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Medizin

Darmkrebs: „Wir tun weniger, als wir tun könnten“

Mittwoch, 20. April 2016

Berlin – Die Behandlung von Darmkrebspatienten in Deutschland ist weniger gut als sie sein könnte. Das meinte Gabriela Möslein, Chefärztin am Zentrum für Hereditäre Tumorerkrankungen an dem Chirurgischen Zentrum des Helios Klinikums Wuppertal, anlässlich der Gründung der Selbsthilfeorganisation EuropaColon Deutschland gestern in Berlin. „Wir nutzen in Deutschland die Chancen der Präzisionsmedizin zu wenig. Die Schere zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir eigentlich tun, ist enorm“, sagte Möslein, die dem Wissenschaftlichen Beirat von EuropaColon Deutschland vorsitzt.

„20 Prozent der Dickdarmtumore haben eine Mikrosatelliteninstabilität. Diese Tumore können wir heute leicht bestimmen“, erklärte Möslein. „In Deutschland wird diese Bestimmung aber nur bei Menschen unter 50 Jahren standardmäßig durchgeführt. Das Problem dabei ist: Diese Menschen sprechen auf die Standard-Chemotherapie nicht an. Sie bräuchten also keine zu machen. Das würde auch den Kassen Geld sparen.“

Zudem sollte der Chirurg bei einer Operation des Enddarms vor dem After eine Tasche formen, damit der Stuhl aufgefangen werden kann und der Patient weniger häufig auf die Toiletten gehen müsse. „Das Formen einer Tasche wird im DRG-System aber nicht bezahlt“, so Möslein. Weil es Zeit koste und der Chirurg unter anderem daran gemessen werde, wie viel Zeit er für eine Operation benötigt, werde nicht bei jeder Operation automatisch eine Tasche geformt. 

„Ärzte sollten sich mehr Zeit für die Aufklärung nehmen“
Der neu gegründete Verein ist die deutsche Tochter der Patientenorganisation EuropaColon, die seit zwölf Jahren Menschen mit Darmkrebs unterstützt und die heute in 24 Ländern tätig ist. Vereinigungen wie EuropaColon würden gebraucht, um die Darmkrebspatienten über ihre Behandlungsmöglichkeiten zu informieren, meinte Möslein. In der Routine des Klinikalltags komme der Arzt nicht immer dazu, auch wenn die Ärzte sich die Zeit eigentlich nehmen müssten.

„Die Patienten sollten wissen: Wie ist die Erfahrung der Einrichtung, in der ich operiert werde, schließlich ist der Begriff Darmzentrum nicht geschützt. Er sollte wissen, wer ihn operiert und er sollte zum Beispiel wissen, dass eine mit einem Antibiotikum versetzte Darmspülung weniger Probleme verursacht“, sagte Möslein. Diese Informationen könne er von Patientenorganisationen erhalten.

„Die Zahl der Neuerkrankungen bei jungen Menschen steigt dramatisch an“
Die Chirurgin wies darauf hin, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Menschen unter 50 Jahren, die an Darmkrebs erkranken, dramatisch gestiegen ist. „Seit 1993 ist die Anzahl der Darmkrebsneuerkrankungen bei den 20- bis 49-Jährigen um 45 Prozent angestiegen, und zwar vor allem bei Männern. Das müssen wir verdammt ernst nehmen“, sagte sie. „Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Wir glauben aber, dass Umweltfaktoren dabei eine Rolle spielen: Bewegungsarmut und zu viel Junk-Food.“

Möslein kritisierte, dass die Krankenkassen den Menschen heute nicht die bestmögliche Darmkrebsvorsorge bezahlten. „Ab dem Alter von 50 Jahren wird Kassenpatienten einmal im Jahr ein Guajak-Stuhltest bezahlt“, sagte sie. Dieser sei aber weniger präzise als der immunochemische Test, der heute ebenfalls zur Verfügung stehe.

„Jeden Menschen zu screenen, wäre weit über das Ziel hinausgeschossen“
Zudem seien die Folgen der durchaus gut gemeinten Vorsorgeuntersuchungen ab dem 50. Lebensjahr, dass sich bei den Menschen festgesetzt habe: „Wer jünger als 50 Jahre alt ist, braucht sich keine Gedanken über Darmkrebs zu machen.“ Dabei sei es bei bestimmten Menschen durchaus sinnvoll, einen Stuhltest schon vorher vorzunehmen, zum Beispiel bei familiär vorbelasteten Menschen. „Wir erarbeiten gerade einen Algorithmus dazu“, sagte Möslein. „Denn jeden Menschen sollte man nicht screenen. Das wäre weit über das Ziel hinausgeschossen.“

Schließlich sei eine Darmspiegelung nicht ohne Risiko, insbesondere, wenn dabei Polypen entfernt würden. Deshalb solle eine Koloskopie bei jüngeren Menschen nur bei einem Verdacht durchgeführt werden. Dass eine Koloskopie ab dem 55. Lebensjahr allerdings nur jedes zweite Jahr von den Krankenkassen bezahlt wird, hält Möslein für unlogisch.

Der erste Vorsitzende von EuropaColon Deutschland, Wolfram Nolte, erklärte, dass sich sein Verein künftig auch durch Projektförderungen aus der Pharmaindustrie finanzieren lassen wolle: „Darauf werden wir angewiesen sein.“ Eine Finanzierung durch sowie ein Dialog mit der Pharmaindustrie könne für eine Patientenorganisation jedoch auch hilfreich sein – sie dürfe sich nur nicht vor den Werbekarren spannen lassen. © fos/aerzteblatt.de

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