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Medizin

Studien untersuchen „optimale Rate“ und mögliche Spätfolgen unnötiger Kaiserschnitte

Donnerstag, 3. Dezember 2015

dpa

Stanford – Wenn in einer Gemeinschaft eine von fünf Geburten per Kaiser­schnitt erfolgt, ist das Mortalitätsrisiko für Mutter und Kind am niedrigsten. Zu diesem Ergebnis kommt eine ökologische Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA). Nach einer weiteren Studie erkranken Kinder, die per Kaiserschnitt geboren wurden, im späteren Leben häufiger an Asthma. Ihr Sterberisiko war leicht erhöht. 

Ein Kaiserschnitt kann eine lebensrettende Maßnahme sein, sie kann jedoch auch Folge einer Bequemlichkeit von Ärzten oder einem Prestigedenken der Schwangeren sein. Auch technische Fortschritte wie die Kardiotokographie gepaart mit einer Defensiv-Medizin oder sogar das Gewinnstreben von Kliniken werden dafür angeführt, dass die Zahl der Schnittentbindungen in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist. 

Auch die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die vor 30 Jahren einen Anteil der Sectiones an allen Geburten von 10 bis 15 Prozent als angemessen bezeichnete, hat dies nicht verhindert. In den meisten Ländern, die es sich leisten können, kommen deutlich mehr Kinder per Operation zur Welt als dies eigentlich notwendig wäre. 

In den reicheren Ländern Westeuropas, in Nordamerika und in Australien liegt der Anteil bei etwa einem Drittel. Europaweit variierte der Anteil von 15 Prozent in Island und 52 Prozent in Zypern. Am höchsten ist er mit fast 90 Prozent in Brasilien, allerdings nur bei Privatpatientinnen, da der ärmere Teil der Bevölkerung sich den Luxus, das Kind als Caesar zur Welt zu bringen, nicht leisten kann. Das ist auch in Afrika die Regel, wo der Anteil bei unter 9 Prozent liegt. Dort ist auch die Neugeborenen- und Müttersterblichkeit am höchsten, und es gilt als erwiesen, dass Kaiserschnitte viele Todesfälle verhindern könnten. In den „Endemie“-Ländern Lateinamerikas könnte die Modewelle dagegen Leben und Gesundheit einiger Mütter und Kinder gefährdet haben. 

Das „rechte Maß“ zu finden, ist nicht einfach. Ein Team um Thomas Weiser versucht es durch die Gegenüberstellung der Kaiserschnittrate mit der neonatalen und maternalen Sterblichkeit in einzelnen Staaten. Das ist bereits in früheren Untersuchungen versucht worden. Die aktuelle „ökologische“ Studie ist jedoch der umfassendste Versuch. 

Die US-Forscher konnten für das Jahr 2012 die Kaiserschnittrate für 54 Staaten ermitteln. Bei weiteren 118 Ländern wurden die Daten aus früheren Jahren fortge­schrieben. Für die restlichen 22 Länder wurde sie aus den verfügbaren Daten zu den Gesundheitsausgaben pro Kopf, der Geburtenrate, der Lebenserwartung, dem Anteil der städtischen Bevölkerung und der geographischen Region errechnet.

Die Forscher schätzen, dass im Jahr 2012 weltweit 22,9 Millionen Kinder per Kaiserschnitt geboren wurden (JAMA 2015; 314: 2263-2270). Das entspricht einem Anteil von 19,4 pro 100 Lebendgeburten. Die Analyse zeigte ferner, dass die Müttersterblichkeit bei einer Rate von 19,1 Prozent (95-Prozent-Konfidenzintervall 16,3-21,9) am niedrigsten ist. Bei der Neugeborenensterblichkeit lag die optimale Rate bei 19,4 Prozent (18,6-20,3 Prozent). 

Eine Sensitivitäts-Analyse, die sich auf 76 Länder mit den zuverlässigsten Daten beschränkt, kommt zu ähnlichen Ergebnissen, gibt aber eine gewisse Bandbreite vor, die von den einzelnen Ländern angestrebt werden sollte: Die niedrigste Müttersterb­lichkeit ist zu erwarten, wenn der Anteil der Kaiserschnitte zwischen 6,9 und 20,1 pro 100 Lebendgeburten liegt.

Für die Neugeborenensterblichkeit ist ein Anteil zwischen 12,6 und 24,0 am günstigsten. Nach diesen Ergebnissen hat die Kaiserschnittrate im weltweiten Durchschnitt das optimale Maß erreicht. Zwischen den einzelnen Ländern gibt es jedoch extreme Unterschiede, die Leben und Gesundheit vieler Mütter und Kinder gefährden.

Die Nachteile eines unnötigen Kaiserschnitts beschränken sich nicht allein auf eine Narbe, die nach einer Wundinfektion (Häufigkeit 9 bis 10 Prozent) etwas ausgedehnter ausfallen kann. Bekannt ist auch, dass die Narbe im Uterus bei späteren Schwangerschaften zu Komplikationen führen kann und in der Regel bei weiteren Geburten erneute Kaiserschnitte zur Folge hat. 

Derzeit wird auch diskutiert, ob der fehlende Geburtsstress für das Kind (infolge einer fehlenden Aktivierung der Hypophysen-Nierennieren-Achse) und eine Störung der Darmflora (infolge der Nicht-Exposition mit der Scheidenflora und der peri-operativen Antibiotikaprophylaxe) die gesundheitlichen Startchancen der Kinder langfristig gefährdet. Da der Darm im ersten Lebensjahr die Entwicklung des Immunsystems beeinflusst, könnte ein Kaiserschnitt die Entwicklung von allergischen oder auch autoimmunen Erkrankungen begünstigen. 

Mairead Black von der Universität Aberdeen hat hierzu die Daten von 321.287 erstge­borenen Einzelkindern untersucht, die zwischen 1993 und 2007 in Schottland zur Welt kamen (JAMA 2015; 314: 2271-2279). Der Abgleich mehrerer Register ergab, dass Kinder nach einem geplanten Kaiserschnitt im späteren Leben tatsächlich häufiger wegen Asthma im Krankenhaus behandelt werden als vaginal entbundene Kinder (3,73 versus 3,41 Prozent). Ihnen wurde zudem häufiger ein Salbutamol-Inhalator verschrieben (10,3 versus 9,6 Prozent). Black konnte sogar eine leichte Zunahme der Todesfälle im Kindesalter (0,40 versus 0,32 Prozent) nachweisen. 

Ein Anstieg von Adipositas, entzündlichen Darmerkrankungen oder einem Typ 1-Diabetes war dagegen nicht nachweisbar. Die Aussagekraft von Datenbank-Analysen ist zwar begrenzt, da sich Verzerrungen durch nicht bekannte Faktoren (die statt der gefundenen die wirkliche Ursache sein könnten) nicht sicher vermeiden lassen. Ein Anstieg von Asthmaerkrankungen war laut Black jedoch auch in anderen Unter­suchungen aufgefallen. Die erhöhte Sterblichkeit sollte ihrer Ansicht nach für Geburtshelfer eine Mahnung sein, einen Kaiserschnitt nur dann durchzuführen, wenn dieser wirklich indiziert ist. © rme/aerzteblatt.de

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Kommentare

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Avatar #555822
j.g.
am Donnerstag, 3. Dezember 2015, 23:24

Ökologie?

Was hat diese - im wesentlichen spekulative nonsense-Studie mit 'Ökologie' zu tun? War R. Steiner am Werk?
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