Ärzteschaft
Zahl der Behandlungsfehler bleibt weiterhin im Promillebereich
Mittwoch, 16. März 2016
Berlin – Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern haben im vergangenen Jahr bundesweit insgesamt 7.215 Entscheidungen zu mutmaßlichen Behandlungsfehlern getroffen. Dabei lag in 2.132 Fällen ein Behandlungsfehler vor und in 1.774 Fällen wurde ein Behandlungsfehler als Ursache für einen Gesundheitsschaden ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädigung begründete.
Das geht aus der aktuellen Behandlungsfehlerstatistik der Bundesärztekammer (BÄK) hervor, die heute in Berlin vorgelegt wurde. Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren dabei Knie- und Hüftgelenkarthrosen sowie Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen. In 358 Fällen lag ein Behandlungsfehler vor, der jedoch keinen kausalen Gesundheitsschaden zur Folge hatte.
„Die Zahl der festgestellten Fehler liegt damit gemessen an der Gesamtzahl der Behandlungsfälle weiterhin im Promillebereich“, sagte Kerstin Kols, Geschäftsführerin der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, bei der Präsentation der Behandlungsfehlerstatistik. Die Zahl der Sachentscheidungen sowie die Zahl der festgestellten Fehler seien im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken.
In rund 90 Prozent der Fälle würden die Entscheidungen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen von beiden Parteien akzeptiert und die Streitigkeiten beigelegt, erklärte die BÄK. Werde nach Begutachtung durch diese Institutionen doch noch der Rechtsweg beschritten, würden die Entscheidungen der Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen überwiegend bestätigt.
„Fehler sind nicht mit Pfusch gleichzusetzen“
Der Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer, Andreas Crusius, erinnerte daran, dass die BÄK vor mehr als zehn Jahren zum ersten Mal vor der Presse über Behandlungsfehler und Fehlervermeidung gesprochen habe. „Damals war das ein Novum. Und nicht immer waren die Reaktionen auf unsere Transparenzinitiative so, wie wir es uns erhofft hatten“, sagte Crusius. So sei von „Ärztepfusch“ und „Stümpern in Weiß“ die Rede gewesen.
„Wir haben deshalb immer wieder darauf hingewiesen, dass Fehler nicht mit Pfusch gleichzusetzen sind.“ Denn Fehler könnten viele Ursachen haben. Pfusch dagegen beinhalte immer eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Auswirkungen des eigenen Handelns. „Ich bin sehr froh, dass mittlerweile auch in den Medien Wert auf diese Unterscheidung gelegt wird“, so Crusius, der auch Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern ist.
Strategien zur Fehlervermeidung entwickeln
Er betonte, dass die Ärzteschaft aus den begangenen Fehlern lerne. „Getreu dem alten Grundsatz ‚Durch Fehler wird man klug – aber man muss nicht jeden Fehler selbst machen!‘ nutzen wir unsere Daten zur Fehlerprävention“, erklärte Crusius. „So werden die Ergebnisse der Gutachterkommission und Schlichtungsstellen mit Hilfe des Medical Error Reporting Systems, kurz MERS, bundesweit erfasst und ausgewertet.“
Die Ergebnisse würden dann für Fortbildungs- und Qualitätssicherungsveranstaltungen aufbereitet, um gezielt Strategien zur Fehlervermeidung zu entwickeln. „Auch wenden sich immer wieder Verlage an uns, weil sie für ihre medizinischen Lehrbücher Erkenntnisse aus den anonymisierten Daten verwenden möchten. Wertvolles Wissen wird so in die verschiedenen Fachbereiche der Medizin transportiert“, so Crusius.
Crusius: Krankenhauspersonal ausreichend finanzieren
Abschließend forderte er die Bundesregierung auf, eine ausreichende Finanzierung der Personalkosten in den Krankenhäusern zu erwirken, statt „mit Hilfe fragwürdiger Messinstrumente vermeintlich schlechte Qualität zu sanktionieren“, so wie es die Bundesregierung im Krankenhaus-Strukturgesetz vorgesehen hat. „Behandlungsdruck kann zu Behandlungsfehlern führen, und Behandlungsdruck haben wir in unseren Kliniken und Praxen reichlich.“ Bedingt durch die demografische Entwicklung habe sich die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle zwischen den Jahren 2004 und 2014 um 152 Millionen auf 688 Millionen Fälle erhöht. Und im stationären Sektor seien 2014 mehr als 19 Millionen Patienten behandelt worden.
Grüne: Schlichtungsstellen leisten wichtige Arbeit
„Die ärztlichen Schlichtungsstellen leisten wichtige Arbeit, können notwendige Verbesserungen zur Stärkung der Rechte von Opfern von Behandlungsfehlern aber nicht ersetzen“, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria Klein-Schmeink anlässlich der Veröffentlichung der Behandlungsfehlerstatistik.
Das Patientenrechtegesetz habe das bestehende Recht zwar bekannter gemacht, aber die entscheidende Frage, wie geschädigte Patienten ihre berechtigten Anliegen durchsetzen könnten, sei immer noch nicht gelöst. Völlig unverständlich sei, dass es noch immer kein verbindliches Fehlermeldesystem und auch keine adäquate Erfassung von Behandlungsfehlern gebe. „Es geht nicht darum, Ärzte und Krankenhäuser an den Pranger zu stellen, sondern darum, eine Kultur der Fehlervermeidung und des Risikomanagements in der Breite zu etablieren und bestehende Ansätze auszubauen“, meinte Klein-Schmeink. © fos/aerzteblatt.de
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