Medizin
Erhöhen Protonenpumpen-Inhibitoren das Demenzrisiko?
Dienstag, 16. Februar 2016
Bonn – Hochbetagte Mitglieder einer deutschen Krankenkasse erkrankten häufiger an einer Demenz, wenn ihnen zuvor Protonenpumpeninhibitoren verordnet worden waren. Die Ergebnisse einer prospektiven Kohortenstudie in JAMA Neurology (2016; doi: 10.1001/jamaneurol.2015.4791) wären aufgrund der häufigen Verordnung von Säureblockern und der hohen Prävalenz von Demenzerkrankungen im Alter von großer Bedeutung. Der Beweis einer Kausalität steht jedoch noch aus.
Die in den 1980er Jahren eingeführten Protonenpumpeninhibitoren (PPI) werden zunehmend unkritisch eingesetzt, da ihre Verträglichkeit gut ist. In Deutschland wurden 2013 zulasten der gesetzlichen Krankenkassen 3,1 Milliarden Tagesdosierungen verordnet, viermal mehr als zehn Jahre zuvor. Dass die nahezu vollständige Drosselung der Magensäureproduktion keine Nachteile hat, wird zunehmend hinterfragt.
Neben der Befürchtung, die fehlende Desinfektion im Magen könnte Krankheitserregern den Weg in den Darm öffnet, gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Versorgung mit Vitamin B12. Magensäure wird benötigt, um das mit der Nahrung aufgenommene Vitamin B12 im Darm freizusetzen. Der für die Resorption benötigte Intrinsic-Faktor wird von den gleichen Belegzellen gebildet wie die Magensäure. Eine frühere Untersuchung aus den USA hatte gezeigt, dass die Verordnung von PPI mit einem erhöhten Risiko auf einen Vitamin B12-Mangel assoziiert ist (JAMA 2013; 310: 2435-2442).
Zu den bekannten Folgen eines Vitamin B12-Mangels gehören kognitive Störungen. Ein Team um Privatdozentin Britta Hänisch vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn hat zunächst die Daten der AgeCoDe-Studie befragt, die seit 2002/2003 eine Kohorte von 3.327 Senioren im Alter über 75 Jahre begleitet. In dieser Gruppe waren zuletzt 431 Personen an einer Demenz erkrankt, davon 260 am Morbus Alzheimer.
Hänisch konnte in einer früheren Publikation in den European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience (2015; 265: 419-428) zeigen, dass Senioren, die zuvor mit PPI behandelt worden waren, ein signifikant erhöhtes Risiko auf eine Demenz hatten. Die Hazard Ratio (HR) betrug 1,38 und war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,04 bis 1,83 signifikant. Das Risiko auf eine Alzheimer-Krankheit war ebenfalls erhöht (HR 1,44; 1,01-2,06).
Die genaue Untersuchung der AgeCoDe-Teilnehmer ermöglichte es den Epidemiologen, einige andere Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Apo-Lipoprotein-E4, Depression, Diabetes, Schlaganfall, koronare Herzkrankheit oder eine Polypharmazie als Ursache der Demenz auszuschließen. Ein Schwachpunkt der Studie war die relativ geringe Teilnehmerzahl der Kohorte.
Das Team um Hänisch hat deshalb die Daten der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) ausgewertet, der mitgliederstärksten gesetzlichen Krankenkasse in Deutschland. Von 73.679 Senioren im Alter ab 75 Jahre, die zu Beginn der Beobachtungsjahre 2004 nicht an einer Demenz erkrankt waren, hatten in der Folge 2.950 des öfteren Rezepte mit den PPI Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol, Esomeprazol oder Rabeprazol erhalten.
In dieser Gruppe wurde im Beobachtungszeitraum von 2004 bis 2011 signifikant häufiger eine Demenzerkrankung diagnostiziert, wie aus den Unterlagen der AOK hervorging. Hänisch ermittelte eine Hazard Ratio von 1,44, die aufgrund der größeren Fallzahl mit einem engeren 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,36 bis 1,52 versehen war.
Ein Anstieg des Risikos im Bereich von 40 Prozent mag gering erscheinen, da jedoch Demenzen im Alter häufig sind und PPI oft verordnet werden, wäre die Auswirkung auf die Gesundheit von älteren Menschen im Allgemeinen (Public-Health) groß. Der Epidemiologe Lewis Kuller von der Universität von Pittsburgh rechnet im Editorial vor, dass die Inzidenz von Demenzen im Alter von 6,0 Prozent pro Jahr auf bis zu 8,4 Prozent pro Jahr ansteigen könnte. Auf die USA bezogen wären das bei einer Verordnungsrate für PPI von 3 Prozent in etwa 10.000 neue Erkrankungsfälle pro Jahr.
Kuller und Hänisch sind sich jedoch einig, dass die Assoziation in den beiden Kohorten noch keine Kausalität belegt. Zunächst fehlt eine plausible biologische Erklärung. Ein Vitamin B12-Mangel kann zwar kognitive Störungen auslösen, er ist jedoch keine bekannte Ursache des Morbus Alzheimer. Hänisch verweist zwar auf tierexperimentelle Studien, nach denen die PPI, von denen einige nachweislich die Blut-Hirn-Schranke passieren, die Bildung von Beta-Amyloiden steigern konnten. Eine Bindung an die Tau-Proteine, dem anderen histologischen Merkmal des Morbus Alzheimer, konnte ebenfalls nachgewiesen werden. Ein überzeugender Pathomechanismus lässt sich daraus nach Ansicht der beiden Forscher nicht ableiten.
Ein weiterer Einwand betrifft die unterschiedlichen Patienteneigenschaften von PPI-Usern und Nicht-PPI-Usern. Die PPI-User hatten eine erhöhte Zahl von Begleiterkrankungen wie Depression, Schlaganfall und ischämische Herzerkrankung und sie nahmen häufiger weitere Medikamente ein. Eine Analyse der Women’s Health Initiative hat laut Kuller gezeigt, dass PPI-Anwenderinnen häufiger einen schlechten Gesundheitszustand haben und häufiger adipös sind.
Möglicherweise bestehe auch eine Assoziation mit Rauchen und einem erhöhten Alkoholkonsum. Einige dieser Faktoren könnten der eigentliche Grund für das häufigere Auftreten von Demenzen bei PPI-Anwendern sein. Hinzu kommt, dass eine höhere Rate von Begleiterkrankungen bei den PPI-Usern mit häufigeren Arztkontakten verbunden sein dürfte. Dies allein könnte die Wahrscheinlichkeit steigern, dass eine Demenz diagnostiziert wird.
Ohne weitere Untersuchungen und einen überzeugenden biologischen Mechanismus dürfte das vermeintliche Demenzrisiko nicht in den Fachinformationen aufgenommen werden. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass PPI häufig unkritisch verschrieben werden. Hänisch gibt den Anteil mit 40 bis 60 Prozent an. Die Diskussion um potenzielle Risiken könnte hier ein Motiv für die Ärzte sein, die Mittel nur dann einzusetzen, wenn sie wirklich benötigt werden. © rme/aerzteblatt.de

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