscheidung für den Organspendeausweis braucht persönliches Arztgespräch
Freitag, 21. August 2015
Münster – Für die Beschäftigung der Bürger mit dem Thema Organspende sind persönliche Arztgespräche unerlässlich. „Gerade das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis und das persönliche Gespräch können dabei helfen, bestehende Ängste abzubauen und die Menschen wieder zur Organspende zu ermutigen“, sagt der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst.
Seiner Auffassung nach genügt es nicht, wenn die Krankenkassen – wie augenblicklich – ihre Versicherten anschreiben und über das Thema informieren. Die wohlgemeinten Informationsmaterialien könnten das Gespräch zwischen Arzt und Patient nicht ersetzen, wohl aber aktueller Anlass für ein solches Gespräch sein, so Windhorst. Der Arzt könne mit dem Patienten in einer vertrauensvollen Atmosphäre über Themen wie Tod, Organspende oder Patientenverfügung sprechen und medizinische Zusammenhänge erklären.
„Wir müssen immer wieder verdeutlichen, dass die Organspende auf drei eigenständigen Säulen in einem konsequent kontrollierten System basiert: Organentnahme, Organvermittlung und Organtransplantation erfolgen unabhängig voneinander“, so der Kammerpräsident. Besonders der Hinweis auf die vorgegebenen Regeln und Kontrollen und das Mehr-Augen-Prinzip könne für Vertrauen sorgen. „Um das gesamte System der Organspende zu akzeptieren, darf die Hirntod-Diagnostik kein Angst auslösendes Mysterium für Patienten und Angehörige bleiben“, so Windhorsts Appell zum direkten Gespräch.
© hil/aerzteblatt.de

Unverständlich
Ich verstehe da den BÄK-Präsidenten nicht ganz. Er spricht sonst bei bioethischen Streitfragen wie der Pränataldiagnostik, der Präimplantationsdiagnostik, der Gendiagnsotik etc. ein klare Sprache. Außerdem ist er umfassend über die medizinischen, ethischen und gesellschaftlichen Fallstricke der einzelnen Methoden informiert. Das hat er über die Jahre hinweg in vielen Stellungnahmen und Interviews immer wieder bewiesen. Beim Hirntod scheint dieses kritische Bewusstsein schwächer ausgeprägt zu sein. Mir erschließt sich nicht warum. Denn fast alle medizinethischen Problemfelder haben eines gemeinsam: es geht immer darum, ob das schwache, kranke, sterbende Leben qua Diagnostik als nicht "lebenswert" deklariert und eliminiert werden darf. Dabei wird völlig übersehen, dass Diagnosen und Prognosen auch fragwürdig oder schlicht falsch sein können. Es mangelt auf all diesen Gebieten an Qualitätssicherung. Zumindest die Stellungnahme der Leitenden Krankenhausärzte(VLK) sollte den Verantwortlichen schwer zu denken geben.

Das Sprachverständnis von Herrn Montgomery
Hier wäre es gut, wenn er sich wieder an die Zeit seines Medizinstudiums zurück erinnern würde. Der Hirntod führt selbstverständlich zum irreversiblen Hirnfunktionsausfall. Diese Kausalität ist trivial. Nicht trivial ist dagegen die Methodik, da die Bestätigung durch den Pathologen den Zugang zum Gewebe erfordert, was sich vor der sicheren Feststellung des Todes aus ethischen Gründen verbietet.
Aus diesem Grund geht die Richtlinie den umgekehrten Weg. Der "irreversible Hirnfunktionsausfall" wird dem Hirntod gleichgestellt. Der Vorteil ist, daß man versucht, den Tod des Hirngewebes zu beweisen, ohne es vorher zerstören zu müssen. Der Nachteil ist aber, daß drei methodische Probleme gelöst werden müssen:
Erstens messen wir die Funktion des Gehirns, aber jede Meßmethode hat einen cut off, wir müssen also sicher sein, daß die verwendeten Methoden ausreichend sensitiv sind und Störfaktoren, die ein falschnegatives Ergebnis liefern, ausgeschlossen sind.
Zweitens wird der Begriff "irreversibel" von einer Wiederholung der Testung abgeleitet, ist aber streng genommen nur eine Extrapolation des aktuellen Zustands und nur für eine begrenzte Zeit gültig.
Und drittens soll diese Diagnostik innerhalb eines begrenzten Zeitfensters abgeschlossen werden, bevor die zu entnehmenden Organe durch den Nachweis sicherer Todeszeichen für eine Spende unbrauchbar werden.
All dies zeigt, die Kausalkette vom Hirntod zum irreversiblen Hirnfunktionsausfall ist sicher. Der umgekehrte Weg von einem reproduzierbaren Funktionsverlust unterhalb der Nachweisgrenze der jeweiligen Methode zur "Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms" mit dem Ziel der Annahme des Hirntods ist dagegen eine Rechnung mit Wahrscheinlichkeiten.
Zusammenfassend kann man sagen, die aktuelle Richtlinie ist ein notwendiger und nach menschlichem Ermessen hinreichend sicherer Zwischenschritt, um das Procedere der Organspende einleiten zu können. Aber aufgrund der meßtechnischen Einschränkungen ist der reproduzierbare Funktionsverlust des Gehirns nur ein Surrogatmarker für den Hirntod. Der Versuch, den Hirntod als umgangssprachliches Relikt zu degradieren, ist der Orwell'sche Ansatz der Problemlösung, indem ein Problem dadurch gelöst werden soll, indem man es aus dem Sprachschatz verbannt.
Besser wäre nach meiner Meinung das umgekehrte Herangehen, ein Surrogatmarker ist per se nicht schlecht, aber er hat nur eine temporäre Daseinsberechtigung und sollte schnellstmöglich durch den richtigen Parameter ersetzt werden. Das wäre in diesem Fall die Bestätigung durch den Pathologen.
Ein angenehmer Nebeneffekt einer Obduktion unmittelbar nach Organentnahme wäre die Tatsache, daß der Pathologe auch auf die Zeichen einer Meningitis oder Enzephalitis achten könnte, und ggf. die Implantation verhindern oder zumindest eine Postexpositionsprophylaxe anraten könnte. Derartige Ereignisse sind selten, aber nicht ausgeschlossen: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53772/USA-Tollwuttod-mehr-als-ein-Jahr-nach-Transplantation?

