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Medizin

Impfstoffe haben Sterblichkeit im 20. Jahrhundert gesenkt

Montag, 22. Februar 2016

dpa

Bilthoven – Die Impfungen gegen Kinderkrankheiten haben im letzten Jahrhundert in den Niederlanden zwischen 6.000 bis 12.000 Kindern das Leben gerettet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung in Lancet Infectious Diseases (2016; doi: 10.1016/S1473-3099(16)00027-X), die in ihren Berechnungen erstmals den allgemeinen Rückgang der Todesfälle durch Infektionserkrankungen berücksichtigt.

Es steht wohl außer Zweifel, dass Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus, aber auch Polio und Masern einen tödlichen Verlauf nehmen können. Ein günstiger Einfluss auf die Mortalität von Kindern wird jedoch von Impfgegnern mit dem Hinweis infrage gestellt, dass die Sterblichkeit an den genannten Erkrankungen bereits vor Einführung der Impfungen zurückgegangen ist.

Dieser Einwurf ist einerseits richtig, wie eine Grafik in der Publikation von Maarten van Wijhe vom Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu (RIVM) in Bilthoven zeigt. Die Sterblichkeit im Kindes- und Jugendalter bis zum zweiten Lebensjahr ist im gesamten Untersuchungszeitraum von 1903 bis 1992 exponenziell zurückgegangen (mit einer Halbwertszeit von 19 Jahren), und dies auch in der Zeit vor der Einführung der ersten Impfung (gegen Diphtherie im Jahr 1953). Van Wijhe kann jedoch zeigen, dass Impfungen später einen Teil des weiteren Rückgangs erklären.

Maßgeblicher Endpunkt seiner Studie ist die Zahl der bis zum 20. Lebensjahr insgesamt verloren gegangenen Lebensjahre. Diese YLL20 sind ein statistischer Wert. Ein YLL10 von 3,80 könnte beispielsweise bedeuten, dass von zehn Kindern alle im Alter von 16,2 Jahren verstorben sind, oder was realistischer wäre, zwei im Alter von 1 Jahr (18 minus 5 mal 3,8 Jahre) starben, während alle anderen überlebten.

Die YLL von 3,80 ermittelte van Wijhe für alle im Jahr 1903 geborenen Kinder. Die Sterblichkeitkeit in den ersten Lebensjahren war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg noch relativ hoch. Von den 3,80 Jahren entfielen 0,34 Jahre (oder 8,8 Prozent) auf Todesfälle an Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus und Masern. 

Im Jahr 1952, im Jahr vor der Einführung der Diphtherie-Impfung, gingen nur noch 0,01 Jahre durch Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus und Masern verloren. Das waren 2,5 Prozent der Gesamt-YLL20 von 0,59. Hinzu kamen noch einmal 0,001 Jahre (0,1 Prozent der YLL20) durch Todesfälle an Polio, Mumps und Röteln. Den Grund für den Rückgang der Todesfälle an Kinderkrankheiten in der Prä-Vakzination-Ära vermutet van Wijhe in erster Linie in der besseren medizinischen Versorgung. Die Ärzte hatten gelernt, die Komplikationen der Kinderkrankheiten effektiver zu behandeln. Bei Diphtherie und Keuchhusten könnte sich auch die Einführung von Antibiotika ausgewirkt haben.

Im Jahr 1992, inzwischen wurden die meisten Kinder in den Niederlanden gegen Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus, Polio sowie Mumps, Masern und Röteln geimpft, gingen noch 0,0001 Jahre, das ist etwa 1 Stunde, durch Kinderkrankheiten verloren, die durch Impfungen vermeidbar sind. Das ist ein Anteil von 0,1 Prozent an der Gesamt-YLL20 von 0,16. Die wenigen Todesfälle an Kindererkrankungen entfielen auf Keuchhusten und Polio.

Die Berechnungen von van Wijhe ergaben, dass vor dem Hintergrund der allgemein zurückgehenden Sterblichkeit im Alter vor dem 20. Lebensjahr, Impfungen einen gewissen Effekt erzielten. Für die Diphtherie betrug er etwa 1,4 Prozent; für den Keuchhusten bei 3,8 Prozent und für den Tetanus bei 0,1 Prozent. Für die Poliomyelitis variierte der Anteil, bedingt durch seltene Epidemien, zwischen 0,07 und 0,27 Prozent.

Für Masern war der Anteil an der Sterblichkeit bereits vor der Impfung auf 0,02 Prozent abgefallen, so dass die Impfung keinen weiteren statistisch nachweisbaren Einfluss hatte (der Todesfall eines Kinder in der Masern-Epidemie in Berlin zeigt, dass die Infektion nicht ungefährlich ist). Ähnliches trifft auf Mumps und Röteln zu. 

