Medizin
Dura-Transplantate könnten Morbus Alzheimer übertragen haben
Mittwoch, 27. Januar 2016
Zürich – Die Beta-Amyloide, ein zentrales histopathologisches Kennzeichen des Morbus Alzheimer, sind möglicherweise Prione, die die häufige Demenzerkrankung zu einer übertragbaren Erkrankung machen. Dies zeigt die Untersuchung von Patienten, die nach einer Dura-Transplantation in jungen Jahren an der Creutzfeldt-Jakob Erkrankung (CJD) gestorben waren. Fünf der sieben Patienten wiesen nach einer Studie in Swiss Medical Weekly (2016; doi: 10.4414/smw.2016.14287) auch Beta-Amyloid-Ablagerungen auf.
Prione sind „infektiöse“ Eiweiße, die degenerative Krankheiten auslösen können. Es handelt sich um Eiweiße, die durch eine Änderung ihrer dreidimensionalen Struktur (Konformation) zu einer für die Zelle schädlichen Substanz werden. Sie entzieht sich einem Abbau und wird in der Zelle ablagert. Die Akkumulation führt dann zum Zelltod. Zur Akkumulation kommt es, weil einzelne Prione ihre pathologische Konformation benachbarten Eiweiße aufzwingen. Es kommt dann zu einer Kettenreaktion, an deren Ende eine Amyloidose des Gehirns steht.
Das bekannteste Beispiel einer Prionen-Erkrankung ist die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD). Die Kettenreaktion kann hier einmal durch eine Mutation gestartet werden. Prione können jedoch auch durch einen medizinischen Eingriff übertragen werden. Dies ist bis 1984 in seltenen Fällen durch die Behandlung von Kindern mit Wachstumshormonen geschehen, die aus den Hypophysen von Verstorbenen entnommen worden waren, die unerkannt an einer CJD erkrankt waren.
Eine weitere Quelle waren Transplantationen der harten Hirnhaut (Dura mater). Sie wurden gerne bei Hirnoperationen benutzt, um Läsionen zu decken und die Heilung zu beschleunigen. Aufgrund der iatrogenen Risiken, werden heute zumeist nicht organische Implantate verwendet.
Der Neuropathologe Karl Frontzek von der Universität Zürich hat zusammen mit Kollegen der Universität Wien die Hirnpräparate von sieben Patienten untersucht, die nach einer Dura-Transplantation an einer CJD gestorben waren. Die Patienten waren bei ihrem Tod zwischen 28 und 63 Jahre alt. Sie waren zwischen 11 und 25 Jahre nach der Dura-Transplantation gestorben. So lange dauerte es, bis sich die infektiösen Prione der CJD im Gehirn so weit ausgebreitet hatten, dass die Schädigung mit dem Leben nicht mehr vereinbar war.
Bei fünf der sieben Patienten fanden die Neuropathologen neben den CJD-Prionen auch Ablagerungen von Beta-Amyloiden. Die Menge war gering und für den Tod nicht mitverantwortlich. Die Tatsache, dass die Patienten in einem Alter starben, in der eine Alzheimer-Erkrankung (außer in angeborenen Fällen) nicht auftritt, machte die Forscher jedoch stutzig.
Sie konnten zudem in den Gehirnen keine Tau-Fibrillen finden, die ein weiteres wichtiges Merkmal der Altersdemenz vom Typ Alzheimer ist. Außerdem wurden die Veränderungen bei keinen der 21 Patienten gefunden, die im gleichen Alter an einer sporadischen CJD gestorben waren, ohne zuvor ein Dura-Transplantat erhalten zu haben.
Die Forscher vermuten deshalb, dass die Dura-Transplantate bei den fünf Patienten neben den CJD-Prionen auch die mutmaßlichen Alzheimer-Prionen, sprich die Beta-Amyloide, übertragen haben. Dass die Patienten am CJD und nicht am Morbus Alzheimer starben, führen sei darauf zurück, dass die Kettenreaktion bei den Beta-Amyloiden langsamer abläuft als bei den CJD-Prionen.
Ein abschließender Beweis, dass der Morbus Alzheimer wie die CJD übertragbar ist, mögen die Befunde nicht sein. Sie werden jedoch durch tierexperimentelle Studien gestützt: Von transgenen Mäusen, die erhöhte Mengen von Beta-Amyloiden produzieren, konnte die Erkrankung wiederholt auf andere Tiere übertragen werden.
Über eine ähnliche Beobachtung hatten britische Prionen-Forscher im letzten Jahr in Nature (2015; 525: 247-5) berichtet: Ein Team um John Collinge vom University College London hatte im Gehirn von vier von acht Menschen, die nach einer Behandlung mit kontaminierten Wachstumshormonen an CJD gestorben waren, ebenfalls Amyloid-Plaques entdeckt, die nicht zum relativ jungen Lebensalter passten.
Die Studie bestätigt erneut eine Hypothese des Prionen-Entdeckers Stanley Prusiner, der vor 15 Jahren in einem Beitrag zum New England Journal of Medicine (2001; 344: 1516-1526) die Hypothese aufgestellt hat, dass neben CJD auch andere degenerative Hirnerkrankungen wie Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, die amyotrophe Lateralsklerose oder auch die fronttemporale Demenz durch Prionen ausgelöst werden. Für die Multisystematrophie, eine mit dem Parkinson-Syndrom verwandte Erkrankung, lieferte der Forscher im letzen Jahr experimentelle Hinweise: Er konnte die Erkrankung durch die Injektion von Hirngewebe von Verstorbenen auf ein Mäusemodell der Prionenerkrankung übertragen (PNAS 2015; 112: E5308–E5317).
Auch wenn heute keine Wachstumshormone aus Hypophysen oder Hirnhäute von Verstorbenen mehr übertragen werden, könnte die Übertragbarkeit des Morbus Alzheimer durch Prione klinische Konsequenzen haben. Die Prione werden durch Standardmethoden zur Desinfektion nicht restlos beseitigt. Sie können bei der Wiederverwendung von chirurgischen Instrumenten übertragen werden.
Auch die Wiederverwendung von Geräten zur Implantation von Hirnschrittmachern könnte ein Infektionsrisiko darstellen. Da die Patienten jedoch meist hochbetagt sind und die Kettenreaktion bei Beta-Amyloiden vermutlich sehr langsam ist, dürfte das Infektionsrisiko gering sein. Andererseits sind degenerative Hirnerkrankungen sehr häufig, was die Gefahr einer Übertragung steigert, gleichzeitig aber den epidemiologischen Nachweis erschwert. © rme/aerzteblatt.de

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