Ärzteschaft
„Flüchtlinge sollen eine Anlaufstelle für alle psychischen Probleme bekommen“
Dienstag, 16. Februar 2016
Berlin – Die Charité hat am 10. Februar eine psychologische Clearingstelle beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in Berlin-Moabit eingerichtet. Rund 50.000 Flüchtlinge leben derzeit in Berlin. Sie sollen mit dem neuen Angebot eine Anlaufstelle für psychische Probleme aller Art bekommen. Jeweils zwei Erwachsenenpsychiater und ein Kinder- und Jugendpsychiater, der auf einer halben Stelle arbeitet, werden werktags von 10.00 bis 18.30 Uhr vor Ort sein. Sie entscheiden, welchen Bedarf der Betroffene hat und vermitteln entsprechend weiter. Akute Fälle können auch sofort behandelt werden.
Die Clearingstelle steht unter der organisatorischen Verantwortung der Flüchtlingshilfe der Charité unter Beteiligung der drei psychiatrischen Kliniken der Charité (Campus Mitte: Andreas Heinz, Campus Benjamin Franklin: Malek Bajbouj, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Campus Virchow: Sybille Winter). Sie ergänzt außerdem die Arbeit in den Notfallambulanzen für unregistrierte Flüchtlinge, die von der Charité an drei Stellen in Berlin betrieben werden.
5 Fragen an Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, Campus Mitte, und einer der drei verantwortlichen Ärzte der Clearingstelle
DÄ: Warum hat die Charité eine psychologische Clearingstelle am LAGeSo eingerichtet?
Andreas Heinz: Wir haben im Moment einen sehr großen Andrang in allen Ambulanzen, von Menschen, die psychische Probleme mit Fluchthintergrund haben. Das Ziel ist, Flüchtlinge im Bezirk zu versorgen. Doch es gibt sehr viel Unsicherheit, es gibt Sprachprobleme und zu wenig Dolmetscher. Die Menschen gehen dann in die Notaufnahmen der Krankenhäuser, weil sie die niedergelassenen Strukturen nicht kennen, und sind letztendlich nicht an der richtigen Stelle. Die Idee einer Clearingstelle ist, dass die Flüchtlinge eine Anlaufstelle bekommen auch für ganz unspezifische Fragen, die die ganze Breite psychischer Probleme abdecken. Dann schauen die Ärzte, wo die beste Versorgung machbar ist.
DÄ: Wie hoch ist der Bedarf an psychologischer oder psychiatrischer Hilfe?
Heinz: Man geht davon aus, dass die Hälfte der Geflüchteten aus Krisenregionen und Kriegsgebieten kommt. Die Hälfte davon hat sicher direkte Kriegserfahrungen gemacht. Diese Menschen brauchen natürlich nicht alle eine spezialisierte Traumatherapie. Sie haben aber psychische Erkrankungen, die es bei uns auch gibt: Depressionen, Angststörungen, Psychosen, Suchterkrankungen. Man kann wohl davon ausgehen, dass von den 50.000 Flüchtlingen, die in Berlin sind, zwischen 5.000 und 10.000 Menschen irgendeine Form der Hilfe brauchen. Das kann auch eine niederschwellige Form sein, wie Hilfe in einer Beratungsstelle oder psychosoziale Hilfe, bis hin zu einer spezialisierten Psychotherapie oder einem Klinikaufenthalt.
Flüchtlingsdrehkreuz Köln: „Wir kriegen das alles geregelt“
Alle vier Tage hält am Flughafen Köln/Bonn ein Sonderzug mit bis zu 500 Flüchtlingen. Für die Menschen ist es ein Zwischenstopp bis zur Weiterreise in die Erstaufnahmeeinrichtungen. Viele benötigen medizinische Hilfe – vor allem jetzt im Winter. Cologne – City of Hope“ – das Plakat mit dem rot-orangen Aufdruck ist an einer der Zeltwände befestigt, die zurzeit den Vorplatz
DÄ: Wie erfahren psychisch kranke Flüchtlinge von dem neuen Angebot?
Heinz: Alle Berliner Flüchtlingsunterkünfte wurden vom LAGeSo auf dieses Angebot aufmerksam gemacht. Außerdem weisen wir in unseren drei Notfallambulanzen für unregistrierte Flüchtlinge darauf hin. Aus ganz Berlin kommen die Betroffenen jetzt direkt zu uns. Ziel ist, dass die Clearingstelle ein Modellprojekt wird für die Vermittlung psychisch kranker Flüchtlinge auch in anderen Berliner Bezirken: Die Bezirkskrankenhäuser, die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten sowie die psychiatrischen Institutsambulanzen sollten gemeinsam versuchen, sektorenübergreifende Angebote für diese Menschen zu schaffen.
DÄ: Wie ist die neue Clearingstelle vernetzt mit Niedergelassenen, den Beratungsstellen oder auch mit dem Behandlungszentrum für Folteropfer e.V. (bzfo), das ja auch am Standort des LAGeSo ansässig ist?
Heinz: Zur besseren Vernetzung haben wir im Bezirk Mitte zunächst Treffen veranstaltet für alle Anbieter im psychosozialen Bereich. Es kamen mehr als 150 Menschen. Wir versuchen eine Darstellung und Vernetzung all dieser Angebote, auch mit niedergelassen somatischen Kollegen, auf der Webseite der unabhängigen Initiative www.medizin-hilft-fluechtlingen.de.
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Die Idee der Clearingstelle ist es nicht, das bzfo mit Zuweisungen zu überfluten. In der Clearingsstelle werden muttersprachliche Psychiater sitzen, oder kultursensible deutsche Ärzte zusammen mit Dolmetschern. In akuten Fällen können die Ärzte dann auch ein paar Stunden intervenieren. Wenn der Bedarf größer ist, müssen die Betroffenen weiter vermittelt werden eben an das bzfo, an die Beratungsstelle „Xenion - Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.“, an die Sprechstunden in der Charité Campus Mitte – wir haben dort das Zentrum für interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie – oder an die arabischsprachige Sprechstunde der Charité Campus Benjamin Franklin in Steglitz.
DÄ: Wie viele Dolmetscher sind in der Clearingstelle tätig und wer übernimmt die Kosten?
Heinz: Wir fangen ja jetzt gerade erst an. Es gibt zurzeit zwei arabischsprachige Ärzte und wir haben Dolmetscher für Dari und Farsi (Afghanistan, Iran). Es kommen aber auch Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, aus Kroatien und aus Serbien. Das größte Problem haben wir mit den Sprachen, die hier nicht so häufig sind. Da die Clearingstelle eine Kooperation mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales ist, übernimmt dieses Amt auch die Dolmetscherkosten.
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