Hochgerechnet auf die Niederlande gingen zwischen 1903 und 1992 insgesamt 148.000 Lebensjahre vor dem 20. Lebensjahr (95-Prozent-Konfidenzintervall 110.000-201.000) durch 9.000 Todesfälle (6.000-12.000) verloren. Für van Wijhe steht damit fest, dass das nationale Impfprogramm in den Niederlanden, das nach der Diphtherie-Impfung auch eine landesweite Vakzination gegen Keuchhusten und Tetanus (ab 1954), gegen Polio (ab 1957), gegen Röteln (ab 1974 zunächst für Mädchen), Masern (ab 1976) und Mumps (ab 1987) anbietet, einen wichtigen Einfluss auf die Verringerung der Kindersterblichkeit hatte. © rme/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #697854
Dr.Bayerl
am Dienstag, 23. Februar 2016, 16:11

guter und informativer Beitrag.

Tetanus passt allerdings nicht zu Kinderkrankheiten, das kann jeden treffen.
Wer so eine (heute) sehr seltene Erkrankung (Tod) nur einmal gesehen hat, fragt nicht mehr über Sinn oder Unsinn, bis auf die ewigen Impfgegner, die wir uns leisten. Mein Bruder hat mit mir auch die Masern ohne Impfung überstanden, allerdings mit einer lebenslangen Hörschädigung als Erinnerung.
Röteln, die man früher noch nicht so gut von Masern trennen konnte, hat nur in Deutschland nach dem großen Krieg ca. 4000 Missbildungen verursacht (Embryopathie). Das war der Hauptgrund für die Impfung.
Avatar #108046
Mathilda
am Dienstag, 23. Februar 2016, 13:59

Eine aufwendige Statistik - mit welchem Nutzen?

Wie mein Vorkommentator sagte: Statistiken lassen sich wunderbar gebrauchen oder auch missbrauchen. Um zumindest die Missbrauchsgefahr zu verringern, sollten statistisch relevante Größen untersucht werden. Offenbar ist die Kindersterblichkeit keine für den Untersuchungsgegenstand Impfungen relevante Größe. Was aber dann? Wie wäre es mit den typischen Folgen der genannten "Kinder"krankheiten? Nicht nur der Tod schädigt ein Kind. Kinder wurden durch die "Kinder"krankheiten auch dauerhaft behindert: mehr oder weniger komplette Lähmungen, Taubheit, Hirnschäden, Sterilität, ... Die möglichen Folgen dieser Kinderkrankheiten sind ja bekannt. Vielleicht sollten sich die Statistiker diese Schädigungen vornehmen, statt die Sterblichkeit zu untersuchen. Wie im Artikel gesagt wurde: die Sterblichkeit hatte man bereits ziemlich gut im Griff. Die Folgeschäden sicher eher nicht, das es außer einer präventiven Impfung gegen diese Krankheitsfolgen keine Behandlungsmöglichkeit gab und zum Großteil auch bis heute nicht gibt.
Avatar #710655
janand
am Dienstag, 23. Februar 2016, 09:24

Statistiken lassen sich wunderbar gebrauchen oder auch missbrauchen

Wenn ich mir den Rückgang der Kindersterblichkeit in der Vor-Impf-Ära ansehe und mit der aktuellen Kindersterblichkeit vergleiche, dann ist die Behauptung, dass die Impfung einen "wichtigen" Einfluss auf die Verringerung der Kindersterblichkeit hatte, schon ein starkes Stück und nur durch ideologische Verblendung zu erklären.
Wesentlich realistischer ist da schon die weiter oben stehende Aussage, dass die Impfungen einen gewissen Effekt erzielten.
Das Ehrlichste (und undogmatischte) an der ganzen Studie scheint die Aussage zu sein, dass die Masernsterblichkeit schon vor der Impfung so gering war, dass keinerlei statistische Effekte nachweisbar sind - was auch gleich im Rahmen der evidence based medicine die Frage aufwirft, warum wir eigentlich gegen Masern noch impfen.
Den Grund für den Rückgang der Todesfälle an Kinderkrankheiten in der Prä-Vakzination-Ära in erster Linie auf die besserte medizinischen Versorgung zurückzuführen dürfte auch an den Haaren herbeigezogen sein. Eher wird die verbesserte soziale Situation (Wohnung / Heizung / Hygiene / Ernährung) hilfreich gewesen sein.
Auch verwundert es, warum die aktuelle Studie nur die Jahre 1903 bis 1993 abdeckt - und die folgende 20 Jahre bis 2013 ignoriert.
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