NewsÄrzteschaftAblehnung der Leichenschau ist Ordnungswidrigkeit
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...

Ärzteschaft

Ablehnung der Leichenschau ist Ordnungswidrigkeit

Freitag, 8. April 2016

Dresden – Ärzte sollten nicht einfach eine Leichenschau und die Ausstellung des Totenscheins ablehnen. Darauf hat die Sächsische Landesärztekammer (SLAEK) hingewiesen. Denn dadurch begingen sie möglicherweise eine Ordnungswidrigkeit.

„Die Leichenschau und die Ausstellung eines Totenscheins gehören zu den ärztlichen Kernaufgaben“, betonte SLAEK-Präsident Erik Bodendieck. Wenn Menschen sterben, sei dies gerade für Hinterbliebene eine emotionale Ausnahmesituation. „In dieser Situation ist es besonders wichtig, dass der zuständige Arzt schnellstmöglich eine Leichenschau vornimmt und den Tod feststellt.“, so Bodendieck.

Wer zur Leichenschau verpflichtet ist, das regelt das Bestattungsgesetz. Demnach fällt diese Aufgabe jedem erreichbaren, in der ambulanten Versorgung tätigen Arzt, vorrangig jedoch dem behandelnden Hausarzt im Rahmen seines Sicherstellungs­auftrages zu.

Ferner sind dazu Ärzte während des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes verpflichtet sowie bei Sterbefällen in Krankenhäusern oder vergleichbaren Einrichtungen dort tätige Ärzte, die von der Leitung des Krankenhauses oder der Einrichtung dazu bestimmt wurden. Bei Sterbefällen in einem Fahrzeug des Rettungsdienstes oder eines sonstigen organisierten Krankentransportwesens muss die Leichenschau der diensthabende Arzt des jeweils nächstgelegenen Krankenhauses durchführen.

Ist ein zur Leichenschau verpflichteter Arzt im Einzelfall aus wichtigem Grund verhindert, hat er unverzüglich eine Vertretung zu bestellen. Lehnt der zuständige Arzt die Leichenschau jedoch ab, so kann der Ärztekammer zufolge eine Ordnungswidrigkeit vorliegen. Die zuständigen Verwaltungsbehörden für die Verfolgung dieser Verstöße seien dann die regionalen Gesundheitsämter. © hil/aerzteblatt.de

Themen:

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
Avatar #691359
Staphylococcus rex
am Dienstag, 12. April 2016, 22:30

Kernaufgaben der Ärztekammer

Dazu gehört nach meiner Meinung auch die Wahrung standespolitischer Grundinteressen der Pflichtmitglieder in dieser Ärztekammer. Wenn eine Ärztekammer auf eine bestehende Rechtslage hinweist, bedeutet dies noch lange nicht, dass die bestehende Rechtslage in Stein gemeißelt ist.

Ergänzend zu den vorhergehenden Beiträgen möchte ich auf einen etwas älteren Focus-Artikel verweisen: http://www.focus.de/panorama/welt/leichenschau-und-totenschein-wenn-aerzte-um-die-allerletzten-euros-schachern_id_4282575.html
Über die Objektivität in diesem Artikel kann man streiten, nicht aber darüber, dass zu diesem Thema Klärungsbedarf besteht.

Das Grundübel besteht nach meiner Auffassung darin, dass Todesfeststellung und Leichenschau zwangsweise zusammengelegt sind, wie z.B. in §12 des sächsischen Bestattungsgesetzes beschrieben. Die Pflicht zur Leichenschau wird mit dem Versorgungsauftrag des niedergelassenen Arztes begründet. Man könnte es aber auch anders sehen: Die Todesfeststellung ist zweifellos eine ärztliche Tätigkeit, der Arzt muss entscheiden, ob er reanimiert, ob er die Polizei mit Spurensicherung anfordert, ob er den Seuchen- oder Katastrophenschutz informiert oder ob er den Leichnam einem Bestattungsunternehmen übergibt. Von diesem Augenblick an wird es interessant. Mit dem Tod des Patienten endet der Versicherungsschutz, auch kann ein Arzt keinen Behandlungsvertrag mit einer Leiche abschließen, was z.B. auch Konsequenzen für die Abrechnung hat. Wie man aber ohne Versicherungsschutz (nach SGBV) und ohne Behandlungsvertrag einen Versorgungsauftrag einfordern kann, das muss ein Jurist erst einmal erklären.

