Medizin
Einfache „Anstöße“ senken Antibiotika-Verschreibung
Mittwoch, 10. Februar 2016
Los Angeles – Zwei „sozial motivierende Verhaltensinterventionen“ haben Hausärzte in einer randomisierten klinischen Studie im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; 315: 562-570) zu einer sparsameren Verordnung von Antibiotika bei Atemwegserkrankungen veranlasst. Für die dritte Intervention ließ sich dies nicht sicher belegen.
Es ist bekannt, dass viele Antibiotika-Verordnungen von Hausärzten unnötig sind. Zu den umstrittenen Indikationen gehören unspezifische Atemwegsinfektionen, eine akute Bronchitis oder ein grippaler Infekt. Diese Erkrankungen werden überwiegend durch Viren ausgelöst, auf die Antibiotika keine Wirkung haben. Zudem heilen leichte bakterielle Infektionen auch ohne Antibiotika, deren unkritische Verordnung den Patienten sogar Schaden zufügen kann. Bekannt ist auch, dass Appelle an den medizinischen Sachverstand und der Hinweis auf Leitlinien das Verordnungsverhalten der Ärzte häufig nicht verändern.
Vielleicht sind jedoch kleine „Anstöße“ dazu in der Lage. Das Team um Jason Doctor von der Universität von Südkalifornien in Los Angeles hat drei Methoden konzipiert und anschließend in einer Gruppe von 238 Hausärzten getestet. Die beste Wirkung erzielte eine Modifikation der Praxissoftware, die den Arzt bei jeder Antibiotikaverordnung zur Behandlung von Atemwegsinfektionen aufforderte, die Begründung in ein Textfeld einzugeben.
Der Arzt war frei in seinen Argumenten. Er wusste aber, dass seine Begründung auch in den Unterlagen erschien, die der Patient eingesehen konnte. Versäumte der Arzt, die Begründung einzugeben, dann erschien auf seinem Rechner, aber auch in den Patientenunterlagen gut sichtbar der Hinweis, dass die Verordnung nicht gerechtfertigt ist. Das wirkte.
Die Zahl der Antibiotikaverordnungen sank von 23,2 auf 5,2 Prozent, ein Unterschied von 18,1 Prozentpunkten. Dieser Rückgang war allerdings nicht allein dem „Anstoß“ zu verdanken, da es auch in den Kontrollpraxen zu einem Rückgang der Verordnungen von 24,1 auf 13,1 Prozent gekommen war. Schließlich wussten die Ärzte, dass ihre Verordnungspraxis unter die Lupe genommen wurde. Der Anstoß „Rechenschaft ablegen“ erzielte jedoch einen zusätzlichen Vorteil von 7,0 Prozentpunkten, der mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 2,9 bis 9,1 Prozentpunkten statistisch signifikant war.
Ein zweiter Anstoß war ebenfalls erfolgreich. In dieser Gruppe erhielten die Ärzte monatlich eine E-Mail, in der sie als „Top Performer“ bezeichnet wurden, wenn sie selten unangemessen Antibiotika verordnet hatten. Die Ärzte, die häufiger unangemessen Antibiotika verordnet hatten, erhielten die Rückmeldung „Kein Top Performer“ mit einer Auswertung ihrer Antibiotika-Verordnungen.
Der Anstoß „Peergruppen-Vergleich“ senkte den Anteil der Antibiotika-Verordnungen von 19,9 auf 3,7 Prozent, ein Vorteil von 5,2 Prozentpunkten gegenüber der Kontrollgruppe der mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,6 bis 6,9 Prozent signifikant war.
Der dritte Anstoß bestand in Alternativvorschlägen: Immer wenn der Hausarzt in seiner Krankenakte nach der Eingabe der Diagnose Atemwegsinfektion zum Ausdruck eines Rezeptes für ein Antibiotikum schritt, erschien auf dem Bildschirm ein „Pop-up“-Fenster mit dem Hinweis: „Antibiotika sind hier in der Regel nicht indiziert“. Es folgte ein Vorschlag für die Verordnung von anderen symptomatischen Medikamenten.
Der Arzt konnte diese Vorschläge annehmen, er konnte das Fenster aber auch wegklicken und dennoch ein Antibiotikum verschreiben. In der Studie griffen die Mediziner die Vorschläge des Praxiscomputers häufig auf. Die Verordnungshäufigkeit von Antibiotika ging von 22,1 auf 6,1 Prozent zurück. Der Unterschied von 5,0 Prozentpunkten war jedoch statistisch nicht signifikant.
Alle drei Anstöße sind einfach umzusetzen und die Wirkung war nach Einschätzung der Autoren klinisch relevant. Unklar ist jedoch, ob die Anstöße auf andere Arztgruppen und andere Länder übertragbar wären. Schließlich gibt es „Mentalitätsunterschiede“ zwischen den Fachdisziplinen und auch zwischen amerikanischen und europäischen Ärzten und hier insbesondere zu den Medizinern in Deutschland. Die Anstöße ließen sich jedoch ohne großen Aufwand in die Praxissoftware integrieren, wie der Editorialist Jeffrey Gerber vom Children's Hospital of Philadelphia schreibt, und der Erfolg könnte mit relativ einfachen Mitteln überprüft werden. © rme/aerzteblatt.de

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