Medizin
Framingham-Studie: Bildung schützt vor Demenz
Freitag, 12. Februar 2016
Boston – Die Häufigkeit von Demenzerkrankungen ist in den USA in den letzten vier Jahrzehnten in den einzelnen Altersgruppen kontinuierlich zurückgegangen. Der Effekt war in einer Auswertung der Framingham-Studie im New England Journal of Medicine (2016; 374: 523-532) allerdings nur bei Menschen mit Highschool-Abschluss nachweisbar.
Da Demenzerkrankungen im Alter zunehmen, wird in den meisten demografischen Studien für die nächsten Jahrzehnte eine deutliche Zunahme der Demenzerkrankungen vorhergesagt. Als Grund wird die steigende Lebenserwartung genannt. Diese Untersuchungen gehen davon aus, dass die Zahl der Demenzerkrankungen in den einzelnen Altersgruppen konstant bleibt.
Dies ist allerdings nicht der Fall, wie eine Auswertung der Framingham Heart Study zeigt. Die Studie begleitet seit 1948 eine Stichprobe von Bewohnern des gleichnamigen Ortes in der Nähe von Boston. Im Jahr 1971 wurde die Offspring Study begonnen, die die Kinder der ursprünglichen Teilnehmer begleitet. Seit 1975 werden ältere Teilnehmer regelmäßig neuropsychologischen Tests unterzogen. Dazu gehört seit 1981 die Mini–Mental State Examination (MMSE), ein auch heute noch verwendeter Standardtest zur Demenz-Diagnose.
Ein Team um die Neurologin Sudha Seshadri von der Boston University School of Medicine hat jetzt die Häufigkeit von Demenzerkrankungen in den Zeiträumen um 1980, 1990, 2000 und 2010 verglichen. Dabei wurden die Inzidenzen jeweils in den einzelnen Altersgruppen gegenübergestellt. Die Ergebnisse dürften viele Neurologen und Pathologen überraschen, die Demenzerkrankungen als Folge einer schicksalhaften Erkrankung sehen, die zur Ablagerung von Proteinen im Gehirn führt, die derzeit durch Medikamente nicht beeinflusst werden kann. Dies ist der Grund, warum demografische Untersuchungen in der Regel von einer konstanten Inzidenz in den einzelnen Altersgruppen ausgehen.
Seshadri kann aber zeigen, dass die Inzidenz in den letzten vier Jahrzehnten altersbedingt kontinuierlich zurückgegangen ist. Verglichen mit der Zeit um 1980 erkrankten ein Jahrzehnt später 22 Prozent weniger Menschen an eine Altersdemenz, um 2000 waren es 38 Prozent weniger und um 2010 sogar 44 Prozent weniger als um 1980. Insgesamt ergibt dies einen kontinuierlichen Rückgang um etwa 20 Prozent pro Dekade. Dieses Ergebnis dürfte die Vorhersagen der Demoskopen verändern, es verlangt allerdings auch nach einer Erklärung.
Den einzigen signifikanten Prädiktor, den Seshadri herausfand, war der Bildungstand. Vom Rückgang der Demenz profitierten allein Personen, die mindestens einen Highschool-Abschluss besitzen. Dieses Diplom erhalten mittlerweile in Neuengland 95 Prozent aller Schüler, so dass die Aussagekraft dieses Prädiktors begrenzt ist.
Seshadri geht auch keineswegs davon aus, dass Bildung für sich genommen vor einer Demenzerkrankung schützt, etwa weil es die kognitiven Reserven im Alter erhöht. Wahrscheinlicher ist, dass sich der Bildungsstand auf das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung auswirkt. Die wahrscheinlichste Erklärung für den Rückgang der Demenz ist die Vermeidung von kardiovaskulären Risikofaktoren wie Rauchen, arterielle Hypertonie und hohen Cholesterinwerten. In diesen Feldern wurden in den letzten Jahren in den USA mehr als in Europa gute Fortschritte gemacht.
Die Vermeidung der Risikofaktoren könnte die Zahl der Schlaganfälle senken, die ein Grund für Demenzerkrankungen im Alter sind. Seshadri kann einen solchen Zusammenhang nicht beweisen. Möglicherweise sind es aber nicht die großen Schlaganfälle, die mit Lähmungen einhergehen, die für Demenzen verantwortlich sind, sondern eine Vielzahl von Mikroinfarkten, die unbemerkt verlaufen, deren Akkumulation jedoch am Ende zu einer Demenzerkrankung führt. Diese Hypothese konnte jedoch anhand der Daten nicht überprüft werden. © rme/aerzteblatt.de

welche Art Bildung schützt vor Demenz?
Wenn wir nicht dement werden wollen, müßten wir anscheinend Humboldts ganzheitlichem Bildungsideal folgen. Dann wären aber die leitlinienorientierten Ärzte stark demenzgefährdet, und unter denen die Spezialisten ganz besonders.
Außerdem müßten wir unser Bildungssystem stark überdenken. Womöglich haben die Anhänger der Einheitsschulen einen größeren Anspruch auf ein demenzfreies Altern als die Humanisten.
Machen wir uns nichts vor, es geht nichts an einer andidementiellen Bildungselite vorbei. Alternativ wäre vielleicht noch denkbar in eine Bildungsbürgersfamilie enizuheiraten. Vielleicht gibt es ja bei den Manns oder den Weizsäckers noch die eine oder andere unverheiratete Person.
Und zu allem fällt mir nur die Aussage meines Professors ein:
er habe ein Mittel gegen Demenz entwickelt, aber es sei ihm leider entfallen.
Schade, der Artikel kam eine Woche zu spät und hätte ganz gut auf Rosenmontag gepasst.

"Demenz schützt vor Bildung"?
Die hier aufgeführten Erklärungsmuster, insbesondere: "Die wahrscheinlichste Erklärung für den Rückgang der Demenz ist die Vermeidung von kardiovaskulären Risikofaktoren wie Rauchen, arterielle(r) Hypertonie und hohen Cholesterinwerten. In diesen Feldern wurden in den letzten Jahren in den USA mehr als in Europa gute Fortschritte gemacht", sind reine Spekulation.
Die Schlussfolgerungen des AutorInnen-Teams lesen sich in der Originalarbeit auch wesentlich vorsichtiger: Die Faktoren, die den Rückgang der Demenz-Inzidenz im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte in der Framingham-Herz-Studie bedingten, wurden bisher n i c h t komplett identifiziert. ["CONCLUSIONS - Among participants in the Framingham Heart Study, the incidence of dementia has declined over the course of three decades. The factors contributing to this decline have not been completely identified."]
Der DÄ-Titel "Framingham-Studie: Bildung schützt vor Demenz" bleibt damit fragwürdig.
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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