Der Inhalt der Leichenschau ist festgelegt, dazu gibt es auch eine Leitlinie: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/054-002l_S1_Leichenschau_2013-01.pdf
In der Einleitung dieser Leitlinie werden verschiedene Gründe für die Leichenschau genannt, keiner davon hat mit dem unmittelbaren ärztlichen Versorgungsauftrag zu tun. Im Kern der Sache ist der Totenschein ein GUTACHTEN für die Justiz, das Standesamt und die Statistiker. Im Normalfall kann man die Erstellung eines Gutachtens auch ablehnen, der juristische Zwang zur Erstellung dieses Gutachtens ist ein erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit und kollidiert nach meiner Meinung mit Art. 12 Abs. 2 Grundgesetz. Ob es irgendwann einmal besser wird? Daran habe ich erhebliche Zweifel. Auf Kosten der betroffenen Ärzte haben sich Krankenkassen, Politiker und Juristen in einer Komfortzone eingerichtet. Eher wird die Hölle zufrieren als dass dieser Personenkreis freiwillig seine Komfortzone verlässt.

Hier kommt die Ärztekammer ins Spiel. Gegen ein Bundesgesetz juristisch vorzugehen, ist sehr schwer. Anders ist es bei Ländergesetzen, hier gibt es die Möglichkeit für ein Normenkontrollverfahren nach §47 Verwaltungsgerichtsordnung: https://dejure.org/gesetze/VwGO/47.html

Die Ärztekammern wären als juristische Personen zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens berechtigt. Schon die bisherige Leitlinie macht es einem Arzt in einem „kleinen Fach“ sehr schwer, ohne zusätzliche Weiterbildungen diese Leitlinie komplett zu erfüllen. Und ich frage mich, wie man in einer Privatwohnung ohne das richtige Licht überhaupt eine korrekte Leichenschau durchführen kann. Auch frage ich mich wie in einem Land wie Deutschland wo alles reglementiert ist, bei einer so wichtigen Sache wie der Leichenschau so gepfuscht werden darf. Mich persönlich erinnert dies sehr an die Panama-Papers und die Steuergerechtigkeit, die Wahrheit interessiert niemanden, solange der Anschein gewahrt bleibt, solange es möglichst nichts kostet und solange im Schadensfall ein Sündenbock zu Hand ist.

Wäre z.B. die Bundesärztekammer an einer Lösung des Problems wirklich interessiert, könnte sie z.B. die o.g. Leitlinie zur RiliBäk erheben und dort verbindliche Qualitätskriterien vorschreiben. Ich weiß aus meiner täglichen Arbeit, wie detailliert die RiliBäk Labor in meine Arbeitsprozesse eingreift. Warum nicht etwas Vergleichbares für die Leichenschau? Und wenn dort steht, dass Untersuchungstisch und Lichtquelle bestimmten technischen Anforderungen genügen müssen, dann sind Todesfeststellung und Leichenschau automatisch voneinander entkoppelt, egal wie sehr irgendwelche Politiker dann jammern mögen. Und da Bundesrecht Landesrecht schlägt, hätte ein Normenkontrollverfahren auf der Basis einer RiliBäk automatisch hohe Erfolgsaussichten.

Wenn aufgrund technischer Zwänge Todesfeststellung und Leichenschau entkoppelt werden, dann muss dies auch abrechnungstechnisch abgebildet werden. Und auch den Satz „Mit dem Tod des Patienten endet der Versicherungsschutz“ könnte man so interpretieren, dass erst mit der Unterschrift auf dem Totenschein ein Patient nicht nur im medizinischen Sinn sondern auch im juristischen Sinn tot ist. Dies würde aber bedeuten, der Totenschein die letzte Versicherungsleistung.

Ob Todesfeststellung und Leichenschau nicht nur räumlich, sondern auch personell entkoppelt werden sollten („4-Augen Prinzip“) und ob die Leichenschau wirklich durch Ärzte durchgeführt werden muss oder auch durch geschultes mittleres medizinisches Personal (Stichwort Coroner im Beitrag von Dr. Schaetzler), die Diskussion würde ich gern anderen überlassen.

Eine derartige offene Kapitulation des Präsidenten der SLAEK vor den Zumutungen durch die eigenen Landespolitiker ist jedenfalls kein Ruhmesblatt für die ärztliche Selbstverwaltung.
Avatar #698455
Stockley
am Sonntag, 10. April 2016, 10:25

Rechtslage

Danke an die Ärztekammer Sachsen für den Hinweis. Ich empfehle allen betroffenen Kollegen Rechtstreue. Währendessen warte ich gespannt auf die Reform des Bestattungsgesetzes.
Avatar #106067
dr.med.thomas.g.schaetzler
am Samstag, 9. April 2016, 15:21

Rechsgüterabwägung!

SLAEK-Präsident und Kollege Erik Bodendieck irrt. wenn er annimmt: „Die Leichenschau und die Ausstellung eines Totenscheins gehören zu den ärztlichen Kernaufgaben“, um den Hinterbliebene eine emotionale Ausnahmesituation zu ersparen.