Der Begriff Hirntod hat ausgedient?
Wie will man diesen Begriff nachhaltig eliminieren? Handelt es sich um ein Rückzugsgefecht, weil der Hirntod als "Tod des Menschen" ins Gerede gekommen ist? Und Kammerpräsident Windhorst gebraucht ihn locker weiter. Die Konsequenz: die totale Konfusion.

Juristen und natürliches Rechtsempfinden
Die moralische Rechtfertigung für die Organentnahme ist der Hirntod. Die Diagnostik, die in der Richtlinie beschrieben wird, ist aber von einer Ausnahme abgesehen (der Angiographie) eine rein funktionelle Diagnostik, was sich auch in dem Namen dieser Richtlinie niederschlägt. Aber Hirnfunktionsausfall und Hirntod hängen zwar zusammen, sind aber nicht identisch, nicht umsonst ist diese Diagnostik nicht trivial und die Richtlinie über 30 Seiten lang.
Und es kommt noch schlimmer. Nach der Richtlinie ist der offizielle Todeszeitpunkt der Zeitpunkt der Feststellung des irreversiblen Funktionsausfalls, also ein rein administrativer Akt ohne jede Beziehung zur klinischen Situation. Ich versuche mir vorzustellen, wie man das einem Angehörigen erklären soll: Weder die Körpertemperatur noch die Sauerstoffsättigung haben sich irgendwie geändert, nur durch einen Federstrich wird innerhalb einer Sekunde ein lebender Mensch zur Leiche und damit zu einer "Sache", über die verfügt werden muß.
Aus meiner Sicht kann man den Widerspruch zwischen aktueller Rechtslage und natürlichem Rechtsempfinden nur auf eine Art und Weise lösen: durch eine verpflichtende Obduktion nach Organentnahme. Entweder kann der Pathologe makroskopisch postmortale Veränderungen im Hirngewebe feststellen, dann ist es trivial, oder er muß histologisch die frühen Zeichen der Zelldegeneration im Schnittbild nachweisen.
Der große Vorteil eines solchen Vorgehens wäre, daß der Angehörige im Nachhinein in seiner Entscheidung unterstützt werden kann, bei der Liste der Todesursachen stände ganz oben der Hirntod in den betroffenen Arealen zum Zeitpunkt X (geschätzt) und das irreversible Kreislaufversagen nach Organentnahme um Zeitpunkt Y (genau bestimmbar). Der Hirnfunktionsausfall ist dann lediglich ein Zwischenschritt für die Krankenakte. Wenn der Zeitpunkt des Kreislaufversagens nach Organentnahme zum offiziellen Todeszeitpunkt deklariert wird, hätte dies den Vorteil, daß der Spender bis zum Schluß als "Subjekt" behandelt werden muß und erst die Organe als "Sache" behandelt werden können. Ich möchte nur an folgenden Artikel im DÄ erinnern: http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/63662/Organspende-Milde-Hypothermie-verbessert-Nierenqualitaet?s=hypothermie
Auch wäre ein derartiges Vorgehen eine externe Qualitätssicherung wie im vorhergehenden Diskussionsbeitrag angemahnt. Im worst case (wiederholt keine Nekrosezeichen in der Histologie) stände auch die Richtlinie auf dem Prüfstand. Aber ich denke, dies sind wir den Spendern und ihren Angehörigen auch schuldig.

Aufklärung über Organspende

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