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Medizin

Niederlande: Sterbehilfe aus psychiatrischen Gründen

Donnerstag, 11. Februar 2016

dpa

Bethesda – In den Niederlanden ist die Sterbehilfe auch bei organisch gesunden Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen erlaubt. Bioethiker aus den USA äußern nach einer Auswertung von Fallberichten in JAMA Psychiatry (2016; doi:10.1001/jamapsychiatry.2015.2887) Bedenken an dem Verfahren.

Im Juni letzten Jahres veröffentlichte der New Yorker eine Reportage über eine junge Frau aus Belgien, Mutter zweier Kinder, die als Grund für ihren Freitod den Verlust an Lebensperspektive angegeben hatte. Sie war zuvor über viele Jahre wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung, was ihren Sterbewunsch jedoch nicht beenden konnte. Die Frau beendete ihr Leben nicht durch eigene Hand, sondern mit Hilfe von Ärzten der Freien Universität Brüssel.

Die Reportage erregte in den USA Aufsehen, und vielleicht war sie der Anlass, warum Scott Kim, ein Psychiater und Bioethiker an den US-National Institutes of Health in Bethesda, das Thema aufgriff. Kim analysierte zusammen mit Kollegen der Universität Maastricht insgesamt 66 Sterbehilfe-Fälle aus den Niederlanden, wo ähnlich wie in Belgien Ärzte einer Sterbehilfe aus psychiatrischen Gründen zustimmen und diese dann auch durchführen dürfen.

Die meisten Patienten hatten mehr als eine psychiatrische Diagnose und depressive Störungen waren bei 36 der 66 Personen das primäre psychiatrische Problem. Die Depressionen waren oft schwerwiegender Natur, und einige Patienten hatten eine Elektroschocktherapie für schwer zu behandelnde Depressionen erhalten.

Die Depressionen waren jedoch bei den meisten Patienten nicht das einzige gesundheitliche Problem. Insgesamt 34 der 66 Patienten hatten Persönlich­keitsstörungen, dabei handelte es sich nicht immer um eine formelle psychiatrische Diagnose. Aus den Berichten ging jedoch hervor, dass Beschreibungen wie „gestörte Persönlichkeitsentwicklung“, die zu einer „verminderten Frustrationstoleranz“ führte oder „Fähigkeiten … zu ertragen“ für die Genehmigung eines ärztlich assistierten Todes von Bedeutung waren.

Kim fand jedoch auch den Fall einer über 70-jährigen Frau, die keine gesundheitlichen Probleme hatte. Sie hatte jedoch zusammen mit ihrem Mann beschlossen, dass sie nicht ohne einander leben wollten. Nachdem der Mann gestorben war, beschrieb die Frau ihr Leben als „Hölle auf Erden“ und „sinnlos“. Ihr Sterbewunsch wurde von niederländischen Ärzten erfüllt, obwohl die Frau sich angeblich „überhaupt nicht depressiv fühlte“, normal aß und trank und auch gut schlief.

Offenbar war dies kein Einzelfall. Laut der Analyse der Fallbeschreibungen hatten 37 der 66 Patienten soziale Isolation und Einsamkeit als Teil ihrer Probleme genannt. Eine Patientin hatte wörtlich angegeben, dass sie ein „Leben ohne Liebe“ geführt habe und deshalb kein „Existenzrecht“ habe. Auch ihr wurde ein ärztlich assistierter Suizid zugestanden. In anderen Fällen hatten die Patienten medizinische Therapien abgelehnt, die ihnen möglicherweise geholfen hätten. 

Kim wirft seinen niederländischen Kollegen nicht vor, dass sie oberflächlich geurteilt haben. Immerhin war bei 21 Patienten ein früherer Antrag abgelehnt worden. Letztlich hänge die Entscheidung bei psychiatrischen Erkrankungen jedoch von den Angaben des Patienten ab und hier könnte es eine Rolle spielen, wie geschickt die Patienten ihren Sterbewunsch den Ärzten gegenüber vorbringen. Ob das System ausreichende Kontrollmechanismen enthält, um allzu leichtfertig den Wünschen der Patienten nachzugeben, ist aus Sicht von Kim jedoch eine offene Frage, die in weiteren Studien untersucht werden müsste. © rme/aerzteblatt.de

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