Der entscheidende Grund für sein Aussage: „In dieser Situation ist es besonders wichtig, dass der zuständige Arzt schnellstmöglich eine Leichenschau vornimmt und den Tod feststellt“, ist die sichere und rechtsverbindliche Differenzierung zwischen natürlicher und nicht-natürlicher Todesursache. Letzteres hätte fallbezogene staatsanwaltliche Ermittlungen und polizeiliche
Untersuchungen zur Folge.

Das ist der eigentliche Knackpunk: Der möglicherweise gerade seine akut und bedrohlich erkrankten Patientinnen und Patienten behandelnde Vertragsarzt darf deren Behandlung nicht schuldhaft gefährden oder unterbrechen, um zu einem Verstorbenen
aufzubrechen.

Die Länder-Bestattungsgesetze sind dahingehend völlig antiquiert, weil sie von Ärzten ausgehen, die in ihrer Praxis entweder nichts zu tun haben oder eh nichts gegen bestehende Erkrankungen ihrer Patienten ausrichten können bzw. jederzeit in ihrem Sprengel mit Fahrrad oder Pferdekutsche zur Leichenschau enteilen könnten.

In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft ist es ein Anachronismus sondergleichen, dass überwiegend von Hausärztinnen und Hausärzten, gelegentlich auch von in der spezialisierten Krankenversorgung tätigen Assistenz-, Fach- und Spezial-Ärzten in Klinik und Praxis unter Zeitdruck und Verantwortung für die Lebenden Spezialkenntnisse und Fähigkeiten der professionellen Leichenschau bei den Toten eingeforderte werden. Dies gilt auch für den ambulanten/stationären Notdienst.

Nicht nur Allgemeinärzte und hausärztliche Internisten sind in Primär- und Sekundärprävention, biografisch begründeter Anamnese, Patienten-Untersuchung, abgestufter und Evidenz-
basierter Differenzialdiagnostik, Risiko-Stratifizierung,
Krankheitslast adaptierter konservativer und interventioneller Therapie, Schmerzlinderung, Palliation und Sterbebegleitung involviert, weitergebildet, qualifiziert und absorbiert.

Aufgaben eines geschulten und hochqualifizierten
Rechtsmediziners mit entsprechender Institutsausstattung oder eines amtlich bestallten Leichenschauers ("Coroner") können sie nicht auch noch übernehmen.

Die Inspektion bzw. Untersuchung eines von Fachpersonal herbeigeschafften, vollständig entkleideten, gut ausgeleuchteten und nach Fotodokumentation des Auffindungsortes von
Verschmutzungspuren gereinigten Leichnams gemeinsam mit Assistenzpersonal ist uns niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten einfach nicht möglich.

Denn nur dabei könnten versteckte Injektions-, Stich- oder Schusswunden unter dem Haaransatz, diskrete Strangulationsspuren, Erstickung durch äußere Einwirkungen, Schädelbasis-Frakturen, verdächtige Hauteffloreszenzen, aber auch Beibringung von tödlich wirkenden Mitteln in Körperöffnungen, Vergiftungen etc. detektiert werden.

Unter dem Druck einer Notfallsprechstunde, eines übervollen Wartezimmers, der Dokumentation einer gerade ambulant/stationär durchgeführten Intervention, einer besonders Leichenschau-fremden Spezialisierung, einer notwendigen Krankenbeobachtung, der Regelung und Befriedigung persönlich-privater Verrichtungen und Betätigungen, aber auch im Beisein von trauernden, wehklagenden, verstörten, in seltenen Fällen innerlich frohlockenden Angehörigen, ist die korrekte Leichenschau im häuslichen Milieu unter den kritischen Blicken einer sich stetig vergrößernden Trauergemeinde ein fast undurchführbares „Public Viewing“.

Dabei wäre Alles so einfach: Ein staatlich vereidigter und beamtenbesoldeter „Coroner“, wie z. B. in allen Bundesstaaten der USA für über 300 Millionen Menschen gesetzlich geregelt, würde als neutraler, rechtsmedizinisch geschulter Untersucher, Sachverständiger und Amtsperson mit Unterstützung von Hilfskräften das ihm fremde Terrain eines häuslichen oder öffentlichen Auffindungsortes inspizieren und die Trauergemeinde mit der ihm eigenen Professionalität und Autorität in die Schranken weisen. Suspekte, möglicherweise strafrechtlich relevante Umstände würden detektiert und den hinzukommenden Ermittlungsbehörden gegenüber kommuniziert werden.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
LNS
LNS

Fachgebiet

Stellenangebote

    Weitere...

    Aktuelle Kommentare

    Archiv

    NEWSLETTER