Ärzteschaft
„Nicht die Frauen sind das Problem, sondern die Strukturen, die nicht zu ihnen passen“
Montag, 4. Januar 2016
Köln – Schon heute sind etwa 46 Prozent der berufstätigen Ärzte weiblich. Von den Erstsemestern im Medizinstudium sind sogar rund 65 Prozent Frauen. Doch die Krankenhäuser scheinen auf die bevorstehende „Ärztinnenwelle“ kaum vorbereit. Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist oft eher Theorie.
Bettina Pfleiderer, Universitätsklinikum Münster, ist designierte Präsidentin des Weltärztinnenbundes. Sie erläutert, was sich heute ändern muss, damit die Patientenversorgung von morgen gelingt.
5 Fragen an Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bettina Pfleiderer
DÄ: Sie haben in einem Zeitungsinterview von einer „Ärztinnenwelle“ gesprochen, die auf die Krankenhäuser zukommt. Das klingt bedrohlich.
Pfleiderer: Das klingt nur bedrohlich, wenn man den Hintergrund nicht versteht. Es ist nun einmal Fakt, dass fast 70 Prozent der Medizinstudierenden weiblich sind. In zehn Jahren werden wir viel mehr Ärztinnen als Ärzte haben, die neu in die Kliniken kommen. Wir müssen uns jetzt schon überlegen, was sich an den Strukturen ändern muss. Nicht die Frauen sind das Problem, sondern die Strukturen, die nicht zu ihnen passen. Viele Ärztinnen möchten gerne eine Familie haben und Teilzeit arbeiten, zumindest für eine Zeit. Das muss man ihnen ermöglichen.
DÄ: Was muss sich in den Krankenhäusern denn konkret ändern?
Pfleiderer: Es sollten sich mehrere Dinge ändern. Die Krankenhäuser müssen flexibler werden – und sie müssen es vor allem auch wollen. In den Köpfen herrscht momentan immer noch ein „Das geht nicht“. Nehmen Sie zum Beispiel Oberarztstellen in Teilzeit. Die Erfahrungen aus anderen Ländern und auch aus einigen Kliniken in Deutschland zeigen, dass man Oberarztstellen durchaus teilen kann. Die Angst, dass Patienten dadurch schlechter versorgt sind, halte ich für ein Ammenmärchen. Wichtig ist eine gute Kommunikation. Man braucht zum Beispiel Überlappungszeiten, in denen ein Austausch stattfindet. Auch in unseren heutigen Strukturen passieren Fehler, meistens dann, wenn schlecht kommuniziert wird.
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Die Krankenhäuser sollten insgesamt den Mut haben, ungewöhnliche Arbeitszeitmodelle umzusetzen, in denen nicht jeder um sieben oder um acht Uhr anfängt. Wir sind noch viel zu starr in unserem Denken. Auch die Facharztweiterbildung muss flexibler werden. Vieles hängt heute an der Zeit und den Zahlen. Hier müsste es mehr um tatsächliche Kompetenzen gehen, und man könnte an vielen Stellen sicher auch entschlacken.
DÄ: Aber der Arztberuf ist eine besondere Tätigkeit, bei der man vollen Einsatz zeigen muss. Geht das überhaupt, wenn die Work-Life-Balance einen immer höheren Stellenwert bekommt?
Pfleiderer: Ich denke nicht, dass man als Arzt oder Ärztin nur vollen Einsatz zeigen kann, wenn man mindestens 60 Stunden in der Woche arbeitet. Aus meiner Sicht hat ein Patient oder eine Patientin mehr von einem ausgeruhten, zufriedenen Arzt, der Freude an seinem Beruf hat. Voller Einsatz heißt nicht, dass man permanent am Rande seiner Kraft ist oder zwischen allen Stühlen sitzt, wenn man versucht Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Wenn die Work-Life-Balance einen hohen Stellenwert hat, ist das gut für die Medizin und die Patienten. Und nicht nur die Ärztinnen profitieren davon, sondern auch ihre männlichen Kollegen.
DÄ: Wenn der Arztberuf ein Frauenberuf wird, dann wird die Bezahlung schlechter. Halten Sie diese Sorge für berechtigt?
Pfleiderer: Es stimmt, dass Frauen manchmal zu bescheiden sind, wenn es um Gehaltsforderungen geht. Aber vielleicht ist es ja nun ein idealer Zeitpunkt, daran etwas zu ändern. Denn Ärztinnen werden gebraucht. Dadurch haben sie eine gute Ausgangslage, um zu verhandeln und Forderungen zu stellen. Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern werden nach Tarifvertrag bezahlt. Es ist wichtig, dass die Arbeit auch in Zukunft unabhängig vom Geschlecht angemessen entlohnt wird.
DÄ: Schon heute liegt der Frauenanteil unter den berufstätigen Ärzten bei 46 Prozent. Warum ist er in Führungspositionen so niedrig?
Pfleiderer: Es ist unter den jetzigen Bedingungen schwierig, eine Führungsposition auszufüllen, wenn man eine Familie mit Kindern hat. Der Weg dorthin muss den Frauen durch neue Modelle erleichtert werden. Deswegen plädiere ich ja auch für die Möglichkeit, Führungspositionen zu teilen. Es ist so, dass sich Frauen nach der Familienphase durchaus wieder mehr einbringen wollen. Wenn man aber dann noch nicht in einer Führungsposition ist, ist es schwierig noch in eine solche Position zu kommen.
In den Personalabteilungen der Krankenhäuser denken immer noch viele, dass Frauen mit Familie nicht so belastbar und geeignet sind. Wenn es eine Auswahl an Bewerbern gibt, wird lieber der Mann genommen. Da muss sicher auch ein Umdenken einsetzen. Aber auch bei den Frauen selbst. Tatsächlich trauen wir Ärztinnen uns zu wenig zu. Wir stehen uns manchmal selbst im Weg. Schon im Studium sollte es daher Angebote zur Karriereplanung geben. Sonst kommt es im Beruf zu einem Wirklichkeitsschock. Und selbst Frauen, die vorher große Pläne hatten, denken: „Ich schaff‘ das nicht“. Junge Ärztinnen brauchen Frauen in Führungspositionen als Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.
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