Medizin
„Libido-Pille“ Flibanserin: Meta-Analyse sieht geringe Wirkung
Dienstag, 1. März 2016
Amsterdam - Der Serotonin-Modulator Flibanserin, den die US-Arzneibehörde FDA im letzten Jahr, wie Kritiker sagen unter dem Einfluss einer Öffentlichkeitskampagne des damaligen Herstellers, zur Behandlung von sexuellen Appetenzstörungen von Frauen zugelassen hat, erzielt laut einer Meta-Analyse in JAMA Internal Medicine (2016; doi: 10.1001/jamainternmed.2015.8565) eine schwächere Wirkung als angenommen und die Risiken des Medikamentes könnten unterschätzt worden sein.
Flibanserin war im August letzten Jahres im dritten Versuch als Addyi zur Behandlung einer „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ (HSDD) zugelassen worden. Zuvor war die Firma Boehringer Ingelheim, die Flibanserin ursprünglich als Antidepressivum entwickelt hatte, und einmal auch Sprout Pharmaceuticals, mit dem Versuch gescheitert, das Mittel zur Behandlung der HSDD zugelassen zu bekommen. Sprout Pharmaceuticals war am Ende erfolgreich, weil die Firma zum einen die Forderung der FDA nach einer weiteren Studie erfüllte.
Gleichzeitig startete Sprout die Kampagne „Even the Score“, in der Flibanserin als „Viagra für Frauen“ stilisiert wurde und eine Gleichberechtigung für Frauen mit HSDD eingefordert wurde. Medizinisch ist das zwar nicht korrekt, da der Viagra-Wirkstoff Sildenafil nicht die Lidido steigert, sondern die erektile Funkton verbessert. Die FDA gab jedoch dem öffentlichen Druck nach. Im August wurde das Medikament Addyi zugelassen.
Diese Entscheidung war von Anfang an umstritten, da die Wirkung von Flibanserin auf die HSDD gering war und es Risiken gibt. In den drei für die Zulassung maßgeblichen Studien bestand der Vorteil gegenüber Placebo (das ebenfalls eine Wirkung erzielte) in 0,5 bis 1 zusätzlichen sexuell befriedigenden Erlebnis pro Monat. In einem Score zum sexuellen Verlangen wurden nur 0,3 bis 0,4 Punkte mehr erzielt, und in einem Distress-Score war Flibanserin im 0,3 bis 0,4 Punkte besser als Placebo.
Selbst diese mageren Ergebnisse könnten noch das obere Ende der Wirksamkeit sein. Laut einem Team um Ellen T. M. Laan vom Academisch Medisch Centrum in Amsterdam stieg die Zahl der monatlichen sexuell befriedigenden Erlebnisse mit Flibanserin nur um 0,49 pro Monat mehr als mit Placebo (95-Prozent-Konfidenzintervall 0,32-0,67). Das sexuelle Verlangen in einem eDiary-Score verbesserte sich um 1,63 Punkte mehr als unter Placebo. In einem Female Sexual Function Index (FSFI) betrug der Vorteil 0,27 Punkte. Nach Einschätzung von Laan sind dies allenfalls marginale Vorteile, denen erhebliche Risiken und Nebenwirkungen gegenübersteht.
Die häufigsten Nebenwirkungen sind Schwindel, der viermal häufiger auftrat als unter Placebo (Risk Ratio 4,00; 2,56-6,27), Somnolenz (Risk Ratio 3,97; 3,01-5,24), Übelkeit (Risk Ratio 2,35; 1,85-2,98) und Erschöpfung (Risk Ratio 1,64; 1,27-2,13).
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Hinzu kommen noch das Risiko von Blutdruckabfällen und Synkopen, die vor allem Frauen mit Vorerkrankungen gefährlich werden könnten. Diese waren vorsorglich von der Teilnahme an den klinischen Studien ausgeschlossen worden. Das Mittel wurde von der FDA mit einer Reihe von Gegenanzeigen versehen. Zu ihnen gehören der Konsum von Alkohol sowie die gleichzeitige Behandlung mit mäßigen oder starken CYP3A4-Inhibitoren, die das Risiko eines Blutdruckabfalls unter der Behandlung von Flibanserin erhöhen. Das Risiko von Blutdruckabfällen und Synkopen ist Gegenstand eines umrahmten Warnhinweises in den Fachinformationen.
Die Einschränkungen und auch die Kritik in der Öffentlichkeit dürften dazu beigetragen haben, dass Addyi für den Hersteller Valeant Pharmaceuticals, der die Lizenz von Sprout Pharmaceuticals für eine Milliarde US-Dollar übernommen hat, bislang kein wirtschaftlicher Erfolg war. Nach Recherchen der New York Times wurde das Mittel pro Woche nur 240 bis 290 Mal verschrieben. Die Gewinnerwartungen des Herstellers von 100 bis 150 Millionen US-Dollar pro Jahr dürften sich deshalb kaum erfüllen. © rme/aerzteblatt.de

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